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Die schöne neue Welt der Besitzlosigkeit

Jeremy Rifkin: Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft – das Internet der Dinge, kollaboratives Gemeingut und der Rückzug des Kapitalismus, Campus-Verlag, Frankfurt Main 2014Jeremy Rifkin: Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft – das Internet der Dinge, kollaboratives Gemeingut und der Rückzug des Kapitalismus, Campus-Verlag, Frankfurt Main 2014 Die Tage, dass der Kapitalismus als einzige Kategorie unser Wirtschaften bestimmt, sind gezählt. Das zumindest glaubt Jeremy Rifkin. Das Internet beflügelt die Idee des Teilens, die Kultur des Besitzens naht ihrem Ende, der genossenschaftliche Gedanke blüht neu auf, die Welt wird schön. Was wie die Wiedergeburt sozialistischer Utopien klingt, ist für Rifkin vielmehr die Demokratisierung der Ökonomie. Klingt gut. Sehr realistisch ist die Idee dennoch nicht.

Bereits 1995 hat Jeremy Rifkin der Menschheit das „Ende der Arbeit“ versprochen – wer weiß, ob es noch kommt. Jetzt prognostiziert er, dass die sogenannte Null-Grenzkosten-Gesellschaft den Kapitalismus durch eine Ökonomie des Teilens ersetzt. Vision oder Illusion?

Zumindest polarisiert der US-Ökonom und -Soziologe mit dieser provokanten These mal wieder sein Publikum. In der für Rifkin nun beginnenden „Null-Grenzkosten-Gesellschaft“ sinken die Produktionskosten von Waren und Dienstleistungen auf fast null. Der kapitalistische Profit, der sich stets als prozentualer Zuschlag auf die Produktionskosten summiert, verschwindet. Möglich macht diese Entwicklung für Rifkin die neue Technologie: das „Internet der Dinge“, mit dessen Hilfe zukünftig beispielsweise Fabriken miteinander kommunizieren, Bestellungen aufgeben und Preise verhandeln und damit Waren und Dienstleistungen fast ohne menschliche Arbeit erzeugen.

„In der Abenddämmerung der kapitalistischen Ära zeichnet sich ein neues Wirtschaftsmodell ab, das sich besser zu einer Organisation einer Gesellschaft eignet, in der mehr und mehr Güter und Dienstleistungen nahezu kostenlos sind“, schreibt Rifin in seinem neuen Buch. Die neuen Technologien ermöglichen eine Effizienz und Produktivität, die die Kosten für die Herstellung zusätzlicher Produkte so gut wie eliminieren – von den anfänglichen Investitions- und den Fixkosten mal abgesehen. Das bedeutet: Der Vertrieb und die Nutzung von Energie und Mobilität sowie stark verbilligter Kommunikationsgüter wie Musik, Filme oder Nachrichten werden auf der Basis von Internet, freier Software und Smartphones in die Hände von teilenden Usern fallen. Der Kapitalismus wird damit zwar nicht abgeschafft, aber zumindest seine Grundidee in ihrem Kern erschüttert – statt der kapitalistischen Kultur des Besitzens soll nun die Kultur des Teilens den Takt vorgeben. Rifkin: „Solange Ressourcen, Güter und Dienstleistungen knapp sind, haben sie Tauschwert, man kann ihnen auf dem Marktplatz einen Preis zuweisen, der über den Kosten liegt, die nötig sind, sie dorthin zu bringen.“ Wenn jedoch die Grenzkosten dieser Produktion gegen null gehen und sie damit praktisch umsonst sind, verliert – so ist Rifkin überzeugt – das „kapitalistische System seinen Einfluss auf die Knappheit und damit die Fähigkeit, von der Abhängigkeit eines anderen zu profitieren“.

Zwischen Hirngespinst und Vision

So weit, so zwiespältig. Was wie eine sozialistische, vielleicht auch reichlich naive Utopie klingt, ist für Rifkin die Demokratisierung der Ökonomie in großem Stil. Das provoziert. Während manche Kritiker Rifkins Ideen als „Sozialromantik“ und „rosarote Hirngespinste“ abfertigen, sehen andere in ihnen die Veredelung der Share-Economy – mit Car- und Booksharing über Foodsharing bis Fashion- und Housesharing. Rifkin stellt die Form des gemeinschaftlichen Eigentums, den Allmende-Gedanken, in den Mittelpunkt. Durch die Technologie der dritten industriellen Revolution, dem Übergang zu erneuerbaren Energien und der Digitalisierung sämtlicher Produktionsprozesse und Dienstleistungen, kann für ihn die gemeinsame Nutzung von Ressourcen wesentlich verbreitert werden – und das auf freiwilliger Basis.

Anders als in den Theorien eines Karl Marx‘ machen in Rifkins Sozial- und Digital-Ökonomie die Menschen immer noch Geld. Ein Großteil der Arbeit wird dem Autor zufolge jedoch in einen gemeinnützigen Genossenschaftssektor abwandern – darunter Bildung, Kunst, Kultur, Kinderbetreuung, Gesundheit, Mobilität. Er plädiert für ein „effektives Management von Gemeingut“, das weder zu privat noch zu staatlich gesteuert werden darf. Denn er hält zwar Privateigentum für effizient, „aber die Forderung, praktisch alles in der Welt in private Hände zu geben“ halte einer näheren Betrachtung nicht stand – schon gar nicht im Falle von öffentlichen Gütern, zu denen jedermann Zugang haben muss, um sich zu entfalten. Ebenso spricht Rifkin auch dem Staat nicht allzu viel Kompetenz zu: „So lobenswert dessen Verwaltung vieler Güter – von Straßen, Wassersysteme und Postdienst bis hin zur Schule – auch ausfallen mag, er [der Staat] versagt doch immer wieder, wenn es um das Verständnis der komplexen Dynamik auch der letzten lokalen Erfahrung geht.“

Der kleine Fehler namens „Gier“

Rifkins Abgesang des Kapitalismus‘ ist romantisch und verspielt – und deswegen bedeutet sein Buch sicherlich für alle, die sich gerne in philosophischen Diskursen treiben lassen, eine gedankenreiche und abwechslungsreiche Lesereise. Doch wirkt seine Vision einer neuen Welt ein bisschen zu bonbonfarben. Denn abgesehen von dem recht utopischen Entwurf einer Null-Grenzkostengesellschaft findet das Allzumenschliche in Rifkins schöner neuer Welt kaum Platz – zum Beispiel die Kleinigkeit namens „Gier“. So ist es kaum vorstellbar, dass Millionen von Erfindern und Kreativen künftig vor ihren Computern hocken und sich ihre Werke und Ideen gratis wegnehmen lassen. Global auf das System der Allmende zu setzen, gleicht einem Luftschloss. Denn Allmende baut grundsätzlich auf einer großen menschlichen Fähigkeit auf, die allerdings seit Menschengedenken ein seltenes Gut darstellt – die Nächstenliebe.