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Krise zur Rückbesinnung nutzen

Handelsblatt-Kolumnde Ordnungspolitischer Einspruch Es stimmt schon nachdenklich, wie einfach es sich einzelne Kommentatoren machen. Angesichts der dramatischen Verwerfungen auf den internationalen Finanzmärkten fordert unter anderem Stern-Redakteur Hans-Ulrich Jörges ein „Ende der neoliberalen Ära". Auch in Deutschland müsse der Staat jetzt zurückkehren und eingreifen. In seinem Zwischenruf von dieser Woche schreibt er:
Alle Finanzprodukte müssen einer Genehmigung unterworfen, Hedgefonds kontrolliert, Zockerpapiere und Kredithandel verboten werden.
Ist die Finanzwelt denn tatsächlich völlig unreguliert? Eine Sphäre der Anarchie und Welt der nackten Gier? Ich meine: Nein! So einfach können wir es uns nicht machen. Schon gar nicht, wenn wir aus der aktuellen Krise gestärkt herausgehen wollen. Klar ist: Natürlich gibt es Versager und Versagen auch in der Marktwirtschaft. Doch der Vorzug dieser Wirtschaftsordnung liegt nicht darin, das Böse und Schlechte, die Untugend zu verbannen. Er liegt vielmehr darin, durch offene Strukturen und effektiven Wettbewerb solchen Strategien so wenig Freiraum wie möglich zu lassen.

Klar ist auch: Die Marktwirtschaft kann ohne einen starken Staat dauerhaft nicht funktionieren. Es bedarf immer eines ausdifferenzierten Regelwerkes, das Privateigentum und Vertragsfreiheit sichert, die Märkte offen hält und die Haftung des Einzelnen für sein Tun konsequent einfordert. Die Aussage, die Welt der Finanzmärkte sei völlig frei und unreguliert, ist ein Märchen. Kaum ein anderer Bereich ist so umfänglich hinsichtlich seiner Prozesse und seiner Produkte reguliert wie dieser. Genau an dieser Stelle kann der Staat aber auch zum Problem werden – über Fehlregulierungen und Unstetigkeit der Politik. Es ist vielfach darauf hingewiesen worden, dass das US-amerikanische Trennbankensystem Folge spezieller Gesetzgebung nach der Weltwirtschaftskrise war. Solche Beschränkungen kosten Anpassungsflexibilität und begünstigen Übertreibungen. Die laxe Geldpolitik der Fed hat zusammen mit der faktischen Subventionierung von Hypotheken durch Fannie und Freddie außerdem wesentlichen Anteil an der explosionsartigen Entwicklung im Hypotheken- und Häusermarkt der USA.

All das bedingt ein Plädoyer für Unaufgeregtheit, Skepsis und Nüchternheit bei der Behandlung wirtschaftlicher und wirtschaftspolitischer Fragen. Denn – so muss der Fundamentalkritiker sich fragen lassen – wie sieht die Alternative zur marktwirtschaftlichen Ordnung aus? Sind die Verstaatlichung weiter Sektoren unserer Volkswirtschaft und deren umfassende Detailregulierung die präferierte Antwort? Kann nach dem erlebten Staatsbankrott planwirtschaftlicher Systeme darin ernsthaft die Perspektive liegen? Liegt eine Lektion nicht in der Überforderung der Wirtschaftspolitik, hier vor allem der Geldpolitik? Liegt eine andere Lektion nicht in der Vernachlässigung des Haftungsprinzips an den derivaten Kreditmärkten? Und macht beides nicht deutlich, dass die von Walter Eucken skizzierten Prinzipien guter Ordnungspolitik unverändert Orientierung geben? Es gibt auch in dieser Krise keinen Grund zum Abschied von der Marktwirtschaft, sondern eher zur Rückbesinnung auf ihren Kern.

„Das Ende der Welt?“, Ordnungspolitischer Einspruch von Michael Hüther vom 26. September 2008.