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Eine Romanze mit der Wirtschaft

Das Wort „Romantik“ passt so gut in Arbeits- und Wirtschaftsleben wie der Elefant ins Einmachglas. Dennoch fordert Tim Leberecht genau das: Lasst mehr Romantik im Geschäftslebens zu! Und damit meint er nicht Liebe im Büro, sondern mehr Leidenschaft für den Job. Für seine „romantische Business-Bewegung“ gibt es kaum ein größeres Abenteuer als die Wirtschaft.

Tim Leberecht: Business-Romantiker – von der Sehnsucht nach einem anderen WirtschaftslebenErfolg, sagt Tim Leberecht, definieren wir üblicherweise als eine Abfolge von erreichten Zielen, die immer zu höheren Zielen führt und schließlich in einer großartigen Lebensleistung kulminiert. Als „Business-Romantiker“ – wie Leberecht sich und seinesgleichen bezeichnet – ist gegen Erfolg auch nichts zu sagen. Er ist notwendiger Bestandteil der Karriere. „Aber wie blicken mit einer gesunden Dosis Ironie und Verspieltheit darauf“, meint Leberecht. Denn für wahre Business-Romantiker hat das Leben noch andere Seiten: „Verletzlichkeit, Melancholie, Leiden und ein großes Verständnis für Fremde und Fremdheit, für Verrücktes und Vorübergehendes, um nur einige wenige zu nennen.“

Seit mehr als zehn Jahren lebt Leberecht im Silicon Valley, gilt als Kenner der Start-up-Szene und spricht regelmäßig auf Veranstaltungen der Internet-Ökonomie. Manche Kritiker werden seine romantische Anleitung für ein besseres Arbeitsleben als Spinnerei abtun, als Kitsch, als Geschwätz. Für andere mag sie sogar zynisch klingen – als eine reine Selbstbeweihräucherung der Wissensgesellschaft, fern ab von der Maloche in Stahlwerken, im Bergbau oder von den Jobs in den Fabriken. Tatsächlich trägt Leberecht mit seinem Buch „Business-Romantiker – von der Sehnsucht nach einem anderen Wirtschaftsleben“ und seiner Forderung für mehr Romantik im Job ein wenig dick auf. Dennoch steckt hinter seiner vermeintlichen Schöngeisterei und seinem Glauben an die Wiederverzauberung der Arbeitswelt ein wichtiger Gedanke, den es sich zu rekapitulieren lohnt: Für Leberecht ist die Wirtschaft „eines der größten Abenteuer menschlichen Handelns“. Und: Jeder, der nun das Privileg hat, in der durch Technologie und Digitalisierung entstandenen Wissensgesellschaft zu arbeiten, sollte sein eigenes Leitbild formulieren – ein Leitbild, das im romantischen Idealfall mehr bedeutet, als nur wirtschaftlichen und karrieristischen Erfolg als Ziel zu haben. Nämlich das Leben als solches.

Der Homo oeconomicus hat ausgedient

70 Prozent unserer Zeit verbringen wir mit dem Job, rechnet Leberecht vor. Business-Romantikern ginge es deswegen darum, „alle Facetten des Menschseins in ihrer Arbeit auszuleben“. Wie schon die romantische Bewegung im 18. Jahrhundert mit Lord Byron als eine der von Leberecht gefeierten Romantik-Speerspitzen wenden sich auch die „modernen Romantiker“ gegen die Herrschaft der reinen Vernunft. Dem Autor zufolge zögen sie „Individualität und subjektive Wahrheit der Objektivität vor“. Das klingt recht schwulstig, meint aber: Es sei endlich Zeit, „das Bild des coolen, abgebrühten, pragmatischen Managers infrage zu stellen“. Das bisher vorherrschende Bild des allein auf den Homo oeconomicus reduzierten Menschen habe ausgedient. Es gelte nun alte Werte menschlichen Zusammenseins und der Inspiration neu zu beleben. „Ich wünschte, es würde den Ingenieuren aufgehen, dass es nicht genügt, ein Ingenieur zu sein, um ein Ingenieur zu sein“, zitiert Leberecht den spanischen Essayisten José Ortega y Gasset. Oder um es mit Leberecht direkt auszudrücken: „Technologen wissen nicht, was sie nicht wissen, bis sie es wissen.“ Was gegen solche einseitige Wahrnehmung hilft, ist eine heute fast schon altmodisch anmutende Disziplin: „Die Geisteswissenschaften sind unsere entscheidende Bastion im Abwehrkampf gegen die rein utilitaristische Geisteshaltung der Ingenieure.“

Leidenschaft als Wettbewerbsvorteil

Auch wenn der Autor dieses vorliegenden Textes als einstiger Schüler der philosophischen Fakultät Leberechts Klage über die übermäßige Fixierung der Wirtschaft auf die technischen Wissenschaften teilt, übergeht Leberecht recht elegant, dass auch den Geisteswissenschaften zu oft eine gehörige Portion Pragmatismus und Erdverbundenheit fehlen. Letztlich macht wohl die Mischung den Charme aus – sie würde Jobprofile formen wie den philosophisch inspirierten Ingenieur, den psychologisch geschulten Ökonomen, den sozialgebildeten Manager oder den unternehmerisch denkenden Homme de Lettres.

Zurück zur Realität. Oder zumindest Leberechts Realität: „Business-Romantiker sehnen sich nach dem Abenteuer Arbeit und intensiven Erlebnissen. Langeweile ist ihr Feind“, lautet seine Losung. Leberechts Appell, mehr Leidenschaft für die Arbeit zu entfachen, klingt zwar stark nach Steve Jobs Credo „Du musst lieben, was du tust“ und überhaupt nach vielen Mantras agiler und selbstbestimmter Arbeit. Das entwertet Leberechts Ansinnen aber nicht.

Es bleibt allerdings die Frage, ob sein Ansatz angesichts einer weltweit profitorientieren Wirtschaft nicht zu träumerisch ist. Nein, meint Leberecht. Für ihn geht es nicht nur um Herzens- und Geistesbildung und Erweiterung fachidiotischer Sichtweisen, sondern eben auch darum, dass Menschen sich mit ganzem Herzen einbringen. „Das ist ein unbezahlbarer Wettbewerbsvorteil.“

Die Mängel der Macho-Tech-Kultur

Nicht zuletzt ist Leberechts Buch auch eine Kritik an der heutigen digitalen Kommunikationskultur. So haben die Business-Romantiker „nicht so sehr eine Sehnsucht nach Exklusivität, sondern nach echtem menschlichem Kontakt und Intimität. Ich denke, sie [die Business-Bewegung] ist eine Gegenbewegung zu dem, was wir in den sozialen Medien erleben“, meint Leberecht. Im Silicon Valley starren Menschen stundenlang auf Laptops, ins Smartphone oder sprechen laut und lange ins Headset. Der Glaube der jungen Start-up-Szene aber auch der Investoren, dass Algorithmen, Daten und Technologie alle menschlichen Probleme lösen könnten, ist mittlerweile so groß, dass es für eine Verzauberung der Welt durch Poesie, Kunst, Philosophie oder sonstige Geistes- und Sinneswahrnehmung einfach keinen Platz mehr gibt, meint Leberecht.

„Macho-Tech-Kultur“ nennt er diese Verhaltensmuster. Die Menschen lagerten einen immer größeren Teil ihres Privatlebens an Maschinen aus, etwa die Organisation menschlicher Beziehungen an soziale Netzwerke. „Wir haben Hunderte Facebook-Freunde, die jeden ihrer Schritte teilen, von denen wir wirklich Persönliches aber nur selten erfahren.“ Um allein schon diesem Mangel entgegenzuwirken, zeigen sich Leberechts Business-Romantiker sehr praktisch: Sie bevorzugen fürs Gespräch den intimen Rahmen, den Café zu zweit, das Meeting im Park, das Geschäftsessen im kleinen Kreis. Also alles das, was die Menschen immer schon schön fanden, als es noch keine Sozialen Medien gab.

Fazit
Leberecht legt ein gut geschriebenes und kritisches Buch zur Kultur der digitalen Wirtschaft und Gesellschaft vor. Auch wenn es sich an manchen Stellen etwas romantisch verhebt, lohnt sich ein Blick in sein Werk. Denn es hält für jeden Berufstätigen und wirtschaftlichen Interessierten einen Gedanken bereit, der ihn möglicherweise bewegt, sein Arbeitsverhalten zu überdenken.

Tim Leberecht: Business-Romantiker – von der Sehnsucht nach einem anderen Wirtschaftsleben, Droemer-Verlag, München 2015

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