Ordnungspolitik

Kapital für alle

Der real existierende Kapitalismus taugt nichts. Sahra Wagenknecht fordert eine neue Wirtschaftsordnung, in der Eigentum nur noch durch eigene Arbeit und nicht beispielsweise durch Erbe oder Investment-Abzocke entstehen kann. Ein staatlicher Wagniskapitalfonds soll den Zugang zu unternehmerischem Kapital für alle öffnen. Das Ziel ihres Wirtschaftsmodell: eine gerechtere soziale Marktwirtschaft – freilich schön links eingefärbt. Sahra Wagenknecht: Reichtum ohne Gier – wie wir uns vor dem Kapitalismus retten; Campus-Verlag, München 2016

Sahra Wagenknecht: Reichtum ohne Gier – wie wir uns vor dem Kapitalismus retten; Campus-Verlag, München 2016Noch vor zehn Jahren hieß es, „linker geht nicht“, wenn von Sahra Wagenknecht die Rede war. Sie galt als „Rosa Luxemburg des 21. Jahrhunderts“, eine hoffnungslose Idealistin. Das war früher. Eine Idealistin ist die promovierte Volkswirtin noch stets. Und auch dem Kapitalismus kann sie immer noch nichts wirklich Gutes abgewinnen. Doch ihr unmerklicher Wandel von der politischen Romantikerin zu einem ordoliberalen Linken-Schwergewicht scheint ihr zu gelingen. Zwar reicht sie als Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag (noch) nicht an den Witz und die rhetorische Raffinesse eines Gregor Gysi heran, und hat auch glücklicherweise von der kautschukzähen Besserwisserei eines Oskar Lafontaines nur wenig. Doch Sahras wirtschaftspolitischer Stern fängt allmählich an, nicht nur rot, sondern auch dunkelgelb zu leuchten. Das beweist sie mit ihrem neuen und polarisierenden Buch „Reichtum ohne Gier – wie wir uns vor dem Kapitalismus retten“.

Kapitalismus belohnt nicht alle Leistungsträger

Immer wieder ist es der Kapitalismus: Brauchen wir ihn heute noch, um in Zukunft besser zu leben, fragt die Autorin. Oder hindert uns daran das aktuelle Wirtschaftsmodell, dessen „Wohlstands-Dynamik für die Mehrheit abwärts zeigt. […] Ist es gerade die renditeorientierte Wachstumslogik, die uns die Hände bindet?“ Für Wagenknecht löst der Kapitalismus sein Versprechen auf Aufstieg und Wohlstand für alle schon lange nicht mehr ein. Sie bemängelt, dass die heutige Wirtschaftsordnung keineswegs in erster Linie die Leistungsträger belohnt: Diejenigen die Zugang zum Kapital hätten, profitierten vom System, die anderen schauten in die Röhre: Wagenknecht: „Wer sein Leben lang alte Menschen pflegt, wird nie reich, obwohl er für die Gesellschaft viel mehr leistet.“ Sie ist überzeugt: Je größer die soziale Ungleichheit, desto geringer ist die soziale Mobilität, desto stärker hängen also die Lebenschancen von der Herkunft ab. Wagenknecht fordert daher ein Modell, in dem „Eigentum tatsächlich nur noch durch eigene Arbeit entstehen kann und in der feudale Strukturen und leistungslose Einkommen der Vergangenheit angehören“. Das erstrebte Ziel: „Wir würden unser Wirtschaftsleben innovativer, flexibler und zugleich sozial gerechter gestalten.“

Selbsternannte Erbin Ludwig Erhards

Getreu ihrem Glauben „Ich will Ludwig Erhard zu Ende denken“ beruft sich Wagenknecht auf Liberale wie Joseph Schumpeter, aber vor allem auch auf ordoliberale Vordenker der Sozialen Marktwirtschaft, darunter Wilhelm Röpke und Walter Eucken. Der Autorin geht es um demokratische Gestaltungsfähigkeit, Dezentralisierung und Eindämmung von Wirtschaftsmacht: „Natürlich gibt es in unserer Wirtschaftsordnung nicht nur Renditejäger, die in Unternehmen lukrative Anlageobjekte sehen, sondern auch viele echte Unternehmer“, schreibt sie. Diese seien diejenigen, die mit ihren Beschäftigten für wirtschaftliche Dynamik, Innovation und gute Produkte sorgen. Aber: „Die Annahme, die Unternehmer brauchten den Kapitalismus, ist ein großer Irrtum. Eben wegen des schwierigen Zugangs zu Kapital behindert er sie eher und macht ihnen das Leben schwer“, glaubt Wagenknecht. Ein staatlicher Wagniskapitalfonds soll den Zugang zu unternehmerischem Kapital für alle öffnen.

Probleme für Demokratie und Sozialstaat sieht sie zudem im Machtverlust von nationalen Parlamenten und Regierungen. Verantwortlich für diese Entwicklung sei die Europäische Union – und auch die Euro-Zone, die nicht über „demokratische Institutionen“ verfüge. Wagenknecht spekuliert über die Auflösung des Euro und über die Renaissance der nationalen Währungen. Ebenso sind ihr die Strukturen der Aktiengesellschaften ein Dorn im Auge – und sinniert über die Änderungen der Rechtsformen. Sie beklagt die „Vermachtung“ der Wirtschaft durch global agierende Unternehmen und kommt zu dem Schluss, dass die wirtschaftlichen Strukturen „dezentralisiert und verkleinert“ werden müssen, „denn der Globalkapitalismus unserer Zeit lässt sich im nationalen Rahmen kaum noch bändigen.“

Fazit:

Aus welcher Ecke hier der Wind weht, muss jedem klar sein, der sich dieses Buch zu Gemüte führt. Wagenknecht spekuliert, philosophiert, polarisiert und irrt vor allem dann, wenn sie glaubt, dass die Interessen und Werte der Gemeinschaft auch immer gleich mit den Interessen und dem Freiheitsbestreben des Einzelnen in Passform zu bringen sind. Ihr Buch gibt dennoch einen hochinteressanten Einblick in die Ideal-Welt der Politikerin. Ob jedoch das Theorem einer neuen Leistungsgesellschaft ausreicht, um die real existierende Wirtschaft zu meistern, darf bezweifelt werden.

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