WachstumTagged

Die willigen Helfer der Wachstumsprediger

Der Glaube an endloses Wirtschaftswachstum ist genauso sinnvoll wie der Glaube an Unsinn. Warum sich dennoch über Jahrzehnte die Idee eines steten Wirtschaftswachstums tief in unsere Köpfe eingebrannt hat, beantwortet Ferdinand Knauß in seinem nun erschienenen Buch „Wachstum über alles?“ – und entlarvt die deutsche Wirtschaftspresse als allzu unkritische Steigbügelhalter von Politikern und Ökonomen. Ferdinand Knauß: Wachstum über alles? Wie der Journalismus zum Sprachrohr für Ökonomen wurde, oekom-Verlag, München 2016

Titel_Knauss_Wirtschaftsjournalismus_CMYKDer Vorwurf, dass Ökonomen für wirtschaftliche Fehlentwicklungen mitverantwortlich sind, ist ein alter Hut. Und dass auch Politiker ständig ihren Teil zum Unheil leisten, ist sowieso klar. Dass nun aber auch Zeitungsjournalisten maßgeblich dazu beigetragen haben, den Glauben an ein endloses und kontinuierliches Wirtschaftswachstum in Deutschland zu festigen – das ist neu. Und die These ist überlegenswert. Mit seinem nun erschienenen Buch „Wachstum über alles? – wie der Journalismus zum Sprachrohr für Ökonomen wurde“ legt der Wirtschaftsjournalist Ferdinand Knauß eine bisher einzigartige Untersuchung vor. Seine Grundfrage lautet: Wie kam es dazu, dass stetiges Wirtschaftswachstum eine bis heute beherrschende Stellung in unserer Gesellschaft einnehmen konnte?

In dem Dreiecksverhältnis von Wirtschaftswissenschaft, Politik und Medien sieht der Autor die Voraussetzung für diese Macht des von ihm so genannten Wachstumsparadigmas. Knauß analysiert in großer Fleißarbeit die Kommentare, Artikel und Berichte in der Vossischen Zeitung (1918 bis 1934), der Frankfurter Allgemeine Zeitung, im Spiegel und in der Zeit – angefangen von ihrer Gründung bis heute. Ergebnis: Der Journalismus nimmt in der Entwicklung der Wachstumsgläubigkeit eine Schlüsselrolle ein. Die Zeitungsjournalisten haben den Anspruch der Notwendigkeit von Wirtschaftswachstum weitgehend beglaubigt. Sie legitimierten damit zudem Ökonomen als scheinbar objektive Berater der Politik – und tun dies zum großen Teil bis heute. Die Selbstkritik an seiner Zunft nimmt Knauß bewusst hin. Ihm geht es nicht um Kollegenschelte, sondern er wünscht sich einen erneuerten Wirtschaftsjournalismus, der nicht nur distanzvoller, unabhängiger und kritischer arbeitet, sondern auch interdisziplinärer und philosophischer ausgerichtet ist.

Was immer wächst, wird irgendwann fallen

Knauß zufolge hält das „Wirtschaftsparadigma“ für seine Jünger vier Glaubensthesen bereit: erstens, dass das Wirtschaftswachstum ein Allheilmittel für gesellschaftliche, politische und letztlich ökologische Probleme jeder Art ist; zweitens, dass dieses Wachstum bei ökonomisch rationaler Politik unbegrenzt möglich ist; drittens, dass es ein Indiz für gesellschaftlichen Fortschritt und nationale Bedeutung ist; und viertens, dass das Bruttosozialprodukt dafür ein angemessener Maßstab ist. Für Knauß ist diese Glaubenshaltung ein Irrweg: „Etwas immerzu Wachsendes kann nicht dauerhaft stabil sein, sondern muss zur Instabilität eines Systems führen, dessen Ressourcen begrenzt sind. Langfristig bleibt jedes natürlich Wachstum im Gleichgewicht mit den Gegenkräften Verfall und Tod“, schreibt der Autor. In den von ihm analysierten Artikeln werden kaum „Fragen nach dem Sinn des Wirtschaftens jenseits der Steigerungslogik der Mainstreamökonomie“ gestellt. Wer in dem Dreieck von Politik, Ökonomie und Journalismus wen am stärksten beeinflusst, ist zwar nur schwer nachweisbar. Aber es liegt „in der Natur der Sache, dass die Ökonomen wohl diejenigen sind, die das theoretische Fundament für wirtschaftspolitische Positionen bereitstellen“, schreibt Knauß.

Was richtig war, wird schnell verdrängt

Wachstum zu stimulieren erscheint in den Zeitungsartikeln als völlig selbstverständliche und alternativlose Aufgabe der Politik. Allerdings gibt es in den verschiedenen Printmedien kleine Unterschiede: Während „Spiegel“ und „Zeit“ mit zunehmenden Eifer eine keynesianische planende Wachstumspolitik fordern, setzt in der FAZ um 1960 ein leichter Reflexionsprozess über die Bedeutung der Wachstumsraten ein, an dem sowohl eigene Redakteure als auch „fremde Federn“ teilnehmen. Einen Höhepunkt in der medialen Geschichte des Wachstumsparadigmas sieht der Autor in dem „Angriff auf das Wachstumsparadigma in den früher 70er Jahren“, vor allem durch den Club of Rome und seine Studie „Die Grenzen des Wachstums“. Die Thesen setzten sich jedoch politisch kaum durch. Helmut Schmidt nennt die Grenzen des Wachstums eine Gespensterdebatte. Angesichts des „Hungers in der Welt“ lehnten führende Politiker die gesamte Diskussion ab und halten sie gar für doppelmoralisch – ein Thema allein für Leute, „die Wasser predigen und selbst Wein trinken.“ Tatsächlich war der Schwachpunkt der Club-of-Rome-Vertreter ihre politische Einfältigkeit. Knauß: „Ihnen fehlte ein positives politisches Konzept, das über das Aufrütteln hinausging.“

Dass die „Grenzen des Wachstums“ dann bald auch in der Presse in Vergessenheit gerieten, liegt für Knauß in der „Geschichtsvergessenheit“: „Diese Ignoranz betrifft nicht nur die Geschichte der Wirtschaft, sondern vor allem die historische Bedingtheit der eigenen Überzeugungen.“

Feuilletonistischer Wirtschaftsjournalismus hilft beim Denken

Ob das Wachstumsparadigma eines Tages aus den Medien wieder verschwindet? Ja, meint der Autor, allerdings sei dazu ein erwachtes und gestärktes Geschichtsbewusstsein des Wirtschaftsjournalismus‘ als Voraussetzung notwendig. Das Knauß‘sche Rezept: „Ein erneuter zeitgemäßer Wirtschaftsjournalismus könnte kritische Kraft zur Analyse und Meinungsbildung schöpfen aus Quellen der Erkenntnis, die die  tonangebenden Ökonomen in selbst gewählter Unmündigkeit seit einigen Jahrzehnten verschmähen.“ Zu diesen Quellen zählen für den Autor Geschichte, Soziologie, Philosophie, Religionswissenschaften und „warum nicht auch Dichtung und bildende Kunst?“

Sicherlich geht es jetzt nicht darum, eine geistesgeschichtlich orientierte Haltung, in der die lebensphilosophisch orientierte Erfassung eines Dichters oder Künstlers im Mittelpunkt steht, zum Non-Plus-Ultra ökonomischer Vernunft und wirtschaftlichen Handelns zu erklären. Aber es geht darum, stärker interdisziplinär zu denken und zu analysieren. Die Ökonomie hatte für diese Haltung einst einen großen Vordenker, Adam Smith. Er war bekanntlich Professor für Philosophie. Auch wenn damals gerade erst die Dampfmaschine erfunden wurde, schadet es sicherlich nicht, wenn sich auch heute wieder mehr von der Sorte Smith am Wachstumsdiskurs beteiligen.

Fazit

Aufschlussreich und lesenswert – ein gelungener Wurf, der zeigt, dass auch beim Thema „Wachstumskritik“ gilt: Ständiges Wiederholen von falschen Ansichten macht die Welt nicht besser. Zugleich offenbart das Buch die etwas betrübliche Erkenntnis, dass Journalisten nicht immer so unabhängig berichten und kommentieren, wie es sich das Bundesverfassungsgericht wünscht. Gut, dass unsere Demokratie diese Schieflage dennoch aushält.