Buchkritik, EuropaTagged

28 Staaten, 28 Meinungen und die Droge Geld

Europa muss sich neu erfinden. Das stand schon vor dem Brexit fest. Insofern ist den drei Autoren ein halbwegs hellseherischer Titel gelungen. Sie kündigen die nächste Stufe der europäischen Integration an. Diese hat aus Sicht der Autoren vor allem mit einem reformierten Finanzsystem und Kapitalmarkt zu tun. Leider wird man das Gefühl nicht los, dass es sich hier eher um die Rettung der europäischen Banken als um das Wohl des Kontinents dreht. Luc Frieden, Nicolaus Heinen, Stephan Leithner: Europa 5.0 – ein Geschäftsmodell für unseren Kontinent. Campus Verlag Frankfurt am Main 2016

Heinen U1 19.10.2015.inddEs ist schon ein auffällig interessensgleiches Trio, das sich da aufgemacht hat, ein „tragfähiges und global wettbewerbsfähiges Geschäftsmodell für Europa“ zu entwickeln. Luc Frieden, der ehemalige Kronprinz von Jean-Claude Juncker, führt heute nicht als Luxemburgs Premierminister die Geschäfte, sondern verdingt sich als Präsident einer großen deutschen Bank im besagten Großherzogtum sein Leben. Und auch seine Ko-Autoren Nicolaus Heinen und Stephan Leithner sind mehr als bankaffin und haben wie Frieden für dasselbe, große, deutsche Finanzinstitut gearbeitet – in verschiedenen Ländern. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Jedenfalls fügt es sich gut, dass die drei Finanzköpfe eine Entourage von Experten, wissenschaftlichen Mitarbeitern und Ghostwritern um sich versammeln konnten, um ein Buch mit dem Titel „Europa 5.0 – ein Geschäftsmodell für unseren Kontinent“ veröffentlichen zu lassen.

Das ist nicht ungewöhnlich und wäre nicht weiter auffällig, wenn doch das rund 250-Seiten-Werk mit etwas mehr Zukunftsspirit getränkt worden wäre. Denn nicht umsonst trägt es superdigital im Titel den Zusatz „5.0“ – und da hätte man mehr Visionäres erwartet.
Dass dies nicht so ist, liegt wohl schon an der Begrifflichkeit. Während nämlich mit „Europa 1.0“ das Friedensprojekt nach dem Zweiten Weltkrieg gemeint ist, mit „Europa 2.0“ die wirtschaftliche und politische Integration, mit „Europa 3.0“ die Erweiterung der Union von allem gen Osten und mit „Europa 4.0“ der Euro als gemeinsame Währung, bedeutet „Europa 5.0“ ganz sachlich die „stärkere Integration unseres Kontinents im bestehenden institutionellen Rahmen“. Naja, aufregend ist anders.

Idee einer europäischen Kapitalmarktunion

Dennoch, das Buch setzt gefällig an: Die Autoren lassen Europas letzte Krisen und Abstürze wieder aufleben und zeigen sich belesen in puncto Währungsunion, Wachstum und Steuerpolitik. Sie plädieren für ein noch stärkeres exportorientiertes Wachstumsmodell in Europa und begründen es mit dem demografischen Wandel und der damit zu erwartenden Flaute im Binnenkonsum. Sie wünschen sich eine aktive private Vermögensbildung über den Kapitalmarkt. „Das aktuelle Niedrigzinsumfeld und die ungleiche Teilhabe an Wertsteigerungen von Immobilien und Aktien erschweren [heute] die private Vermögensbildung für breite Teile der Bevölkerung.“ Viele Menschen können vor allem aufgrund der ungleichen Teilhaben an Wertsteigerung kaum noch privates Vermögen bilden, meinen die Autoren. Auch deswegen halten sie neben der staatlichen und betrieblichen Altersvorsorge die private Vorsorge für unerlässlich. Sie schlagen die Gründung einer europäischen Kapitalmarktunion vor: „Ein verbesserter Kapitalfluss innerhalb von Europa kann derweil sowohl die private als auch die Finanzierung von Unternehmen stärken.“ Ein gemeinsamer funktionierender Markt helfe, verfügbares Kapital besser mit dem Finanzbedarf der Realwirtschaft zusammenzubringen.

Das Problem: Das Vertrauen der Menschen in die Märkte ist nach wie vor erschüttert, es fehlt die Transparenz. Wer heute grenzüberschreitend investieren will, muss entweder sehr mutig oder sehr wissend sein oder einfach Geld zu viel in der Tasche. Zwar ist den Autoren auch klar, dass ein Europa mit 28 souveränen Staaten nur sehr schwierig unter einen Hut zu bekommen ist. Doch das eigentliche Problem ist nicht die Vielfalt, sondern die wirtschaftliche Unterschiedlichkeit – vor die allem die Wettbewerbsschwäche einiger europäischer Staaten. Sie alle in ein Geschäftsmodell zu quetschen, gleicht dem berühmten Sprung durchs Nadelöhr.

Fazit

Ein solider Einblick in die wirtschaftspolitische Ausgangslage Europas. Und zweifellos eine gute Vorlage für eine Diskussion, um die Weiterentwicklung Europas. Was fehlt, ist – auch themenbedingt – die Leidenschaft, die immer notwendig ist, wenn etwas Neues entstehen soll. Die geldnüchterne Botschaft für den Kontinent: Nicht gemeinsame kulturelle Werte werden die Union zusammenhalten, sondern eine gemeinsame Finanz- und Wirtschaftspolitik. Erst aus ihr erwächst für die Autoren ein Gefühl der europäischen Zusammengehörigkeit. Dem dürfte sicherlich nicht jeder zustimmen.

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