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Es ist Zeit, Alarm zu schlagen

Für viele – vor allem junge – Menschen ist das Thema Rente in etwa so interessant wie eine Darmspiegelung, eine Krankheit oder ein lästiger Pickel hinterm Ohr. Ein Fehler: Denn anders als bei einer Krankheit, kann man sich auf die Rente gut vorbereiten. Und das sollte man. Am besten mit diesem Buch. Auch wenn es noch nicht klar ist, welche neuen Reformen unsere Rente betreffen werden, versammelt der vorliegende Band viele Modelle und Meinungen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Und damit auch manch‘ kluges Rezept. Was alle eint: Es ist Zeit, Alarm zu schlagen. Thomas Köster (HG): Zukunftsfeste Rente – neue Impulse für die Alterssicherung, Herder Verlag,  Freiburg im Breisgau 2017

Thomas Köster (HG): Zukunftsfeste Rente – neue Impulse für die Alterssicherung, Herder Verlag, Freiburg im Breisgau 2017„Armut ist ein großes Unglück. Ist diese gebannt und die Gesundheit geblieben, so kann das Alter ein sehr erträglicher Teil des Lebens sein.“ Diese Einsicht Schopenhauers dürfte bis heute an ihrer Aktualität nichts eingebüßt haben. Doch soweit schon unter Bismarck die Invaliden- und Rentenversicherung zum Ziel hatte, Armut im Alter zu vermeiden, Adenauer mit seiner großen Rentenreform diesen Anspruch untermauerte und auch Anfang der 2000er Jahre mit der Riester-Reform der Weg zur Stärkung des Drei-Säulen-Modells mit gesetzlicher, betrieblicher und privater Rente beschritten wurde, ist Altersarmut heute wieder Realität – wenn auch bisher erst noch für einen kleinen Teil alter Menschen. Wie geht es also weiter mit der Alterssicherung?

Gedankenreiche Beiträge zu dieser notwendigen Diskussion bietet Thomas Köster als Herausgeber mit dem Buch „Zukunftsfeste Rente – neue Impulse für die Alterssicherung“, das jetzt im Herder-Verlag erschienen ist. Wichtige Vertreter aus den Gruppen der Arbeitgeber und -nehmer sowie prominente Autoren aus Wissenschaft, Politik und Kirche, darunter Reinhard Kardinal Marx, Annegret Kramp-Karrenbauer, Michael Hüther und Thomas Straubhaar, verbindet vor allem der Gedanke: Es ist Zeit Alarm zu schlagen!

Rentenniveau sinkt signifikant

Altersarmut will keiner. „Aber alles, was über eine durch staatliche Umverteilung sichergestellte Mindestrente hinausgeht, könnte und sollte einem reinen Versicherungssystem und privaten (Bildungs-)Investitions- und Sparentscheidungen vorbehalten bleiben“, ist der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler Thomas Straubhaar überzeugt. Für ihn liegen die Fakten auf dem Tisch: Das Rentenniveau wird dramatisch sinken. Er rechnet vor: „Heute liegt die Standardrente für einen Durchschnittsverdiener nach 45 anrechnungsfähigen Versicherungsjahren in den alten Bundesländern bei 1.200 Euro pro Monat.“ Das entspreche 48 Prozent des durchschnittlichen Arbeitnehmereinkommens. „Bis 2030 dürfte das Rentenniveau auf etwa 44 Prozent zurückgehen.“ Das aktuelle Rentenmodell sei zu hinterfragen. Ein Wechsel von der beitragsfinanzierten zur steuerfinanzierten Rente könnte eine Möglichkeit sein.

Für die Rente von morgen reicht der saarländischen Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer das Umlagesystem der gesetzlichen Rente schon lange nicht mehr. Es gelte das Drei-Säulen-Modell beizubehalten und zukunftsfähig auszubauen. Für sie gilt: „Eine auskömmliche Altersvorsorge ist nicht eine Frage schnelllebiger politischer Koalitionen, sondern ein Kernelement langfristiger Lebensplanung eines jeden Einzelnen.“ Auch Reinhard Kardinal Marx wünscht sich eine Reform der Rentenversicherung, generations- und sozialethisch gerecht. Unter anderem sollen Beitragserhöhungen vermieden, Eltern entlastet und insgesamt ein leistungsfähiges Konzept entwickelt werden, das sich an geänderte wirtschaftliche und soziodemografische Bedingungen flexibel anpasst.

Allgemeines Bewusstsein für Altersvorsorge schaffen

Grundsätzlich fehlt der Mehrheit der Bevölkerung ein Bewusstsein für die Eigenverantwortung in Fragen der Alterssicherung. Kein Wunder. Schon in der Schule wird ökonomisches und finanzielles Wissen nur spärlich gelehrt – und in den nicht betriebs- und volkswirtschaftlichen Studiengängen oft nur unzureichend darauf hingewiesen. Für IW-Chef Michael Hüther muss „Armutsprävention im Alter mit Armutsprävention im Erwerbsalter beginnen“. Auf den Prüfstein gehören für ihn die „Förderkulisse für die ergänzende Vorsorge, nicht aber das gesamte Gebäude der Alterssicherung“. Auch Maria Loheide, Vorstand der Sozialpolitik Diakonie Deutschland, will nicht Renten-Tabula-rasa machen, sondern plädiert für eine Reform. So schlägt sie unter anderem vor, die Attraktivität und die Leistungsgerechtigkeit des umlagefinanzierten Rentensystems weiterzuentwickeln – beispielsweise durch besser Honorierung der Pflege- und Erziehungsleistungen, durch Stärkung gesundheitlicher Prävention und Rehabilitation, durch bessere Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit und prekärer Beschäftigung.

Fazit

Das Buch besitzt eine bemerkenswerte Fülle provokanter und kluger Vorschläge zur Verbesserung unserer Altersvorsorge. Weitgehend Konsens findet die Idee, dass generationsgerechte Rentenpolitik ohne das Drei-Säulen-Modell im Grunde kaum denkbar ist – und dass auch jede Veränderung des Systems das Interesse aller Generationen berücksichtigen muss. Dennoch soll der Bürger auch mehr Eigenverantwortung für seine Altersvorsorge übernehmen.
Und: Was trotz aller Sorgen, um die finanzielle Absicherung eines jeden, doch auch klar wird, ist die Tatsache, dass Alterssicherungspolitik in Deutschland nicht nur immer schon Kern der Sozialpolitik war, sondern dass sie auch stets mit erstaunlicher Voraussicht diskutiert wurde – so wie in diesem Buch. Diesen Reflexions-Vorsprung gegenüber andern europäischen Ländern gilt es zu nutzen, und den klugen Gedanken der Experten nun auch gute Taten folgen zu lassen.

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