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Shoppen für eine bessere Welt: Wie viel Staat braucht der Konsument?

Das Nationale Programm für nachhaltigen Konsum will privaten Konsum zur politischen Handlung machen – ein Irrweg. Auch weil arme Menschen zum Konsumverzicht gedrängt werden.

Konsum ist zu einer komplizierten Angelegenheit geworden. Vorbei sind die Zeiten, als es nur darum ging, was einem gefällt oder schmeckt oder das Geld wert ist. Der moderne Verbraucher soll nicht nur an die eigene Gesundheit denken. Er soll auch die Natur, das Klima, das Tierwohl und die Interessen seiner nahe wie weit entfernten Mitmenschen berücksichtigen. Die Idee der Nachhaltigkeit soll seine Kaufentscheidungen leiten.
Zweifellos ist es eine positive menschliche Eigenschaft, nach Wegen zu suchen, die Welt in irgendeiner Weise besser zu machen und sich dafür zu engagieren. Die Frage ist, ob Konsum der richtige Weg ist. Und die zweite Frage ist, ob der Staat uns hier an die Hand nehmen muss.

Genau das tut er allerdings. Damit der Bürger lernt, wie man es richtig macht, und die nötigen Anreize erhält, gibt es seit Anfang 2016 das Nationale Programm für nachhaltigen Konsum (NPNK). Schreiben lassen hat es unsere Umweltministerin Barbara Hendricks. Die Botschaft lautet: Wir sollen so „konsumieren, dass die Bedürfnisbefriedigung heutiger und zukünftiger Generationen unter Beachtung der Belastbarkeitsgrenzen der Erde nicht gefährdet wird“. Das ist ein Imperativ mit zwei Unbekannten. Weder kennen wir die Bedürfnisse zukünftiger Generationen noch die planetaren Belastbarkeitsgrenzen. Zumindest gibt es bei beidem sehr unterschiedliche Auffassungen.

Das NPNK folgt fünf „Leitideen“. Und alle fünf zeigen, wie es um das Verbraucherbild der Bundesregierung bestellt ist. Es ist kein Verlass auf den Verbraucher. Deshalb muss man viel tun, um möglichst viele Menschen dazu zu bringen, Produkte zu konsumieren, die mit einem moralisch-ökologischen Zusatznutzen aufgeladen sind.

Erste Leitidee: „Verbraucherinnen und Verbrauchern einen nachhaltigen Konsum ermöglichen“

Nicht ums Verbieten, nicht ums Regulieren oder Verteuern soll es gehen. Sondern ums Ermöglichen. Wenn einer zum Beispiel Ökostrom verbrauchen will, dann kann er das nur, wenn ihm auch Ökostrom angeboten wird. Normalerweise führt eine solche Nachfrage zu einem Angebot. Ein unternehmerisch denkender Mensch sieht die Chance und stellt das gewünschte Produkt zur Verfügung. Aber was tun, wenn der Verbraucher das gute Gewissen miterwerben, den Aufpreis für den Ökostrom aber nicht entrichten will? Wenn man ihm also etwas ermöglicht, was er nicht wirklich will? Dann ist der Staat gefragt. Er verteilt die Kosten einfach auf alle Stromkunden. Jetzt können sich ein paar als verantwortungsbewusst betrachten, weil sie einen von hierzulande inzwischen über 8000 Ökostromtarifen gebucht haben. Der Rest gilt als unaufgeklärt und zahlt einfach nur.

Damit sich das ändert, muss dieser Rest mit Informationen und Bildungsangeboten versorgt werden, die relevant seien, „um das notwendige Wissen für mehr nachhaltigen Konsum erwerben zu können“, heißt es im NPNK. Aber Vorsicht: Es muss das richtige Wissen sein. Sonst entsteht Verwirrung. Deshalb muss auch die „Entscheidungskomplexität überschaubar“ bleiben und „Auswahlmöglichkeiten“ müssen begrenzt werden. Hier hilft zum Beispiel der Atomausstieg. Es wäre für den Verbraucher sonst arg kompliziert, die Vor- und Nachteile grundsätzlich unterschiedlicher Arten klimafreundlicher Stromerzeugung abzuwägen.

Zweite Leitidee: „Nachhaltigen Konsum von der Nische zum Mainstream befördern“

Wenn die Regierung Bioprodukte als nachhaltig betrachtet, aber die Leute kaufen trotzdem weniger als fünf Prozent Bio-Produkte, was kann man da tun? Wenn die Regierung beschließt, eine Million Elektroautos auf die Straße zu bringen, aber keiner ist bereit, sie zu kaufen, was kann man da tun? Man braucht ein Programm, um Bio-Produkte, Elektroautos oder Niedrigenergiehäuser aus der Nische in den Mainstream zu befördern. Laut NPNK kann die Politik „Richtung und Leitbilder vorgeben“ sowie „Anreize“ schaffen, also Werbekampagnen und Subventionen.

Was man dabei tunlichst vermeiden muss, ist die Frage zu stellen, ob Bio eigentlich besser für die Gesundheit ist, ob Elektroautos besser für die Umwelt und Wohnungen, in denen man die Fenster nicht öffnen darf, besser für die Bewohner sind. Und was macht die Regierung, wenn sie in jahrzehntelanger Forschung herausgefunden hat, dass gentechnisch veränderte Pflanzen gesundheitlich unbedenklich und ökologisch vorteilhaft sind? Dann setzt sie sich trotzdem für ein Verbot ein.

Dritte Leitidee: „Teilhabe aller Bevölkerungsgruppen an nachhaltigem Konsum gewährleisten“

Nachhaltig aufgeklärte, postmaterialistisch gesinnte Mittelschichtsmenschen wissen natürlich, wo man ein Hybridauto bestellt und wo man die dazugehörige Prämie beantragt. Sie kennen auch den Weg vom Loft in den Biomarkt. Und sie wissen, wo man Ablasszahlungen leisten kann, um die ganzen Flugreisen in klimaverträgliche Aktivitäten umzudefinieren. Aber wie ist das mit dem “einfachen Mann” und der “einfachen Frau” und ihren Cola trinkenden Kindern? Eine Idee wäre, ihnen am Monatsende das Durchschnittsgehalt eines Grünen-Wählers zu überweisen. Aber so denkt die Regierung nicht. Es geht darum, dass Arme arm bleiben und trotzdem beim nachhaltigen Leben mitmachen dürfen. Denn: „Durch energieeffiziente, ressourcenschonende und langlebige Produkte werden über einen längeren Zeitraum betrachtet finanzielle Einsparungen auch für Geringverdiener ermöglicht.“ Eine Spielkonsole kostet viel und veraltet schnell. Sie ist für den nachhaltigen Lebensstil nicht so geeignet. Ein solides Holzspielzeug dagegen, das kann man über Generationen vererben. Das spart über die Jahrhunderte eine Menge Geld.

Vierte Leitidee: „Lebenszyklus-Perspektive auf Produkte und Dienstleistungen anwenden“

Das klingt kompliziert. Was ist gemeint? Dass man sich ein Produkt über das gesamte Produktleben, vom Rohstoff bis zum Recycling, genau anschaut, um zu beurteilen, wie umwelt- und sozialverträglich es wirklich ist. Aber der Anspruch ist hoch. Zu hoch für den Verbraucher. Wir können nicht den kompletten Entstehungsprozess von Tausenden Produkten nachvollziehen und umfassend bewerten. Und eine Zertifizierungsindustrie kann es auch nicht. Deshalb sind akzeptable Arbeitsbedingungen, faire Bezahlung und Umweltschutzstandards Ziele, die in den Produktionsländern durch gesellschaftliche Auseinandersetzung erstritten werden müssen, und nicht etwas, was ein dem Ideal der Nachhaltigkeit folgender Konsument durch seine Produktwahl nebenbei erkaufen kann.

Fünfte Leitidee: „Vom Produktfokus zur Systemsicht und vom Verbraucher zum Nutzer“

Anders gesagt: Statt Produkte zu verbrauchen, sollen wir Systeme nutzen. Wir sollen keine Autos mehr kaufen, sondern Mobilitätsdienstleistungen nutzen. Nicht heizen, sondern durch geeignete Kleidung und Hausisolierung das Wärmebedürfnis befriedigen. Nicht eine Schweinshaxe verputzen, sondern ein nachhaltiges Esserlebnis (auf Schweinshaxen-Niveau, aber dann vegan) bestellen. Waschsalon statt Waschmaschine. Usw. usf.

Laut NPNK geht es um „nachhaltige Optimierungen ganzer Konsumsysteme“. So ein System strotzt geradezu vor Schrauben, an denen die Verbraucherpolitik mal zu drehen versuchen kann. Aber auch jeder ambitionierte Konsument ist hier gefragt, sich kraft seiner Verbrauchermacht einzubringen. Denn: „Das Verständnis von Konsum als System, d. h. die Betrachtung des individuellen Konsumhandelns als Teil eines komplexen sozio-technischen Gebildes aus angebots- und nachfragegetriebenen Komponenten, legt in vielen Handlungsfeldern neue Möglichkeiten für Bedürfnisbefriedigung, Ressourcenschonung und soziale Teilhabe frei.“

In dieser fünften Leitidee schwingt auch mit, dass Eigentum etwas Schlechtes sei. Eigentum, mit dem man tun und lassen kann, was man will, bedeutet Freiheit. Einen krassen Gegensatz dazu bildet die Vorstellung, nur Nutzungsrechte innerhalb eines staatlich regulierten oder gar administrierten Gütersystems erwerben zu können. Den gleichen Freiheitsentzug erleidet auch der Unternehmer. Er kann nicht mehr einfach ein Produkt erfinden und auf dem Markt anbieten. Er muss Komponenten liefern, die sich ins System fügen.

Konsumverzicht der Massen

Das Leitbild der Nachhaltigkeit transportiert heute in erster Linie das Ideal des Verzichts. Es soll an allem gespart werden. Weniger essen, weniger putzen, weniger heizen, weniger reisen. Zufriedenheit soll vor allem aus dem Bewusstsein der vorbildlichen Lebensweise gezogen werden. Letztlich will man aber den eigenen Lebensstandard nicht wirklich senken. Ein paar symbolische Handlungen und ein bisschen Ablasszahlung müssen hier reichen – nicht umsonst ist der sogenannte CO2-Fußabdruck bei den finanzstarken Grünen-Wählern am größten. Die wahre Sorge, die die Kämpfer für nachhaltigen Konsum umtreibt, ist die Vorstellung, dass Milliarden ärmere Menschen dieser Welt mit gutem Recht ihren Lebensstandard anstreben. Die Vision vom nachhaltigen Konsum des gut situierten westlichen Mittelschichtsmenschen geht stets einher mit der Parallelvision des nachhaltigen Konsumverzichts der Massen. Ein zukunftsfähiges Leitbild für das 21. Jahrhundert ist das nicht.

Dieser Beitrag ist zuerst im Magazin Novo Argumente erschienen.

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