BuchkritikTagged , , ,

Homo Deus: Heil durch Algorithmen und Gene? (Buchkritik)

Früher gingen Humanisten in eine Bücherei und wählten frei einen Titel. Heute gehen „Dataisten“ zu Amazon und Google und lassen sich bevormunden. Der Historiker Yuval Noah Harari zeichnet in seinem neuen Buch kein allzu sympathisches Bild von der schönen, neuen Welt. Schon heute wissen Datenkonzerne alles über uns, steuern die Menschen und empfehlen den Partner fürs Leben. Die Ära der Computer-Algorithmen wirft uns zurück in eine „niedrige Lebensform“. Yuval Noah Harari: Homo Deus – eine Geschichte von Morgen, C.H. Beck, München 2017

Im mittelalterlichen Europa, schreibt der Historiker Yuval Noha Harari in seinem neuen Buch „Homo Deus“, hatten Priester und Eltern die Macht, den Ehepartner auszuwählen. In einer „dataistischen“ Gesellschaft fragen die Menschen Google nach dem Sinn des Lebens, Partnerportale nach der Liebe des Lebens und Facebook nach dem Tod eines „Freundes“. Und ganz gleichgültig, ob Liebe, Tod, Kultur oder Aktienkurse – der „Dataismus, die interessanteste Religion, die gerade entsteht“, macht alles gleichförmig, alles wird in Datenwolken beschrieben, einer gemeinsamen Sprache. Uniformität wird informationell hergestellt. Die Gefahr: Ein derartig manipulierbares und zugleich konformes System, das allein den Daten huldigt und das „weder Götter noch Menschen verehrt“, ist höchst attraktiv für totalitäre Ideologien und Organisationen.

Harari trumpft nach seinem vor vier Jahren erschienenen Bestseller mit dem koketten Titel „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ auch in seinem neuen Buch zunächst episch gewaltig auf – 540 Seiten Lektüre. Doch dieses Mal geht es – wie schon der Untertitel sagt – um die „Geschichte von Morgen“. Und Hararis Morgen ist für uns heute schwer gewöhnungsbedürftig: Unser freier Wille ist in Gefahr, der Liberalismus wird sich als Leitprinzip deutlich schwerer tun. Wenn im Zeitalter von Daten und Algorithmen „die Massen ihre wirtschaftliche Bedeutung verlieren, mögen Menschenrechte und Freiheiten weiterhin moralisch gerechtfertigt sein, aber werden moralische Argumente ausreichen?“, fragt der Autor. Roboter und Computer werden, so Harari, die Menschen bei den meisten Aufgabe ersetzen.

Seine Prognose: Wir werden eines Tages kein besseres Leben führen als unsere heutigen Nutztiere – und eine rein dienende, „niedrige Lebensform“ ertragen müssen.

„Die Vorstellung, Menschen würden immer über eine einzigartige Fähigkeit verfügen, die für nicht-bewusste Algorithmen unerreichbar ist, ist reines Wunschdenken“, meint der Autor. Wir werden als „Datensklaven“ in der Big-Data-Welt agieren, kontrolliert von den Datengeheimdiensten, manipuliert von den großen Technologiefirmen aus dem Silicon Valley. Wie einst im alten Ägypten, in dem nur Priester und Schreiber Zugang zu Wissen hatten, werden in Zukunft die Führungseliten dieser Tech-Konzerne der Mehrheit der Menschen das Denken und Handeln abnehmen.

Heil durch Algorithmen und Gene

So schlummern die neuen radikalen Religionen nicht in den Höhlen Afghanistans oder in den Koranschulen des Nahen Ostens. Sondern sie kommen aus den Forschungslaboren:  „So wie der Sozialismus die Welt eroberte, weil er Erlösung durch Dampf und Elektrizität versprach“, so würden in den kommenden Jahrzehnten neue Tech-Religionen die Welt erobern, weil sie „Heil durch Algorithmen und Gene versprechen“, glaubt Harari. So sind für ihn auch die freie Marktwirtschaft und der staatliche gelenkte Kommunismus keine konkurrierenden Ideologien mehr – und werden auch keine moralischen Überzeugungen mehr bieten können. Vielmehr wird es sich zukünftig um konkurrierende Datenverarbeitungssysteme handeln, spekuliert der Autor. „Der Kapitalismus setzt auf verteilte Verarbeitung, während der Kommunismus auf eine zentralisierte Verarbeitung vertraut.“

Der Mensch als Datensklave – wäre das so schlimm? Oder so anders als in früheren Systemen? Wollten nicht schon immer Menschen auch einfach nur ihr Leben leben, unbehelligt im Fluss der vielen Leben – in aktuellen Fall einem Datenfluss? Nicht dass das zu empfehlen wäre – aber war das Individuum nicht immer schon nur ein kleiner Chip im Meer der Geschichte? Und gibt es nicht auch Vorteile des Datenflusses, wie beispielsweise Wikipedia, die kreative Plattform Tausender schlauer Geister?

Harari lässt solche Fragen offen. Für ihn geht es darum, den Ursprüngen „unserer gegenwärtigen Konditionierung“ nachzuspüren und „uns in die Lage zu versetzen, weit fantasievoller als bisher über unsere Zukunft nachzudenken“. Es gibt für ihn kein einzelnes Zukunftsszenario, sondern nur einen großen Strauß an Möglichkeiten. Denn letztlich wisse niemand, „wie der Arbeitsmarkt, die Familie oder die Ökologie im Jahr 2050 aussehen und welche Religionen, Wirtschaftssysteme oder politischen Strukturen die Welt beherrschen werden“, schreibt der Autor auf der vorletzten Seite seines Buches. Ein wirklich zukunftsweisendes Fazit sieht allerdings anders aus.

Fazit

Der Autor ist ein virtuoser Erzähler. Sein Buch ist voller Anekdoten, profundem Wissen, treffender, klarer und humorvoller Sprache und Gedanken und damit sicher ein Lesegenuss. „Homo Deus“ dient der „Horizonterweiterung“, wie Harari sagt. Ob jedoch eine solche Abhandlung über „das Morgen“, als Sachbuch deklariert, gerade in diesem epischen, oft nur spekulativen Ausmaß wirklich aussagekräftig ist, ist zu bezweifeln. Zu individuell und vage sind Hararis Überlegungen. Dass manche Kritiker dem Autor vorwerfen, viel „heiße Luft“ ins Buch gepumpt zu haben, ist übertrieben. Doch von dem Vorwurf, auf Gedeih und Verderb einen wie auch immer gearteten Bestseller mit vielen Seiten produziert haben zu wollen, kann sich Harari nicht befreien.

Keinen Ökonomen-Blog-Post mehr verpassen? Folgen Sie uns auf Facebook und Twitter, und abonnieren Sie unseren WhatsApp-Nachrichtenkanal, RSS-Feed oder unseren Newsletter.