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Länger leben: Die Auswirkungen eines großen Glücks auf die deutsche Rentenversicherung

Obwohl die Deutschen immer älter werden, arbeiten sie kaum länger. Das muss sich dringend ändern, sonst ist das Rentensystem auf Dauer nicht zu finanzieren. // In einer vierteiligen Serie beleuchten wir, wie Politik auf Kosten der jüngeren Generation gemacht wird. Im ersten Teil geht es um die Frage nach dem angemessenen Renteneintrittsalter.

Vor 40 Jahren hatten Jungen bei der Geburt eine Lebenserwartung von knapp 70 Jahren, Mädchen von gut 76 Jahren. Heute werden Männer fast neun Jahre älter, und auch Frauen leben sieben Jahre länger. Weil das Renteneintrittsalter gleichzeitig aber kaum angepasst wurde, ist die Anzahl der Jahre, in denen die Deutschen Rente beziehen, ebenfalls immer weiter gestiegen. Schon heute erhalten Senioren im Schnitt 19 Jahre lang ihre Rente – das sind gut sieben Jahre mehr als 1980. Dies führt dazu, dass immer mehr Rentnerjahrgänge gleichzeitig aus dem Beitragstopf finanziert werden müssen:

Allein von 1995 bis 2015 ist die Zahl der Altersrenten um fast fünf Millionen auf 18 Millionen gestiegen.

Und die Rentnerzahlen werden weiter wachsen: Das Statistische Bundesamt rechnet bis 2060 mit einem weiteren Anstieg der Lebenserwartung um sechs beziehungsweise fünf Jahre auf dann knapp 85 Jahre für Männer und 89 Jahre für Frauen. Hinzu kommt: Von jetzt an geht die große Generation der Babyboomer nach und nach in Rente. Während die Zahl der über 65-Jährigen laut der Bevölkerungsprognose des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln schon bis 2035 um 6,5 Millionen zunehmen wird, geht die der Menschen im erwerbsfähigen Alter im selben Zeitraum um 4,5 Millionen zurück.

Das zahlenmäßige Verhältnis zwischen jenen Menschen, die arbeiten können, und jenen, die es nicht mehr tun, verschiebt sich dramatisch. Im Jahr 2035 kommen auf einen Rentner nur noch zwei Erwerbsfähige, die dessen Altersversorgung erwirtschaften müssen. Heute stemmen diese Aufgabe immerhin noch rund drei 20- bis 64-Jährige.

Um die Einnahmen- und Ausgabenseite der gesetzlichen Rentenversicherung in der Balance zu halten, gibt es im deutschen Rentenversicherungssystem prinzipiell drei Stellschrauben:

  1. Man kann die Beitragssätze erhöhen – das belastet die Generation der Erwerbstätigen.
  2. Man kann das Rentenniveau absenken. Das heißt, das Verhältnis von Renten zu Durchschnittslöhnen würde sich verschlechtern. Auch wenn dies natürlich nicht bedeutet, dass die Renten sich absolut verringern, ginge diese Absenkung doch auf Kosten der Älteren.
  3. Man kann das gesetzliche Rentenalter heraufsetzen. Finanzielle Einbußen erleidet in diesem Fall niemand – im Gegenteil: Wer länger arbeitet, erwirbt höhere Rentenansprüche. Und die Finanzierung der Renten wäre bei weniger Rentnern und mehr Erwerbstätigen zumindest so weit gesichert, dass das Rentenniveau nicht gesenkt werden müsste.

Es führt also kein Weg daran vorbei, das Renteneintrittsalter an die Entwicklung der Lebenserwartung anzupassen. Zunächst bedeutet dies, dass die Rente mit 67 Jahren wie geplant umgesetzt werden muss: Nach dem Beschluss der Bundesregierung von 2007 steigt der reguläre Rentenbeginn derzeit schrittweise, bis er ab 2031 für alle Neurentner bei 67 Jahren liegt.

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Außerdem sollte die abschlagfreie Rente mit 63 Jahren so schnell wie möglich wieder rückgängig gemacht werden – treibt sie doch viele Erwerbsfähige in den vorgezogenen Ruhestand: Im Jahr 2013 verabschiedeten sich gerade einmal 16.000 langjährig Versicherte mit mindestens 45 Versicherungsjahren im Alter von 63 oder 64 Jahren aus dem Arbeitsleben. Dann wurde diese Versichertengruppe Mitte 2014 von den Abschlägen für den vorzeitigen Rentenbeginn befreit. Daraufhin explodierte die Zahl der Anträge: 2015 wollten mehr als 274.000 langjährig Versicherte die Rente mit 63 in Anspruch nehmen – 17-mal so viele wie zwei Jahre zuvor.

Ab 2030 sollte das Renteneintrittsalter an die Lebenserwartung gekoppelt werden und zwar – wie der Münchener Rentenexperte Axel Börsch-Supan vorschlägt – in einem Verhältnis von zwei zu eins. Eine um zwölf Monate gestiegene Lebenserwartung würde demnach das gesetzliche Renteneintrittsalter um acht Monate erhöhen. Dann verlängert sich das Arbeitsleben um eben diese acht Monate – die Zeit des Ruhestands aber ebenfalls um vier Monate. So bliebe auch die Relation von Erwerbsphase zu Rentenphase gewahrt, der Beitragssatz ließe sich bis 2060 stabil bei ungefähr 22 Prozent halten, und das Rentenniveau wäre sogar einen Prozentpunkt höher als nach der heutigen Regelung.

Nicht vergessen werden dürfen bei dieser Anpassung allerdings die Erwerbsminderungsrenten: Die sogenannte „Zurechnungszeit“ – ein hypothetischer Rentenbeginn, auf dessen Basis die Erwerbsminderungsrenten kalkuliert werden – muss parallel zum gesetzlichen Renteneintrittsalter heraufgesetzt werden. Andernfalls würden die betroffenen nicht erwerbsfähigen Menschen dauerhaft schlechter gestellt.

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