SozialesTagged , ,

Am Ziel vorbei: Warum die Lebensleistungsrente die soziale Gerechtigkeit nicht verbessert

Hinter der Idee der Lebensleistungsrente stecken ehrenwerte Absichten: Wer viele Jahre lang Beiträge gezahlt hat, soll im Alter nicht auf Grundsicherung angewiesen sein. Doch manchmal ist „gut gemeint“ eben genau das Gegenteil von „gut gemacht“. // In einer vierteiligen Serie beleuchten wir, wie Politik auf Kosten der jüngeren Generation gemacht wird. Im zweiten Teil geht es um die sogenannte Lebensleistungsrente.

Die damalige Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen hatte sich die sogenannte Zuschussrente für Geringverdiener schon in der vergangenen Legislaturperiode ausgedacht. Im Koalitionsvertrag von 2013 wurde daraus dann die „solidarische Lebensleistungsrente“. Dabei ging es im Kern darum, die Rentenansprüche von langjährigen Beitragszahlern mit weit unterdurchschnittlichen Arbeitseinkommen auf 30 Entgeltpunkte aufzuwerten. Das hätte einem Arbeitsleben mit 30 Jahren Durchschnittsverdienst entsprochen und derzeit eine monatliche Rente rund 900 Euro ergeben.

Dahinter steckte der Gedanke, dass jemand, der sein ganzes Leben Rentenbeiträge gezahlt hat, im Alter über mehr als die Grundsicherung verfügen soll. Deren Regelsatz liegt 2017 bei 409 Euro für Alleinstehende, dazu kommen regional angemessene Wohnkosten, die Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung sowie ein eventueller Mehrbedarf. Finanziert werden sollte diese Rentenaufstockung aus einem Steuerzuschuss an die Rentenversicherung.

Die derzeitige Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles hält nach wie vor an der Idee fest, hat das Konzept aber gründlich umgemodelt – und es Solidarrente getauft: Diese sieht nun vor, jedem Beitragszahler mit mindestens 35 Versicherungsjahren eine Rente zu gewähren, die zehn Prozent über dem regionalen Grundsicherungsniveau liegt. Weil auf diese Weise zumindest eine Orientierung am Bedarf gegeben wäre, will Nahles auf die bürokratische individuelle Bedürftigkeitsprüfung verzichten. Nachdem es nicht gelungen ist, die Lebensleistungsrente noch in der laufenden Legislaturperiode durchzusetzen, wird sie als Solidarrente wohl Eingang in das Wahlprogramm der SPD finden.

Doch so anständig und gerecht wie die Idee der Solidar- oder Lebensleistungsrente vordergründig klingen mag, so wenig ist sie es tatsächlich. Das Konzept krankt gleich an mehreren Ecken und Enden – und kann Altersarmut nicht treffsicher verhindern:

Die Solidarrente würde auch Menschen begünstigen, die gar nicht bedürftig sind. Längst nicht alle, deren gesetzlicher Rentenanspruch nach 35 Beitragsjahren unter Grundsicherungsniveau liegt, müssen in Armut leben. Dies gilt zum Beispiel für Frauen, die aus familiären Gründen stets Teilzeit gearbeitet haben, aber zusammen mit ihrem Ehemann durchaus über eine auskömmliche Rente verfügen. Andere haben so viel Vermögen aufgebaut oder geerbt, dass sie im Alter ausreichend abgesichert sind.

Die Solidarrente diskriminiert viele eigentlich Bedürftige, die ebenfalls auf eine beachtliche Lebensleistung zurückblicken können. Alle Konzepte zur Lebensleistungsrente waren an die Zahl der Beitragsjahre gekoppelt, so auch die neueste Version von Arbeitsministerin Nahles. Doch das lässt jene Menschen außen vor, denen es aus verschiedenen Gründen nicht gelingen konnte, 35 Beitragsjahre anzusammeln, darunter zum Beispiel: Selbstständige, die außerhalb der Rentenkasse vorgesorgt haben, deren Ersparnisse im Alter dann aber doch nicht reichen, oder alleinerziehende Mütter und Väter, die keinen Job finden, der sich mit den Betreuungszeiten in Kindergärten und Schulen zusammenbringen lässt. Die Lebensleistung dieser Menschen ist jedoch nicht weniger wert als die von Geringverdienern, die viele Jahre lang kleine Beiträge in die Rentenkasse eingezahlt haben. Werden Letztgenannte nun im Alter stärker aus Steuergeldern unterstützt als etwa Alleinerziehende, könnte man mit Fug und Recht von Diskriminierung sprechen. Und apropos: Was ist mit denjenigen, die auf Beitragszeiten von 34 Jahren und elf Monaten kommen? Nach dem Nahles-Konzept wären auch sie nicht unterstützungswürdig.

[renten-kampagne]

Die Solidarrente würde das Prinzip der Leistungsgerechtigkeit aushebeln. Das Problem an der Idee von der Lebensleistungsrente ist schlicht und einfach, dass sie zwei Systeme mit unterschiedlichen Funktionen vermengt:

  • Die gesetzliche Rente soll die beitragspflichtigen Einkommen im Alter bis zu einem gewissen Prozentsatz verstetigen und orientiert sich daher strikt an den eingezahlten Beiträgen: Wer viel einzahlt, erwirbt hohe Rentenansprüche – wer wenig einzahlt, bekommt später eine kleine Rente. Das entspricht dem Grundsatz der Leistungsgerechtigkeit, kann aber nicht gewährleisten, dass damit automatisch auch der Grundbedarf zum Leben abgedeckt ist.
  • Grundsicherung im Alter können dagegen all jene bekommen, denen es – ganz gleich aus welchen Gründen – nicht gelungen ist, sich im Rahmen einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung ausreichende Rentenansprüche zur Sicherung ihres Existenzminimums im Alter zu erarbeiten. Der Bezug von Grundsicherung ist jedoch daran gekoppelt, dass sich die Betroffenen nach der Prüfung ihrer gesamten Einkommens- und Vermögensverhältnisse als bedürftig erweisen.

Die Bedürftigkeitsprüfung ist dem verantwortungsvollen Umgang mit den Steuergeldern geschuldet – und genau der ließe sich der Lebensleistungsrente nicht attestieren.

Keinen Ökonomen-Blog-Post mehr verpassen? Folgen Sie uns auf Facebook und Twitter, und abonnieren Sie unseren WhatsApp-Nachrichtenkanal, RSS-Feed oder unseren Newsletter.