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Liberalismus „light“ für Frankreich

Kaum ein Land in Europa verändert sich gerade mit einer solchen Begeisterung wie Frankreich. Mit Emmanuel Macron haben die Franzosen einen Präsidenten gewählt, der wie kein anderer für diesen gewollten Wandel steht. Doch wie soll ihm dieser gelingen? Christian Schubert: Der neue französische Traum – wie unser Nachbar seinen Niedergang stoppen will. Frankfurter Allgemeine Buch, Frankfurt Main 2017

Mit der Wahl von Emmanuel Macron – dem Bourgeois-Bohèmien, kurz auch Bobo genannt – haben sich die Franzosen für eine neue politische Richtung entschieden: die Mitte. Der klassische Regierungswechsel vom linken zum rechten Lager ist erst einmal beendet. Macrons Ziel ist es, an die Zeit des französischen Wirtschaftswunders anzuknüpfen, die nach dem Zweiten Weltkrieg begann und etwa 30 Jahre andauerte. Doch wie soll das gehen? Mit Parlamentariern und Ministern, die mehr oder weniger nicht aus dem politischen Betrieb, sondern aus der Zivilgesellschaft stammen? Die Aufgabe wird schwierig. Doch Macron, der jüngste Machthaber Frankreichs seit Napoléon Bonaparte, scheint trotz seiner erst kurzen politischen Karriere den notwendigen Willen zum Wandel zu besitzen. Das zeigt die Tatsache, dass er nach dem Gewinn der absoluten Mehrheit im Parlament im Juni 2017 mehr oder weniger rigide vier Kabinettsmitglieder ausgetauscht hat.

Die Herausforderungen sind gewaltig: Zu bewältigen sind die hohe Arbeitslosigkeit, die vernachlässigte Jugend in den Vorstädten, das Sterben der Industrie, die Überregulierung der Unternehmen von der Arbeitszeit bis zum Kündigungsschutz, die notorisch oppositionellen Gewerkschaften, der teure und überbesetzte Staatsapparat, die hohen Sozialausgaben und Steuern – und vor allem die übermäßige Staatsverschuldung. Wie das funktionieren könnte, zeigt Christian Schubert in seinem nun erschienenen Buch „Der neue französische Traum – wie unser Nachbar seinen Niedergang stoppen will“.

Schubert wirft in seinem mit Schwung geschriebenen Werk zunächst einen Blick zurück: auf die glorreichen Jahre der Grande Nation, vor allem auf die 70er Jahre, in denen Frankreich weltweit die Speerspitze des technischen Fortschritts darstellte. Die Franzosen strotzten auch in den 80er Jahren noch vor Selbstbewusstsein – bis zum 25. Juli 2000. Eine kleine Titan-Lamelle zerstörte das bereits kränkelnde Selbstverständnis unserer Nachbarn endgültig. Die Lamelle lag auf dem Runway des Pariser Flughafens Roissy-Charles de Gaulle und reichte aus, um einen Reifen des Überschallflugzeugs „Concorde“ beim Überfahren zum Platzen zu bringen und dadurch die Kerosintanks in Brand zu setzen. Bei der schrecklichen Katastrophe starben 113 Menschen. Die Finanzkrise 2007 und 2008 setzte dem Krisen-Fass schließlich die Krone auf. Heute ist die Wettbewerbsfähigkeit Frankreichs in einem „teuflischen Viereck“ gefangen, schreibt Christian Schubert, bestehend aus hoher Staatsverschuldung, hohen Staatsausgaben, hoher Steuerbelastung und hoher Arbeitslosigkeit.

Schubert, ein erfahrener Journalist und Frankreichkenner, stellt in seinen Analysen und Darstellungen stets den Vergleich zu Deutschland her – ob beim Arbeitsmarkt, der Privatisierung oder dem Einfluss des Staates. Die Franzosen stehen bekanntermaßen viel stärker als die Deutschen voller Überzeugung hinter den staatlichen Interventionen. Sie sehen sie als ein wichtiges Steuerinstrument der Wirtschaftspolitik. Und doch kommt Schubert auch zu dem (für deutsche Leser) überraschenden Ergebnis, dass es in der Bundesrepublik tatsächlich mehr Staatsunternehmen gibt als beim großen westlichen Nachbarn. Dieser Unterschied stammt vor allem aus dem großen Unternehmensbesitz der deutschen Kommunen und Länder.

Macron hat angekündigt, dass er vor allem wieder stärker die Wirtschaft privatisieren möchte. Allein schon aus finanziellen Gründen, schreibt Schubert, ist dieser Weg sinnvoll, denn der französische Staat braucht Geld. Allerdings wird Frankreich wohl „seinen Instinkt der Staatsinterventionen nicht mit einem Schlag verlieren“. Denn die französische Öffentlichkeit erwartet von ihrer politischen Führung, dass sie den großen Unternehmen den Weg weist – besonders, wenn es um symbolträchtige Konzerne geht. Schubert schlussfolgert: Macrons wirtschaftsliberale Grundhaltung ergänzt das typisch französische Vertrauen in den Staat. Der neue Präsident sieht den Staat nicht als dauerhaften Supervisor, sondern als Reparaturbetrieb für soziale Härten und die Folgen von möglicherweise wieder aufkommenden Marktexzessen. Schubert: „Ein Liberalismus light soll in Frankreich Einzug halten.“

Fazit

Ein informativ und verständlich geschriebenes Buch über den großen Wandel in Frankreich. Es schöpft aus der Geschichte Frankreichs und zeigt die Risiken und Erwartungen der französischen Wirtschaftspolitik. Das Buch ist allen zu empfehlen, denen etwas an Frankreich liegt.

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