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Ein Blick in die Zukunft: So wirkt sich die Rente mit 70 auf Beitragssatz und Rentenniveau aus

Wer eine Anhebung des Rentenalters vorschlägt, um die gesetzliche Rente abzusichern, erntet vor allem eins: erbosten Widerspruch. Das Institut der deutschen Wirtschaft Köln hat nun berechnet, was diese Maßnahme dem Rentensystem bringen würde. Ein Beitrag zur Versachlichung der Debatte.

Deutschland ist auf dem Weg in die Rentnerrepublik – daran ändert auch die Zuwanderung überwiegend junger Flüchtlinge kaum etwas. Denn dass die rund 20 Millionen sogenannten Babyboomer, die in den Jahren 1955 bis 1969 geboren wurden, nun nach und nach in den Ruhestand gehen, können die Migranten nur ansatzweise kompensieren. Im Jahr 2035 wird in Deutschland etwa jeder vierte Einwohner älter als 67 Jahre sein, heute ist es nicht einmal jeder fünfte.

Das schlägt sich auch in der gesetzlichen Rentenversicherung nieder: Tendenziell müssen immer weniger Beschäftigte für eine wachsende Zahl an Rentnern aufkommen. Dadurch steigt der finanzielle Druck auf die Rentenkasse. Und weil das nicht erst seit gestern abzusehen ist, hat der Gesetzgeber schon vor Jahren einige Weichen in der Rentenversicherung umgestellt:

  • Seit der Rentenreform von 2001 ist eine sogenannte doppelte Haltelinie gesetzlich festgeschrieben: Der Rentenbeitragssatz darf bis 2030 nicht über 22 Prozent steigen. Das Nettorentenniveau vor Steuern – also das Verhältnis von Standardrente zu Durchschnittslohn – wird zwar sinken, es darf allerdings nicht unter 43 Prozent fallen. Die entstehende Versorgungslücke soll mithilfe einer privaten, teils staatlich geförderten Altersvorsorge geschlossen werden.
  • Seit 2005 sorgt der Nachhaltigkeitsfaktor in der Rentenanpassungsformel dafür, dass die jährliche Anpassung der gesetzlichen Renten geringer ausfällt, wenn sich die Relation von Beitragszahlern zu Rentnern verschlechtert.
  • Im Jahr 2007 schließlich hat die Bundesregierung die Einführung der Rente mit 67 beschlossen: Seit dem Jahr 2012 steigt das Renteneintrittsalter jedes Jahr um einen Monat, ab 2025 um zwei Monate an, bis von 2031 an für alle Neurentner eine Regelaltersgrenze von 67 Jahren gilt.

Doch der demografische Wandel ist im Jahr 2030 längst nicht abgeschlossen. Es sind noch nicht alle Babyboomer in Rente. Außerdem setzt sich der Anstieg der Lebenserwartung fort – und treibt die Ausgaben der Rentenversicherung nach oben, weil er die Rentenbezugszeit verlängert. Es liegt auf der Hand, dass dieser Entwicklung am einfachsten mit einer weiteren Anhebung des gesetzlichen Rentenalters beizukommen wäre. Eine Verschiebung der Regelaltersgrenze bewirkt nämlich nicht nur, dass es weniger Rentenempfänger gibt, sondern auch, dass die Zahl der potenziellen Beitragszahler steigt. Mit diesem Ansatz ist die Hoffnung verbunden, dass sich eine Erhöhung des Beitragssatzes, die die jüngeren Generationen belasten würde, ebenso vermeiden ließe wie eine weitere Absenkung des Rentenniveaus auf Kosten der älteren Generationen.

Doch wie wirkt sich ein späterer Rentenbeginn konkret auf Beitragssatz und Rentenniveau aus? Diesen Zusammenhang hat das Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) nun in einer Simulation untersucht. Um die Entwicklung der Beitragseinnahmen und die Ausgaben der Rentenversicherung bis zum Jahr 2045 plausibel herleiten zu können, ist eine ganze Reihe von Parametern zu prognostizieren – angefangen vom altersspezifischen Anteil der Beitragszahler an der Bevölkerung über die beitragspflichtigen Entgelte und den Steuerzuschuss des Bundes bis hin zu den Rentenansprüchen. Das alles ist komplex – unter anderem auch deshalb, weil politische Reformen wie die Angleichung der Ost- an die Westrenten berücksichtigt werden müssen. Was genau wie in die IW-Simulation eingeflossen ist, lässt sich im wissenschaftlichen Paper dazu nachvollziehen.

In dem so aufgebauten Rechenmodell wurden schließlich verschiedene Szenarien für die Regelaltersgrenze durchgespielt. Zum besseren Verständnis der erfreulichen, aber keineswegs spektakulären Ergebnisse sollte man im Hinterkopf haben, dass ein höheres Renteneintrittsalter sowohl einen Einnahmen- als auch einen Ausgabeneffekt in der Rentenversicherung nach sich zieht: Wenn sich das Verhältnis von Rentnern zu Beitragszahlern zugunsten der Letztgenannten verschiebt, steigen zunächst die Einnahmen der Rentenkasse, während ihre Ausgaben sinken. Mittelfristig nehmen die Ausgaben jedoch wieder zu, weil diejenigen, die später in den Ruhestand wechseln, höhere Rentenansprüche erwerben. Dies relativiert die Entlastung des Rentensystems zwar ein wenig, macht sie aber nicht zunichte, wie der Blick ins Jahr 2045 zeigt.

Szenario 1: Der offizielle Rentenbeginn wurde 2015 bei 65 Jahren eingefroren. Er steigt also anders als gesetzlich vorgesehen nicht bis auf 67 Jahre. Im Jahr 2045 würde dann noch immer die Altersgrenze von 65 Jahren für die Rente gelten. Das Ergebnis: Im Jahr 2045 kämen auf jeden Ruheständler gerade einmal 1,2 Beitragszahler. Der Beitragssatz würde von heute 18,7 auf 23,5 Prozent klettern, das Rentenniveau von derzeit 47,9 Prozent auf 43,7 Prozent fallen.

Szenario 2: Es bleibt bei der Rente mit 67. Das Rentenzugangsalter wird gemäß der aktuellen Gesetzeslage bis 2031 auf 67 Jahre angehoben und bleibt danach konstant. Dadurch verbessert sich das Verhältnis von Beitragszahlern zu Rentnern im Jahr 2045 auf 1,3 zu 1, der Beitragssatz beträgt „nur“ 22,6 Prozent, und das Rentenniveau liegt noch bei 44,6 Prozent.

Szenario 3: Es kommt die Rente mit 70. Nach 2031 steigt das Rentenzugangsalter im Vierjahresrhythmus um ein Jahr, bis es 2043 bei 70 Jahren liegt. Im Jahr 2045 könnten dann immerhin noch gut 1,4 Beitragszahler einen Rentner finanzieren. Ein Rentenniveau von 45,4 Prozent ließe sich mit einem Beitragssatz von 20,1 Prozent halten – dieser bliebe also weiterhin deutlich unter der bis 2030 geltenden Obergrenze von 22 Prozent.

Auch in den Jahren vor 2045 würde eine Altersgrenze von 70 Jahren die Rentenkasse bereits spürbar entlasten.

Die IW-Simulation zeigt also, dass es etwas bringt, das Rentenalter heraufzusetzen. Sie zeigt aber auch, dass die Auswirkungen des demografischen Wandels nicht vollständig kompensiert würden. Letztlich kann ein späterer Rentenbeginn ohnehin nur dann den gewünschten Effekt erzielen, wenn die Menschen tatsächlich bis zur Rente erwerbstätig sind – und nicht arbeitslos. Das Heraufsetzen des Rentenalters muss also unter anderem von einem verstärkten Augenmerk auf Weiterbildung und Gesundheitsmanagement begleitet werden, und zwar sowohl auf Seiten der Unternehmen als auch auf Seiten der Beschäftigten.

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