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Welche Reformen Deutschland jetzt braucht!

In der aktuellen Legislaturperiode sind wichtige Reformen ausgeblieben. Dafür wurden mit der Rente mit 63, der Mietpreisbremse und der Mütterrente Gesetze verabschiedet, die der mehr Schaden als Nutzen verursachen. Welche Reformen Deutschland jetzt braucht, um auch in Zukunft wettbewerbsfähig zu bleiben, schreiben Dr. Susanne Cassel und Dr. Tobias Thomas.
Dr. Susanne Cassel und Dr. Tobias Thomas

Autor/Autorin

Dr. Susanne Cassel und Dr. Tobias Thomas

sind Vorsitzende bei Econwatch, einer gemeinnützigen und unabhängigen Organisation, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, verständlich und wissenschaftlich fundiert über Wirtschaftspolitik zu informieren und Reformmöglichkeiten aufzuzeigen.

Der folgende Policy-Brief (.pdf) entstand auf Grundlage des Econwatch-Meetings „Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit sichern – Welche Reformen Deutschland braucht“ mit Prof. Dr. Lars Feld (Walter Eucken Institut und Sachverständigenrat). Das Video wurde im Vorfeld der Veranstaltung aufgenommen.

Deutschland steht im Jahr der Bundestagswahl gut da. Die Wirtschaft wächst und die Beschäftigung befindet sich auf einem Allzeithoch. Allerdings sind in der laufenden Legislaturperiode Strukturreformen zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit weitgehend ausgeblieben. Im Gegenteil: Viele der umgesetzten Maßnahmen wie Mindestlohn, Mütterrente, Rente mit 63 und Mietpreisbremse zeigen in die falsche Richtung. Angesichts des demographischen Wandels oder der Herausforderungen durch die Zuwanderung wäre es gerade in der aktuell guten wirtschaftlichen Lage notwendig, Reformen umzusetzen, die die Wettbewerbsfähigkeit stärken und die Zukunftsfähigkeit nachhaltig sichern. Dazu zählen u. a. der Abbau der Staatsverschuldung, eine Steuerreform, welche die stetige Mehrbelastung der Haushalte durch die kalte Progression beendet, und eine Kopplung des gesetzlichen Renteneintrittsalters an die fernere Lebenserwartung. Zudem muss mit einer besseren Bildungspolitik endlich mehr Chancengerechtigkeit erreicht werden.

Gesamtwirtschaftlich geht es Deutschland aktuell so gut wie nie: Das Wirtschaftswachstum liegt sowohl in Deutschland wie auch im Euro-Raum über dem Potenzialwachstum. Deutschland befindet sich in einer Situation der Überauslastung, in der Bauwirtschaft zeigen sich sogar Überhitzungstendenzen. Die Zahl der Arbeitslosen hat sich seit dem Jahr 2005 halbiert und liegt mit weniger als 2,5 Millionen Personen auf einem langjährigen Tiefstand. Mehr als 44 Millionen Menschen sind erwerbstätig, und auch die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten steigt kontinuierlich. Die gesamtstaatliche Schuldenquote nähert sich nach wesentlich höherem Stand wieder der im Maastricht-Vertrag vorgesehenen Grenze von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts an. Entgegen dem in der öffentlichen Diskussion vielfach vermittelten Eindruck ist die Ungleichheit der Nettoeinkommen seit 2005 weitgehend konstant geblieben. Insbesondere die einkommensschwächeren Haushalte werden mit einem hohen Maß an Umverteilung unterstützt. Im Bereich der Vermögen relativiert sich die konstatierte Ungleichheit deutlich, wenn man bestehende Rentenanwartschaften mitberücksichtigt, die einen erheblichen vermögensähnlichen Anspruch darstellen. Ernsthafter Handlungsbedarf besteht daher weder bei der Einkommens- noch der Vermögensverteilung. Vielmehr sollte der Fokus endlich auf mehr Chancengerechtigkeit gelegt werden. So hängt in Deutschland der Bildungserfolg von Kindern nach wie vor sehr stark von ihrer sozialen Herkunft ab.

Ernsthafter Handlungsbedarf besteht weder bei der Einkommens- noch der Vermögensverteilung.

Mit der Rente mit 63 und der Mütterrente hat die Bundesregierung in dieser Legislaturperiode eine rentenpolitische Rolle rückwärts gemacht. Zusammen mit den sich abzeichnenden Wahlversprechen z. B. eines höheren Rentenniveaus, einer weiteren Mütterrente oder eines geringeren Renteneintrittsalters gerät die langfristige Finanzierung des Rentenversicherungssystems zunehmend unter Druck. Dies zeigt sich insbesondere, wenn man über das Jahr 2030 hinausblickt. So würde die Rückkehr zu einem Renteneintrittsalter von 65 Jahren dazu führen, dass der Beitragssatz von heute 18,7 Prozent bis 2080 auf ca. 25 Prozent steigt, das Rentenniveau auf 40 Prozent sinkt und der Bundeszuschuss zur Rente auf knapp fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigen würde. Eine Erhöhung des Renteneintrittsalters auf z. B. 69 Jahre hätte hingegen entsprechend gegenläufige Effekte. Um das Rentenversicherungssystem langfristig demographiefest zu machen, sollte das Eintrittsalter gesetzlich an die fernere Lebenserwartung gekoppelt werden.

Steuerpolitisch war die aktuelle Legislaturperiode von Stillstand geprägt. Es gab zwar keine Steuererhöhungen, es sind aber auch keine Steuerstrukturreformen angegangen worden. Im Bereich der Unternehmensbesteuerung hat insbesondere die mangelnde Finanzierungsneutralität zwischen Eigen- und Fremdkapital wachstumshemmende Effekte. Die steuerlich diskriminierte Beteiligungsfinanzierung wirkt sich vor allem für junge Unternehmen negativ aus, da ihnen dadurch Eigenkapital fehlt. Durch eine Zinsbereinigung des Grundkapitals könnten Wachstumsimpulse für Unternehmen geschaffen und ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit gestärkt werden. Um die steuerlichen Mehrbelastungen durch die kalte Progression zu beenden, bietet sich wie bei der gesetzlichen Kopplung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung eine automatische Anpassung an: Der gesamte Steuertarif sollte an die Inflationsrate gekoppelt werden (Tarif auf Rädern).

Angesichts der sehr guten gesamtwirtschaftlichen Lage in Deutschland ist es politisch derzeit schwierig, Reformen umzusetzen. Denn die Erfahrung zeigt, dass politischer Wille für grundlegende Strukturreformen in der Regel nur in Krisenzeiten vorhanden ist. Zudem wecken die hohen Steuereinnahmen zunehmend Begehrlichkeiten von vielen Seiten, und gerade in Wahlkampfzeiten fällt es der Politik schwer, diese zurückzuweisen. Anstatt Reformen weiter zurückzudrehen, sollte die kommende Bunderegierung die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands wieder stärken und die Zukunftsfähigkeit sichern. Ein konsequenter Abbau der Staatsverschuldung, die Beendigung der Mehrbelastung der Haushalte durch die kalte Progression und die Kopplung des gesetzlichen Renteneintrittsalters an die fernere Lebenserwartung sind wichtige Schritte dafür. Zudem muss mit einer besseren Bildungspolitik endlich für mehr Chancengerechtigkeit gesorgt werden.

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