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Wie viel Bürokratie brauchen wir?

Komplexe Gesellschaften benötigen eine funktionierende Bürokratie. Sie sorgt für Fairness und Gerechtigkeit. Doch je mehr geregelt wird, desto kleiner wird der zusätzliche Nutzen. Der kann sogar negativ werden. Ineffiziente Bürokratie ist zusammen mit dem komplexen Steuerrecht das größte Hindernis für Unternehmen in Deutschland. Eine kurze Entwicklungsgeschichte der Bürokratie.
Gerd Maas

Autor

Gerd Maas

ist Unternehmer im oberbayerischen Landkreis Rosenheim, Publizist, Leiter Wirtschaftsethik-Kommission der Familienunternehmer e.V. und bloggt regelmäßig unter Maashaltig.

Beginnen wir im Kleinen. Ein Beispiel: Immer öfter kommen inzwischen Firmen auf die Ideen, den Mitarbeitern ein Fahrrad zur Verfügung zu stellen. Fraglos eine recht sinnvolle Verknüpfung von ökologischem Bewusstsein der zunehmend urbanen Gesellschaft, ein wenig Work-out und notwendigen Incentives in Zeiten des Fachkräftemangels. Dieser Mix beschert dem „Dienstfahrrad“ so etwas wie einen kleinen Boom. Groß genug jedenfalls, dass der Fiskus darauf aufmerksam wurde. Bereits seit 2012 gelten daher beim Dienstfahrrad entsprechende Vorschriften wie beim Dienstwagen: Die aus der Nutzungsüberlassung des Dienstfahrrades, die private Zwecke nicht ausschließt, entstehenden Vorteile muss der Arbeitnehmer mit einem Prozent der Bruttopreisempfehlung des Händlers seinem zu versteuernden Einkommen hinzurechnen. Auf die zusätzliche Anrechnung des geldwerten Vorteils von 0,03 Prozent des Bruttolistenpreises je Kilometer Fahrtstrecke zwischen Wohnung und Arbeitsplatz hat der Steuergesetzgeber beim Dienstfahrrad im Gegensatz zum Dienstwagen generös verzichtet.

Für kluge Personalbüros wurde zudem ein kleines Steuer- und Abgabenschlupflöchen offengelassen: die Barlohnumwandlung. Anstatt eines Dienstfahrrades beteiligt sich der Arbeitnehmer per besagter Barlohnumwandlung an den Leasinggebühren des Fahrrades. Unterm Strich radelt man damit ein weniger günstiger als beim Dienstfahrradmodell (sofern die Vorteile nicht durch die Leasinggebühren im Vergleich zum Barkauf aufgefressen werden).

Natürlich kann man jetzt sagen: Das ist doch bitte eine Frage der Fairness, dass Dienstwagen und Dienstfahrräder gleich behandelt werden, was macht denn der Antrieb für einen Unterschied? Oder man kann sagen: Das ist doch bitte eine Frage der Gerechtigkeit, dass Geldwertes mit Geld gleichbehandelt wird? Man könnte aber auch fragen: Wann kommt jetzt dann die Dienstfüllerregelung, da ja anzunehmen ist, dass mit dem betrieblich beschafften und gestellten Schreibgerät auch außerdienstliche Einkaufslisten oder Merkzettel notiert werden (gegebenenfalls auf einen Dienst-Post-it-Block)?

An dem kleinen Beispiel zeigt sich, wie fraglos bedenkenswerte Fairness- und Gerechtigkeitsüberlegungen zu einer immer komplexer werdenden Regelungsdichte führen, die entsprechend höhere Aufwände in der privaten, betrieblichen und öffentlichen Verwaltung erfordern. Gesamtgesellschaftliche Zunahme von Bürokratie also.

Da steckt vermutlich System dahinter. Urmenschliches System. Menschen schließen sich zu Gesellschaftsverbänden zusammen, um leichter Probleme zu lösen. Erreichte Problemlösungen werfen oft neue Fragestellungen auf – meist weniger gravierend, aber nachdem die schwerwiegenderen Probleme ja bereits gelöst sind, kann man sich um die Feinheiten kümmern. Dadurch neigt das Problemlösungsverhalten menschlicher Gesellschaften zu wachsender Komplexität. Der daraus geschaffene Nutzenzuwachs für die gesellschaftliche Wohlfahrt wird allerdings mit jedem Komplexitätsschritt kleiner – einerseits weil ja immer weniger gravierende Probleme behandelt werden und andererseits weil der wachsende Bürokratieaufwand auch wieder Nutzen vernichtet. Wachsende Komplexität führt zu abnehmendem Grenznutzen. Ein solcher Verlauf führt irgendwann zum Null-Zuwachs an Nutzen und direkt danach zu einem negativen Grenznutzen.

Irgendwann schmälert das Streben nach Fairness und Gerechtigkeit im menschlichen Miteinander die Wohlfahrt. Spätestens kurz davor sollte man nach Wegen zur Umkehr suchen, weil sonst eine Abwärtsspirale von Bürokratiewachstum und Nutzenverlust droht. Ich fürchte, dahin ist es nicht mehr weit. Laut einer BIHK-Studie von 2016 monieren 82 Prozent der Betriebe, dass bürokratische Vorschriften sie stark einschränken. Nach Berechnungen des IW Köln betragen die staatlich verursachten Bürokratiekosten von Unternehmen 47,6 Milliarden Euro jährlich. Laut dem ifo-Institut wäre die wichtigste Maßnahme zur Förderung privater Investitionen in Deutschland Bürokratieabbau. Wichtiger noch als Steuerentlastung oder Reduzierung der Lohnnebenkosten! Insbesondere in der Industrie werden die Investitionen zunehmend ins Ausland verlagert. Im Global Competitiveness Index des Weltwirtschaftsforums (2015) werden die Komplexität des Steuerrechts und ineffiziente Bürokratie als größte Hindernisse für Unternehmen in Deutschland dargestellt.

Der Spaß am Unternehmertum geht mit wachsender Bürokratie verloren.

Und in diesen Betrachtungen fehlt stets noch ein ganz erheblicher Faktor: der Spaß am Unternehmertum. Der geht mit wachsender Bürokratie irgendwann verloren. Vermutlich schlagartig. Unternehmer sind keine Wirtschaftsverwalter. Unternehmer sind sich voll und ganz bewusst, dass die Marktwirtschaft Regeln und Rahmen braucht, die unweigerlich bürokratischen Aufwand erzeugen. Der muss aber genügend Freiraum für den unternehmerischen Geist lassen. Wenn sich Unternehmer nur noch als Bürokratiebefolger wahrnehmen, dann geht das notwendige Quantum Selbständigkeit verloren, aus der allein die Risikobereitschaft und Innovationskraft des Unternehmers entsteht. Unternehmer sind leidensfähig, aber keine Masochisten.

Die große Koalition hat sich da in der letzten Legislatur nicht mit Ruhm bekleckert. Zumindest nicht aus Unternehmersicht. In einer Umfrage des Bundesverband mittelständische Wirtschaft bekommt die GroKo im Bereich „Bürokratieabbau“ die schlechteste Note bei den unterschiedlichen Feldern der Wirtschaftspolitik: mangelhaft. Alles andere wurde wenigstens mit „ausreichend“ beurteilt, die Arbeitsmarktpolitik sogar mit „befriedigend“.

Die Regelmäßigkeit der wachsenden Komplexität mit abnehmendem Grenznutzen in der gesellschaftlichen Entwicklung ist wahrscheinlich ein soziales Naturgesetz. Allerdings nur in seinem Verlauf. Nichts spricht dagegen, dass wir unsere Ausgangsposition im Verlauf durch grundlegende Reformen adjustieren. Zum Beispiel durch die Abschaffung der 112 gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland. Oder durch die Reduzierung der Steuerparagrafen von 33.000 auf 146, wie es Paul Kirchhof 2011 eindrucksvoll profund vorgeschlagen hat. Oder mit der Einführung von gesetzlich verpflichtenden Abfindungsregelungen, die sowohl Kündigungsschutz als auch die Arbeitslosenversicherung nebst entsprechender Verwaltung und Gerichtsbarkeit hinfällig machen. Um nur ein paar Ideen zu nennen.

Bei Unternehmensgründungen sind erfahrungsgemäß Investitionsbereitschaft und die Fähigkeit zum „think big“ die entscheidenden Erfolgsfaktoren. Geld bewegt, haben bisher alle Bundesregierungen beträchtlich. Daran liegt es also nicht. Eine große Idee, die sich eine Regierung vornimmt und an der sie sich messen lässt, wäre mal was Neues. Bürokratieabbau würde sich hervorragend dafür eignen.

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