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Wenn die Preise sinken: Wer gewinnt, wer verliert bei Handelsliberalisierungen?

Beispiel Mexiko: Die Handelsliberalisierung hat dort zu einem starken Anstieg von ausländischen Supermarktketten geführt. Ist das gut für das Land? Eine Gewinn- und Verlustrechnung von Maximilian Müller.

„Eigentlich wären wir alle Verlierer“, so lässt sich die gefühlte öffentliche Meinung gegenüber Freihandelsabkommen zusammenfassen. Freihandelsabkommen hatten im letzten Jahrzehnt einen schweren Stand, verflucht und verteufelt wurden sie, Protestmärsche gegen sie erfreuten sich großen Zulaufs. In der öffentlichen Wahrnehmung scheint der Punkt erreicht zu sein, an dem mehr Globalisierung nur noch Unheil, jedoch keine Verbesserungen mehr mit sich bringt. Diese Sichtweise verstärkt den Trend zur Abschottung im Gegensatz zur weiteren Öffnung, eine politische Realität, die nicht ohne Folgen geblieben ist – Brexit und US-Politik sind warnende Beispiele.

Wie könnte also eine etwas differenziertere Sicht auf die Vor- und Nachteile des Handels und der Globalisierung aussehen? Es ist nicht zu leugnen, dass verstärkte globale Konkurrenz zu sinkenden Gehältern und Verlust an Arbeitsplätzen führen kann und teilweise auch führt. Auf der anderen Seite senkt der verstärkte Wettbewerb oft auch Preise für Konsumenten und erhöht die Auswahl an Produkten. Vor allem wenn man  schon einmal abseits der üblichen Touristenrouten in den ländlicheren und ärmeren Gegenden der Welt unterwegs war, ist man häufig erstaunt, wie groß die Auswahl im eigenen Supermarkt ist.

In unserer Wahrnehmung ist dagegen der drohende Verlust von Arbeitsplätzen oft weitaus präsenter als der potenzielle Vorteil verringerter Preise und erhöhter Vielfalt – schließlich sind vom drohenden Jobverlust mehr oder wenige Menschen äußerst stark betroffen und verschaffen sich dementsprechend Gehör – und das auch zu Recht. Doch wer macht sich für niedrigere Preise, mehr Qualität und erhöhte Vielfalt stark? Diesen sehr verstreuten und weniger konkreten Vorteilen fehlen die Fürsprecher, fehlt die Lobby. Wäre es da nicht fantastisch, wenn man die Vor- und Nachteile einer Handelsliberalisierung quantifizieren könnte?

Genau dies machen Atkin, Faber und Gonzalez-Navarro in ihrer Forschungsarbeit über die Auswirkungen der Liberalisierung von ausländischen Direktinvestitionen auf den Einzelhandel in Mexiko. Der Einzelhandel ist für viele Schwellen- und Entwicklungsländer von großer Bedeutung, da er in der Regel rund 15 Prozent der Beschäftigung und des Bruttoinlandsproduktes dieser Länder ausmacht sowie um die 50 Prozent der durchschnittlichen Haushaltsausgaben. In Mexiko sind durch die Liberalisierung internationale Supermarktketten nach und nach in die verschiedenen Gegenden des Landes expandiert, sodass die Zahl ausländischer Supermärkte von 365 im Jahr 2002 auf 1335 im Jahr 2014 angestiegen ist, sich über zwölf Jahre also fast vervierfacht hat.

Wer sich Sorgen um den einheimischen Einzelhandel und seine Beschäftigten macht, liegt vollkommen richtig. Jeder 25. einheimische Laden musste aufgrund der erhöhten Konkurrenz schließen – mit negativen Auswirkungen auf die durchschnittlichen Marktpreise, die aufgrund dieses Effekts um 0,7 Prozent gestiegen sind. Zusätzlich wurden die einheimischen Läden durch geringere Gewinne getroffen, ihre Angestellten durch niedrigere Einkommen und erhöhte Arbeitslosigkeit. Während dies für die Betroffenen schmerzvoll ist, macht dies für den Durchschnittshaushalt allerdings lediglich einen Wohlstandsverlust von 0,4 Prozent aus.

Auf der anderen Seite profitierten alle Haushalte von geringeren Lebenshaltungskosten durch die Expansion ausländischer Anbieter: Bestehende Supermärkte senkten ihre Preise um vier Prozent, Preise in neuen, ausländischen Läden waren für identische Produkte um zwölf Prozent günstiger und sie führten im Durchschnitt fünfmal so viele Produkte wie einheimische Läden. Auf diese Weise erreichten ausländische Supermärkte innerhalb nur weniger Jahre, dass ein Drittel der durchschnittlichen Haushaltsausgaben auf sie entfielen. Da diese positiven Effekte eine weitaus größere Bevölkerungsgruppe erreicht als die negativen Effekte, stehen unter dem Strich für diese Handelsliberalisierung Wohlstandsgewinne in Höhe von sechs Prozent des anfänglichen Haushaltseinkommens, größtenteils erreicht durch die niedrigeren Preise.

Da reichere Haushalte näher an den neuen Supermärkten wohnen, eher ein Auto besitzen und mehr Wert auf die Produktvielfalt und sonstigen Angebote der Neuankömmlinge legen, profitieren sie um 50 Prozent mehr als ärmere Haushalte. So ersetzen sie bis zu 50 Prozent ihrer Ausgaben im Einzelhandel durch Einkäufe bei ausländischen Anbietern, während ärmere Haushalte dies nur für 15 Prozent ihrer Ausgaben tun. Zwar profitieren reichere Haushalte mehr durch die Ankunft ausländischer Anbieter als ärmere, wie die Autoren der Studie betonen, doch alle Einkommensschichten sind bessergestellt als vorher.

All diese Auswirkungen sollten wir bedenken, wenn wir über den Ab- oder Aufbau von Handelsbarrieren entscheiden. Allzu oft scheinen wir die Folgen zu ignorieren, die zwar weniger drastisch wirken, dafür aber jeden von uns betreffen und so durch die schiere Masse an Betroffenen – positiv oder negativ – einen großen Unterschied für unseren gesellschaftlichen Wohlstand bedeuten. Dies bedeutet nicht, dass die stark betroffene Minderheit (etwa durch potenzielle Einkommenseinbußen oder Jobverluste) ignoriert werden darf oder soll. Allerdings würde es uns und vielen Ländern helfen, Vor- und Nachteile von Handelserleichterungen und -barrieren nüchterner abzuwägen und nicht immer denen zu folgen, die am lautesten schreien oder am meisten tweeten.

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