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Die Geister, die wir riefen

Künstliche Intelligenz wird unser Leben verändern. Ob sie uns ins Verderben stürzt oder neue Chancen bietet, ist noch offen. Max Tegmark jedenfalls ist zuversichtlich, dass alles besser wird – vorausgesetzt, wir gehen klug mit der neuen Technik um. Da hilft aber wohl nur Beten und Daumen drücken. Max Tegmark: Leben 3.0 – Mensch sein im Zeitalter Künstlicher Intelligenz, Ullstein, Berlin 2017

War künstliche Intelligenz lange nur ein Thema abgedrehter Technikfreaks, besessener Roboteringenieure und digitaler Utopisten, heizt sie mittlerweile als zukünftige „Superintelligenz“ (weit über das menschliche Niveau hinausreichende Intelligenz) die öffentliche Debatte an und ist bereits für viele Programm: Erst vor wenigen Tagen hat der aus Indien stammende Google-Vorstandsvorsitzende Sundar Pichai medienwirksam verkündet, welche Marschroute für den amerikanischen Technologiekonzern ab sofort gilt: „AI First“ (Artificial Intelligence) – künstliche Intelligenz (KI) zuerst. Alle Google-Angebote sollen überarbeitet und neu erdacht werden. Auch der Physiker und Technologie-Philosoph Max Tegmark ist der Überzeugung, dass die Diskussion über KI „das wichtigste Gespräch unserer Zeit“ darstellt – und schon deswegen für alle zugänglich gemacht werden soll. Diesem Zweck dient sein nun erschienenes Werk „Leben 3.0 – Mensch sein im Zeitalter Künstlicher Intelligenz“.

In welcher Art von Zukunft wollen wir leben?, fragt der Autor. Was wird die immer stärker werdende Automatisierung von Arbeit mit uns und unserem Anspruch an Lebensqualität machen? Werden uns zukünftig intelligente Maschinen kontrollieren? Manche Szenarien sind düster, doch Tegmark glaubt, dass unsere Zukunft mit Hilfe künstlicher Intelligenz nur besser werden kann – vorausgesetzt, wir gehen klug mit ihr um.

Zusammenleben mit nichtbiologischen Intelligenzen
Max Tegmark, der scherzhaft von seinem Kollegen „Mad Max“ genannt wird, gehört zu den bekanntesten Fürsprechern auf dem Feld der künstlichen Intelligenz. In Schweden geboren, studierte er am Royal Institute of Technology im Stockholmund an der University of California in Berkley. Heute ist er Professor für Physik am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Nach Tegmark definiert sich Intelligenz zunächst als eine Fähigkeit, komplexe Ziele zu erreichen. Intelligenz muss also nicht zwangsläufig an einen biologischen Organismus geknüpft sein. Sie ist für ihn eine bestimmte Art der Informationsverarbeitung. Und so ist er auch der Überzeugung, dass man durchaus Maschinen entwickeln kann, die intelligenter als Menschen sind. „Bisher haben wir erst die Spitze des Eisbergs an Intelligenz erlebt“, meint der Forscher. KI ist für ihn eine „nichtbiologische Intelligenz“, die in dem von ihm formulierten „Leben 3.0“ zur vollen Entfaltung kommt. Während das „Leben 1.0“ eine biologische Form darstellt, die im „Laufe der Evolution seine Hardware und Software entwickelt“ hat (zum Beispiel Bakterien), und das „Leben 2.0“ die „kulturelle Stufe“ meint, in der wir Menschen die „Software“ gestaltet haben, ist im „Leben 3.0“ die technologische Ebene erreicht, in der eben auch nichtbiologische Formen Software und Hardware konzipieren können. Freilich existiert diese Stufe noch nicht. Doch die Tendenz ist spürbar – mit künstlichen Knien, Herzschrittmacher, implantierten Hörhilfen oder gar automatisierten Waffensystemen.

Wettrüsten um die Weltmacht der künstlichen Intelligenz
Zweifellos sind die Risiken, die sich bei Themen wie Arbeitsplatz-Automatisierung, Internetsicherheit, Wählermanipulation oder Aufrüstung ergeben, groß – vor allem dann, wenn die falschen Menschen an die Schaltknöpfe für künstliche Intelligenz geraten oder Maschinen die Menschen in Zukunft kontrollieren. Tegmark warnt vor politischen und militärischen Folgen, die die künstliche Intelligenz vor allem in Bezug auf die militärische Rüstung ausüben könnte. Auch den Wettlauf der Staaten als Weltmächte der künstlichen Intelligenz, wie es China oder auch die USA für sich beanspruchen, ist politisch ähnlich armselig motiviert wie einst die bemannte Raumfahrt zum Mond. Zu verhindern sind für Tegmark auch die sozialen Folgen durch KI: „Die Schere zwischen Arm und Reich darf nicht noch weiter aufgehen“, sondern es muss die Chance genutzt werden, dass jeder bessergestellt werden kann. Tegmarks Forderung: eine hohe zeitliche und finanzielle Investition in die Erforschung von KI-Sicherheit. Die anfälligen Computersysteme müssten so konstruiert werden, dass man ihnen eines Tages auch vertrauen könne.

Doch warum eigentlich mit dem Feuer spielen – brauchen wir die Roboterwelt wirklich? Sind wir tatsächlich eine Stufe in unserer Evolutionsgeschichte weiter, wenn Maschinen für uns das Denken übernehmen und wir ständig aufpassen müssen, unser Gehirn nicht untrainiert zu lassen? Müssen wir den Weg vom homo sapiens zum homo sentiens beschreiten? Und was ist, wenn Maschinen sich später selbst zerstören und damit uns alle? Für Tegmark sind solche Szenarien zwar möglich, aber unwahrscheinlich, wenn wir sie klug von vornherein steuern. Der Weg ins „Leben 3.0“ wird ein guter sein, meint der Autor. Denn: „Alles, was ich an Zivilisation liebe, ist das Ergebnis von Intelligenz. Wenn wir unsere menschliche Intelligenz verstärken könnten mittels künstlicher Intelligenz und die größten Probleme von heute und morgen lösen, könnte die Menschheit deshalb erblühen wie noch nie.“

Fazit
Das Buch ist mehr als nur ein Denkanstoß zu einem der brisantesten Zukunftsthemen. Tegmark bietet das ganze Portfolio an KI-Risiken und -Chancen. Er zeigt, wie KI Einfluss auf die Arbeitswelt, die Demokratie und die Gesellschaft nehmen kann. Die Frage, ob intelligente Maschinen uns bedienen oder wir ihnen dienen, lässt das Buch letztlich offen. Die Antwort darauf dürfte wohl auch erst die nächste Generation geben können.

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