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Zwischenruf aus der Praxis: Wie sollen wir mit Risiken umgehen?

Unser Leben ist bekanntlich voller Risiken. Wir gehen sehr unterschiedlich mit ihnen um. Manche Risiken nehmen wir bewusst in Kauf, andere Risiken versuchen wir zu reduzieren, noch andere kom­plett zu vermeiden. Dass wir in unserem Risikoverhalten konsistent sind, kann man getrost bezweifeln.

Risiken stehen Chancen oder Nutzen gegenüber. Klassisch ist der Fall in der Geldanlage. Eine deutsche Staatsanleihe ist nahezu risikolos, dafür bekommt man wenig Zinsen, im Moment noch weniger als sonst. Eine Aktie dagegen hat eine deutlich höhere Chance auf Ertrag. Zugleich hat sie ein deutlich höheres Risiko.

Auch der Staat be­schäf­tigt sich mit Risiken. Über zahllose Vorschriften regelt er, wie er mit den Risiken umgeht und wie die Bürger mit den Risiken umzugehen haben. Das Autofahren führt in Deutschland im Jahr zu rund 3.000 Toten, früher waren es deutlich mehr. Dieses „Rest“risiko nehmen wir in Kauf. Motor­radfahren ist 20-mal gefährlicher. Auch das ist er­laubt. Von den schon „Risiko“-Sportarten ge­nannten Freizeitvergnügen wir Gleitschirm­flie­gen, Fallschirmspringen oder Wing­suit-Fliegen mal ganz abgesehen. Auf der anderen Seite lesen wir, dass Brandschutz­bestimmungen immer mehr verschärft werden mit der Folge, dass öffentliche Bauten im­mer teurer werden – man denke nur an den geplanten Berliner Flughafen – oder Neubauten nicht durchgeführt werden, da die neuen Brandschutz­be­stim­mungen zu nicht finanzierbaren Mehrkosten führen und man dann lieber beim alten – risikoreicheren – Zustand bleibt.

Um mit den Risiken rational umgehen zu können, müssen wir sie nicht nur kennen, son­dern wir müssen sie bewerten können. Es würde ja wenig sinnvoll sein, in dem einen Fall ein hohes Risiko einzugehen und im anderen Fall nur ein geringes Risiko. Aber wie kann man Risiken bewerten und auf diese Weise zu einem stimmigen Risikokonzept kommen?

Schauen wir in die Industrie. Dort gibt es ebenfalls viele Risiken, und es gibt eine Methode bei Neuent­wick­lungen oder Änderungen von Produkten und Prozessen, Fehler früh zu ermit­teln und mög­lichst zu vermeiden. Zu diesem Zweck werden die Risiken systema­tisch bewer­tet. Diese Methode heißt „FMEA“, ausgeschrieben „Failure Mode and Effect Analysis“. Dies wurde ins Deutsche etwas ungelenk übersetzt als „Fehlereinfluss- und -möglichkeitsanalye“. Das Prinzip ist einfach. Man bewertet zum einen, wie wahrscheinlich es ist, dass das Risiko ein­tritt, und zum anderen, wie groß seine Auswirkung ist. Aus der Multiplikation der in Zah­len ausgedrückten Ausprägung der beiden Kriterien ergibt sich eine Risiko-Kennzahl.

Wenden wir das auf ein Beispiel aus der Umweltschutzpolitik an. Wenn ein Gefahrstoff A eine hohe schädi­gen­de Wirkung auf die Gesundheit hat, muss man durch Maßnahmen, etwa den Einbau von Filtern an seiner Quelle, die Eintrittswahrscheinlichkeit so stark reduzieren, dass die Risiko-Kennzahl auf dem akzeptablen Niveau anderer Risiken B und C liegt und da­mit „tragbar“ ist. Wenig sinn­voll wäre es, bei Risiko A die Eintrittswahrscheinlichkeit und da­durch die Risiko-Kennzahl durch hohen Aufwand weit unter die Werte der Risiken B und C zu treiben. Sinn­voller ist es die Risiko-Kennzahlen aller drei Werte gleichermaßen zu senken. Derartige An­sätze zum Umgang mit Risiken lassen sich auf andere Bereiche wie Brandschutz­bestim­mun­gen oder auf die öffentliche Sicherheit übertragen.

Es mag im Einzelfall geradezu makaber klingen, dass man bestimmte Restrisiken akzep­tie­ren soll. Doch da es bei sol­chen Fragen immer darum geht, die knappen öffentlichen Gelder sinn­voll auf die verschie­denen Zwecke zu verteilen, sollten wir sys­te­ma­tisch vor­gehen. Wir sollten Risi­ken bis zu einem ge­wissen Grad begrenzen, ein darüber hinaus­gehendes Rest­risiko aber ak­zep­­tieren. Durch ein systematisch angewandtes übergreifendes Risikokonzept mit der Be­wer­tung von Eintrittswahrscheinlichkeit und Auswirkung der Risiken erreicht eine Gesell­schaft im Ergebnis insgesamt eine risikoärmere Lebensweise.

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