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Das Gespenst des Geldes: Über Sinn und Unsinn der Vollgeld-Initiative

In der Schweiz stimmen die Wähler am 10. Juni über die „Vollgeld-Initiative“ ab, die den Privatbanken die Geldschöpfung untersagen soll. Im Jahr des 200. Geburtstags von Karl Marx führt hier der Traum von einem kompletten Umbau der Geldordnung radikale Linke und so manche Rechte zusammen.

Dass Geld ein Fetisch ist, hat Karl Marx der Menschheit immer wieder vorgebetet. Das heißt: Wie das Kapital hat auch das Geld eine Eigendynamik, die der Mensch mit dieser Erfindung zwar selber auf den Weg gebracht haben mag, die er aber nicht mehr beherrscht. Statt dass der Mensch sich des Geldes bedient, macht sich folglich das Geld den Menschen untertan. Das ist doch Grund genug, sich im Hype-Jahr des 200. Geburtstages des Trierer Aufrührers, Philosophen und Ökonomen endlich einmal über das vorherrschende Geldsystem zu beugen und es „vom Kopf auf die Füße zu stellen“ – oder? Zumal die internationale Finanzkrise von 2008, so hört man allenthalben, das Versagen der Banken hinreichend deutlich vorgeführt hat. In der Schweiz versucht derlei gegenwärtig eine Gruppe von Aktivisten, die eine sogenannte „Vollgeld“-Initiative lanciert hat. Am 10. Juni stimmen die Schweizer Wähler über das komplexe Projekt ab. Die Idee des Vollgeldes ist freilich über die Schweiz hinaus ein Dauerbrenner. In Island wurde sie erörtert, in den Niederlanden – bisher ohne Folgen.

Kurz zusammengefasst geht es darum, den Privatbanken ihren Anteil an der Geldschöpfung zu entziehen. Die Schweizer Initiative zielt deshalb darauf, den Banken auf dem Verfassungswege zu untersagen, über die Vergabe von Krediten den Geldumlauf zu vermehren. Dies soll allein der Schweizerischen Nationalbank (SNB) vorbehalten sein. Bisher können die Banken so lange Kredite herausreichen und dabei Geld schöpfen, wie es die Nachfrage verlangt und die gesetzlich vorgeschriebene und freiwillige Reservehaltung der Institute es zulässt. Die Systemkritiker sind der Auffassung, das auf diese Weise geschaffene Geld sei lediglich eine Fiktion, mit Marx gesprochen also ein „Gespenst“, und die Kredite seien nicht wirklich gedeckt. Dass die Banken für ihre Kredite üblicherweise Sicherheiten verlangen, die sich im Notfall in marktfähige Aktiva verwandeln lassen, beispielsweise ein Haus als Garantie für einen Immobilienkredit – das blenden sie einfach kurzerhand aus. Dabei haben solche Kredite mehr realwirtschaftliche Unterlegung als das originäre Notenbankgeld, das wirklich nur ein Versprechen darstellt („Fiat money“). Auf jeden Fall aber erhoffen sich die Initianten von einer Regelung, die den Banken die Geldschöpfung von vornherein verbietet, dass sich das Finanzgewerbe stabilisiert und der Steuerzahler nicht mehr einspringen muss, wenn in der Branche etwas schiefläuft. „Denn die nächste Finanzkrise kommt bestimmt“, orakeln sie.

Im Initiativkomitee, im Trägerverein, in dessen wissenschaftlichem Beirat und im Unterstützerkreis hat sich eine sehr spezielle Allianz der Weltverbesserer gebildet. Das Gros der Beteiligten ist im politischen Spektrum weit links zu verorten, mitunter mit einem Hang zur Verschwörungstheorie. Die bekannten Namen reichen von Jean Ziegler, dem Genfer Kommunisten und Sonderberichterstatter der UN, bis hin zu Christian Felber, dem Mitinitiator der „Gemeinwohl-Ökonomie“-Doktrin und österreichischen Attac-Mann, der von „Geldkonventen“ träumt, in denen „alle Bürgerinneren und Bürger die Spielregeln mitbestimmen können, sodass Geld dem guten Leben und dem Gemeinwohl dient“. Auch Eugen Drewermann ist mit von der Partie, der deutsche Theologe, der ein Buch zum „Finanzkapitalismus – Kapital und Christentum“ herausgebracht hat. Max Otte unterstützt die Initiative ebenfalls, eine Zeitlang als Prophet der Krise von 2008 in den Medien omnipräsent und neuerdings prominent als AfD-sympathisierender Organisator des „Neuen Hambacher Fests“. Selbst Thomas Mayer beteiligt sich, der frühere Chefvolkswirt der Deutschen Bank und heutige Leiter des Flossbach Research Institute, angebunden an das Bankhaus Flossbach von Storch in Düsseldorf, von dem familiäre Bande zur AfD-Politikerin Beatrix von Storch verlaufen. Mayer hat ein Buch über „Die neue Ordnung des Geldes“ geschrieben und wünscht sich, frei nach Friedrich August von Hayek, ein monetäres System, in dem verschiedene private Emittenten ihr Geld in Konkurrenz auf den Markt schicken. Er hofft, dass die Vollgeld-Initiative, wenn sie dereinst die Privatbanken entmachtet hat, nicht in dem Monopol der Nationalbank hängenbleibt, das sie errichtet. Sie muss für ihn so etwas sein wie für Marx die Diktatur des Proletariats: eine unschöne, aber nötige Phase des Übergangs.

Vollumfänglich gedecktes Geld, kein Potential für Blasen und ein weiteres Auseinanderdriften von Finanz- und Realwirtschaft – das klingt auf den ersten Blick in der Tat verlockend, auch und gerade für liberale Ökonomen. Aber die Sache ist voller Haken. Am schwersten wiegt vermutlich, dass die Kreditvergabe drastisch eingeschränkt würde: Es käme zur Kreditklemme. Das ist sogar exakt die Absicht, aber das macht die Last nicht leichter für alle Unternehmen, die investieren, ihr Risiko teilen und ihren Aufwand zeitlich strecken wollen oder müssen. Die Dynamik der Marktwirtschaft beruht unter anderem darauf, dass Sparer und Investoren durch Suchkosten sparende Intermediäre in Kontakt gebracht werden, die für eine Fristentransformation sorgen, und dass es normalerweise nicht notwendig ist, eine vollumfängliche Reserve vorzuhalten. Dass die Banken nicht laufend genügend Bargeld im Tresor liegen haben, um im Fall eines massiven Ansturms ihrer Einleger deren gesamte Ansprüche ausbezahlen zu können, mag auf ersten Blick vielleicht beängstigend klingen, aber es ist schlicht effizient und nachgerade genial. Es gilt allerdings dafür Sorge zu tragen, dass es zu keinem solchen Ansturm kommt und dass im Notfall die Zentralbank als „Lender of last resort“ weiß, was zu tun ist. In dieser Hinsicht sehen die jüngeren Erfahrungen gar nicht so übel aus.

Im Vollgeld-Szenario ist die Notenbank noch mehr als schon jetzt der Hüter des Geldsystems, und sie gewinnt eine noch direktere Kontrolle über die Geldmenge. Gleichzeitig jedoch ist sie der Politik verpflichtet und soll jährlich einen hohen Milliardenbetrag an den Staat und an Private verschenken. Über den Verteilschlüssel hätte die Politik zu entschieden, über das Volumen die Zentralbank. Mit diesen Mitteln sollten dann die Steuern gesenkt und Sozialwerke saniert werden, die Infrastruktur sollte ausgebaut oder die Kaufkraft erhöht werden. Die Begehrlichkeiten und Verteilungskonflikte, die davon ausgehen, wenn die Notenbank neben der Geldpolitik auch noch Fiskalpolitik betreibt, möchte man sich gar nicht vorstellen – auch und gerade nicht vor dem Hintergrund, dass es kaum mehr eine Grundlage für Zinserträge für die Sparer geben würde. Geld, das nicht arbeitet, wirft nun einmal keinen Ertrag ab. Davon betroffen wären alle Sparer, also fast die gesamte Bevölkerung, mit fatalen Folgen nicht zuletzt für die Altersvorsorge. Zudem käme es spätestens zu einem Zielkonflikt, wenn die Notenbank die Geldmenge aufgrund der Teuerung – entschädigungslos – drosseln müsste.

Am schlimmsten ist insgesamt aber wohl die Aussicht, dass in einem Vollgeld-System der Geldumlauf politisch entschieden würde, zentralistisch, „demokratisch“ und mithin planwirtschaftlich statt unter dezentraler Berücksichtigung der variierenden Verhältnisse von Angebot und Nachfrage auf dem Kreditmarkt. Wenn sich der Mensch anschickte, auf eine so plumpe Weise das Geld zu „domptieren“, ohne Rücksicht auf Verluste, wäre Unheil programmiert. Man sagt den Schweizern nach, in wirtschaftlichen Fragen nie emotional, sondern stets vernünftig zu entscheiden. Wer Gespenster sieht, hat bei ihnen auf Dauer wenig Chance, sich durchzusetzen. So tief in der Bevölkerung der Ärger darüber sitzt, dass die Großbank UBS nach der Finanzkrise und einigen unglücklichen Operationen vom Steuerzahler gerettet werden musste – das Votum am 10. Juni dürfte zu Recht „Nein“ lauten. Wer das Bankgewerbe und die Finanzmärkte robuster machen will, muss den Akteuren systematisch mehr Verantwortung abverlangen, statt die Privatbanken auf unsinnige Weise zu kujonieren und die Notenbank politisch zu überfrachten. Eine Schweizer Absage an das „Vollgeld“ wäre ein kluges Signal.

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