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Wer gewinnt hier eigentlich was? – Die Ausweitung der Midijob-Grenze im Rentenpaket

Kann die Ausweitung der Midijob-Grenze dabei helfen, Altersarmut zu reduzieren und  Arbeitsanreize zu verstärken? Prof. Dr. Christian Hagist und Christian Bürer erklären die Auswirkungen der geplanten Reform.

Hintergrund

Im medialen Echo der Vorstellung des Rentenpakets von Bundesarbeits- und Sozialminister Heil ging neben der massiven Ausweitung der Mütterrente und der Einführung einer „doppelten Haltelinie“ ein weiterer Punkt ein wenig unter. In Zukunft soll der Einkommensbereich der Midijobs, welcher bislang auf 850 Euro monatlich begrenzt ist, auf 1300 Euro ausgeweitet werden. Die jährlichen Kosten für die Gesetzliche Rentenversicherung (GRV) sind dabei eher pauschal mit jeweils 200 Millionen Euro bis 2025 angegeben. Wie üblich wurde diese Reform mit einer vermeintlichen Gerechtigkeitslücke begründet.

Zum Thema Gerechtigkeit

Im Status quo besteht für Geringverdiener die Möglichkeit, innerhalb der Einkommensgrenzen eines Midijobs einen reduzierten Rentenbeitrag zu zahlen (vgl. unten stehende Box). Allerdings folgten bisher aus niedrigeren Beiträgen auch geringere Rentenleistungen. Dies entspricht dem der GRV zugrunde liegenden Äquivalenzprinzip.

Genau dieser Zusammenhang soll nun jedoch aufgehoben werden. Für den in unten stehender Box beschriebenen Versicherten Bernd mit 500 Euro beitragspflichtigem Einkommen heißt das Folgendes: Bei einer auf 45 Arbeitsjahren basierenden stilisierten Berechnung führt sein Einkommen zu einer monatlichen Rente in Höhe von gut 200 Euro. Fast der Hälfte dieser Summe, also knapp 100 Euro, stehen keine Beitragszahlungen von Bernd gegenüber. Es kommt somit zu einer signifikanten Subventionierung einzelner Gruppen, ohne dass dabei geprüft wird, ob diese Individuen Vollzeit oder Teilzeit arbeiten oder ob noch gegebenenfalls weitere (Haushalts-)Einkünfte oder Vermögen zur Verfügung stehen. Es profitiert also sowohl der anvisierte prekär Beschäftigte als auch der Teilzeit arbeitende Gatte einer Oberärztin. Ob eine Subventionierung von Letzterem durch Leistungen durchschnittlicher Beitragszahler wirklich als gerecht bezeichnet werden kann, ist mehr als fraglich.


Bernd verdient 500 Euro im Monat, der reguläre Arbeitnehmerbeitrag bei einem Beitragssatz in Höhe von 9,3 % beträgt daher: 500 €∗ 9,3 % = 46,50 €. Nach aktueller Regelung fällt jedoch nur ein reduzierter Beitrag nach folgender Berechnung an: (1,28 ∗ 500−235) ∗ 9,3 % ∗ 2 − 9,3 % ∗ 500 = 28,50 €. D.h. Bernd zahlt statt 9,3 % effektiv nur einen Beitragssatz i.H.v. 5,7 % und spart dadurch monatlich 18 Euro.


Der Zusammenhang zwischen Beitragszahlungen und Rentenhöhe wird somit anhand dieser Maßnahme weiter aufgeweicht, was die Akzeptanz des Versicherungscharakters der GRV zunehmend untergräbt. Stattdessen wird das Rentensystem verstärkt zu einem parallel zum Steuer-Transfersystem agierenden und nicht zielgenauen Umverteilungsinstrument ausgebaut.

Unabhängig davon, ob der Umverteilungsgedanke innerhalb der GRV per se nun befürwortet wird oder nicht, steht außer Frage, dass die Finanzierung dieser Maßnahme aus ordnungspolitischer Perspektive über einen Steuerzuschuss erfolgen muss. Schließlich wird das Äquivalenzprinzip explizit nicht berücksichtigt. Sozialpolitik bleibt Aufgabe des Steuerzahlers und nicht seines beitragszahlenden Pendants.

Der Reformvorschlag der Bundesregierung sieht jedoch keinen an die tatsächlichen Kosten gekoppelten Steuerzuschuss vor. Stattdessen soll der Bundeszuschuss jährlich um 500 Millionen Euro erhöht werden, um damit pauschal die zusätzlichen Lasten durch Beitragszuschuss, Mütterrente und Haltelinien abzudecken, ohne die reale Entwicklung zu berücksichtigen.

Die isolierten Kosten der Maßnahme mögen dabei im Vergleich zu den weiteren Posten des Rentenpaketes, wie etwa der Mütterrente, eher gering erscheinen. Dennoch werden auch in diesem Fall Ansprüche geschaffen, welche insbesondere mittelfristig zu zusätzlichen Ausgaben führen und damit die jüngeren Generationen in Zukunft belasten.

Keine zielgenaue Vermeidung von Altersarmut – Mitnahmeeffekte vorprogrammiert

Eine wesentliche Neuerung des Reformvorschlages ermöglicht, dass Erwerbstätige mit Midijob einerseits niedrigere Rentenbeiträge zahlen, gleichzeitig jedoch die vollen Rentenbezüge erhalten. Ziel dieser Besserstellung von Geringverdienern ist offenbar auch die Vermeidung von Altersarmut.

Niedrige und mittlere Erwerbseinkommen sind jedoch nicht zwangsläufig mit Altersarmut gleichzusetzen. Weitere (Haushalts-)Einkünfte und Vermögen spielen eine große Rolle. Der Anteil derjenigen Rentner, die auf Grundsicherung angewiesen sind, ist in den letzten Jahren leicht angestiegen. Mit aktuell etwa drei Prozent kann jedoch nicht von einem flächendeckenden Phänomen gesprochen werden. Die Grundsicherungsquote ist sogar vergleichsweise niedrig, bei Kindern unter 15 Jahren liegt sie mit 15 Prozent etwa fünfmal so hoch. Auch perspektivisch zeigen die aktuellen Berechnungen, dass kein dramatischer Anstieg der Altersarmut zu erwarten ist. Im Jahr 2030 liegen die Werte bei etwa vier bis sechs Prozent (vgl. Kaltenborn & Loose, 2018).

Diese Effekte beziehen sich jedoch auf alle Rentner, die Bezieher von Midijobs weisen typischerweise geringere Einkommen auf. Betrachtet man eine Rentnerin, die stilisiert 45 Jahre lang zwischen 451 und 1300 Euro verdient, also in den neuen Unter- und Obergrenzen für Midijobs, führt dies zu einer monatlichen Rente zwischen 200 und 570 Euro. Bezogen auf die aktuelle Rentnergeneration zeigt Abbildung 1, dass nur ein geringer Anteil dieser Personen tatsächlich auf Leistungen der Grundsicherung angewiesen ist. Es kann somit – zumindest für den Moment – kein kausaler Rückschluss von Einkünften im Midijob-Bereich auf Altersarmut geschlossen werden.

© WhatsBroadcast

Somit profitieren, wie schon bei den Vorschlägen zur Einführung einer Solidarrente (vgl. Bührer & Hagist, 2017), auch Haushalte, welche aus Perspektive der Grundsicherung keinerlei Subventionierung benötigen. Durch die Förderung ohne Bedürfnisprüfung kommt es zwangsläufig zu Mitnahmeeffekten, die zusätzlich im Zweifel auch noch aus Beitragsmitteln geleistet werden.

Auch die Hoffnung, niedrigere Rentenbeiträge könnten Arbeitsanreize verstärken und auf diesem Weg Altersarmut bekämpfen, erscheint fraglich. Schließlich stellen Erwerbsgeminderte einen wesentlichen Teil der Rentner mit Grundsicherungsanspruch. Diese Gruppe kann ihr Arbeitsangebot krankheitsbedingt jedoch nur begrenzt (oder gar nicht) ändern.

Finanzielle Entlastung und Arbeitsanreize

Geringverdiener profitieren nach der aktuellen Logik des Steuersystems kaum von steuerlichen Entlastungen, da sie ohnehin keine (oder kaum) Einkommensteuern zahlen. Die wesentliche finanzielle Belastung dieser Gruppe resultiert daher aus den Sozialversicherungsabgaben. Ein Erwerbstätiger mit einem Arbeitsentgelt in Höhe von 451 Euro müsste zum Beispiel regulär etwa 42 Euro Rentenbeitrag zahlen, führt jedoch nach bisheriger Regelung nur die Hälfte davon ab (siehe Box). Es bleibt somit mehr Netto vom Brutto. Dadurch bestehen isoliert betrachtet größere Anreize eine derartige Tätigkeit aufzunehmen, sie lohnt sich schlicht mehr.

Die neue und höhere Obergrenze in Höhe von 1300 Euro weitet diesen Einkommensbereich nun aus. Bei einem Verdienst in Höhe von 850 Euro fiel nach alter Regelung der volle Beitragssatz in Höhe von 9,3 Prozent an. Überträgt man das bisherige Berechnungsprinzip auf die neue Obergrenze, wie in Abbildung 2 dargestellt, so gilt für diesen Verdienst ein Beitragssatz in Höhe von etwa 8 Prozent, und es kommt zu einer Entlastung um 11 Euro. Der Anreiz, an dieser Einkommensgrenze eine höher entlohnte Tätigkeit aufzunehmen, dürfte sich daher verstärken.

Abbildung 2

Da mit zunehmendem Einkommen jedoch ein Teil der Subvention abschmilzt, das heißt ein höherer Beitragssatz gezahlt werden muss, bleiben im Midijob-Bereich im Status quo von jedem hinzuverdienten Euro nur 85 Cent. Im Falle des regulären und konstanten Beitragssatzes bleiben dagegen gut 90 Cent.

Aus wirtschaftspolitischer Sicht ist die Debatte um die Verstärkung von Arbeitsanreizen für Geringverdiener ein alter Hut, sie kommt nur in neuem Gewand. Zu Beginn der 2000 Jahre gab es intensive entsprechende Diskussionen unter dem Schlagwort „Kombilohn“. Es wurden sogar Pilotprojekte umgesetzt, insbesondere das „Mainzer Modell“, welches unter anderem äquivalent zum heutigen System niedrigere Sozialversicherungsbeiträge verwendete.

Die geringe Wirkung welches dieses (und andere vergleichbare) Modell entfaltete, lässt es äußerst fragwürdig erscheinen, ob von der neuen Regelung entscheidende Impulse ausgehen werden (vgl. z.B. Gerhardt & Wielage, 2006). De facto wird hier versucht über die Rentenversicherung Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik zu betreiben, was durch den beschränkten Fokus eigentlich nur scheitern kann. Für Geringverdiener sind schließlich weitere Transfersysteme wie die Arbeitslosenversicherung, Grundsicherung und Leistungen wie das Kindergeld entscheidende Faktoren, die an dieser Stelle ignoriert werden.

Fazit

Die Ausweitung der Midijob-Grenze folgt sozialpolitisch wieder einmal dem Prinzip Gießkanne. Wird nur genug Wasser auf den Boden geschüttet, werden schon irgendwo Blumen wachsen. Doch Wasser beziehungsweise Beitragsmittel sind ein rares Gut und sollten daher sorgfältig eingesetzt werden.

Die Alimentierung bestimmter Einkommen untergräbt erneut den Versicherungscharakter der Gesetzlichen Rentenversicherung und kann dabei ihre eigene Zielsetzung nur sehr unscharf erreichen. Sie verteuert wieder einmal die Rente im demografischen Wandel und führt zu einer sehr ungenauen Umverteilung. Altersarmut kann sie dabei kaum bekämpfen, da wir zum einen nicht wissen, wer eigentlich in diesem Lohnsegment Unterstützung benötigt, und die Maßnahme zum anderen die besonders relevante Gruppe der Erwerbsgeminderten kaum erreicht. Zu guter Letzt mag dieses Instrument auch aus arbeitsmarktpolitischen Argumenten nicht überzeugen, denn hier gäbe es etwa mit einer negativen Einkommensteuer effizientere Wege.

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