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Protektionismus und Fremdenfeindlichkeit: Über die Wurzeln zweier Übel

Der SWR produziert einen Beitrag, in dem über die „Lüge vom Freihandel“ schwadroniert wird, und ein ehemaliger SPD-Politiker wärmt olle Kamellen auf und warnt vor der „feindlichen Übernahme“. - Diese Gesellschaft aus Untergangspropheten und Jammerlappen braucht eine hoffnungsvolle Botschaft menschlicher Fortschrittsfähigkeit, meint Clemens Schneider.

Auf Kosten der Rundfunkbeitragszahler wurde gerade vom SWR eine Dokumentation produziert und ausgestrahlt, die unter dem Titel „Spiel ohne Grenzen – Die Lüge vom Freihandel“ unverhohlen Propaganda für Protektionismus betreibt. Da wird einer Dame aus den USA breiter Platz eingeräumt, die dafür wirbt, nur Produkte zu kaufen, die in den USA produziert wurden. Mit anderen Worten: In Wyoming Produkte aus New Mexiko zu kaufen ist moralisch wertvoll, aus Mexiko hingegen verwerflich. In der Regel nennt sich so etwas Nationalismus.

Natürlich, so wird von den Redakteuren eingeräumt, seien landwirtschaftliche Produkte für Schweizer wegen deren Schutzzollpolitik teurer, aber dafür schütze man schließlich die Landwirtschaft. Ob Fliesenproduktion oder Fahrräder – allenthalben wird Protektionismus gerechtfertigt, weil die chinesischen Waren ja die westlichen Märkte „überschwemmen“ würden. Ob der asiatische Arbeiter weniger Schutz verdient hat als der aus Franken, wird genauso wenig hinterfragt, wie die Tatsache anerkannt wird, dass billige Produkte ja durchaus gerade für Geringverdiener hierzulande eine wesentliche Lebensverbesserung darstellen.

Geschichte wird gerade so zurechtgebogen, dass es passt. So wird behauptet: „Dabei sind wir Deutschen, wie alle Industrienationen, erst groß geworden, weil wir uns anfangs selbst gegen die Konkurrenz von draußen massiv geschützt haben.“ Verwiesen wird dabei ausgerechnet auf die Zollpolitik Bismarcks, die der ja auspackte, nachdem die Boomphase so richtig losgelegt hatte – als Ergebnis einer beispiellosen Freihandelspolitik ab den 1840er Jahren. Und nachdem in dem gesamten Film schon immer wieder vor der Warenflut aus China gewarnt worden ist, merkt der Sprecher folgerichtig in den letzten Minuten an: „Nur wenn es ihnen dort [in Afrika] besser geht, werden Millionen von Menschen sich nicht auf den Weg machen, ihre Existenz in Europa zu suchen.“ Abgesehen davon, dass ja gerade wachsender Wohlstand die Migrationsbereitschaft erhöht, ist das eine Bildsprache und Färbung, die man eher aus einer Ecke des politischen Spektrums kennt, die öffentlich-rechtliche Redakteure in der Regel eher von der Kanzel ihrer moralischen Unfehlbarkeit aus bekämpfen.

Finstere Mächte, die übervorteilen und überrennen

Apropos Ecke des politischen Spektrums: Wenn Sarrazin in seinem neusten Buch von der feindlichen Übernahme schreibt (irgendwie erinnert das entfernt an Franz Münteferings „Heuschrecken“-Bild – ist vielleicht so ein SPD-Ding …), fragt sich der uninteressierte Beobachter schon, ob es wirklich nötig war, noch einmal sämtliche Pauschal- und Vorurteile, die über den Islam so herumgeistern, wieder aufzuwärmen. Zugegeben: Der Verfasser hat das Buch noch nicht in Händen gehalten. Aber sowohl wohlwollende als auch vernichtende Kritiken lassen nicht erkennen, dass sich irgendwelche bedeutenden neuen Erkenntnisse oder Beobachtungen in dem Buch finden lassen. Es lebt – wie meist bei derlei Publikationen – vermutlich vor allem vom Nimbus des Autors, der sich schon seit Jahren als einsamer Rufer in der Wüste zu inszenieren weiß.

Die Einschaltquoten für die „Lüge vom Freihandel“ sind garantiert sehr viel höher als für einen Film, in dem Kritiker und Befürworter des Freihandels ausgeglichen Raum bekommen.

SWR und Sarrazin profitieren davon, dass sie Urängste der Menschen ansprechen. In alarmistischer Manier wird vor Übervorteilung oder Überfremdung gewarnt. Das Geschäft läuft: Die Einschaltquoten für die „Lüge vom Freihandel“ sind garantiert sehr viel höher als für einen Film, in dem Kritiker und Befürworter des Freihandels ausgeglichen Raum bekommen. Und ein Buch, das Islam und Muslime in ihrer ungeheuren Vielfalt darstellt, wird nicht so bald in die zweite Auflage kommen. Panikmache und die Angst vor finsteren Mächten sind immer noch die besten Verkaufsschlager – fragen Sie mal bei den Produzenten in Hollywood nach.

All diese Angstszenarien haben freilich auch etwas furchtbar Jammerlappiges. Hier werden in der Regel keine Hoffnungen entwickelt, keine konstruktiven Konzepte angeboten. Statt Veränderung anzupacken, wird eine Runde Gruppenjammern und Selbstmitleid angeboten.

Zeit, eine alte Idee wiederzubeleben

In der Geschichte politischer Bewegungen ragt aus freiheitlicher Sicht eine ganz besonders hervor, die dieser Larmoyanz besonders entschieden entgegengetreten ist: die Bewegung der Whigs, die zwischen 1688 und 1894 Großbritannien und dann die Vereinigten Staaten wesentlich geprägt hat. Diese Vorläufer des Liberalismus standen für Vertrauen auf den Fortschritt der Menschheit, für Toleranz, Marktwirtschaft und eine Beschränkung des Politischen auf einige Kernbereiche. Zu ihren Vordenkern gehörten Männer wie John Locke mit seinem Plädoyer für Toleranz, Adam Smith mit seinem Bild des Menschen als auf Kooperation ausgerichteten Wesens und Adam Ferguson mit seiner Wertschätzung menschlicher Evolution als eines Akts der Selbstbefreiung. Fortschritt und Emanzipation waren für diese Vordenker die Quintessenz des Ideals der Freiheit.

Die Ideen der Whigs prägten zentrale Entwicklungen auf dem Weg in die offene Gesellschaft. Die Abschaffung der Sklaverei hatte hier ihren Ursprung ebenso wie die Gleichberechtigung der Frau. Die großen Kämpfer gegen Protektionismus und Nationalismus und für Freihandel und Frieden, Richard Cobden, John Bright und William Gladstone, stehen in dieser Tradition. Und auch die Amerikanische Unabhängigkeitsbewegung war entscheidend von den Whigs beeinflusst. – Übrigens auch das Verständnis der USA als Einwanderer-Nation, auch wenn sich viele Angelsachsen ähnlich drastisch über die zuwandernden Deutschen, Iren und Italiener aufregten wie heute Sarrazin über Muslime.

Marktwirtschaft und offene Gesellschaft haben der Menschheit eine beispiellose Verbesserung ihrer Lebensumstände beschert.

In dieser Zeit, wo Schwarzseher, Panikmacher und Angsthasen wieder Hochkonjunktur haben, muss das Prinzip Hoffnung wieder gestärkt werden. Marktwirtschaft und offene Gesellschaft haben der Menschheit eine beispiellose Verbesserung ihrer Lebensumstände beschert. Sie sind aber angewiesen auf starke und überzeugende Verteidiger. Friedrich August von Hayek schwärmt in seinem Aufsatz „Warum ich kein Konservativer bin“ von den Old Whigs und ihrer Gesinnung. Gegen Ende hin schreibt er diese heute noch hochaktuellen Worte:

In einer Welt, in der es wieder, wie schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts, das wichtigste ist, den spontanen Entwicklungsprozess von den Hindernissen und Beschwernissen, die die menschliche Torheit aufgerichtet hat, zu befreien, müssen unsere Hoffnungen darauf beruhen, dass er jene, die ihrer Veranlagung nach ‚Fortschrittliche’ sind, überzeugen und ihre Unterstützung gewinnen kann und, auch wenn sie jetzt die Änderungen vielleicht in der falschen Richtung suchen, zumindest gewillt sind, das Bestehende kritisch zu untersuchen und wenn nötig zu ändern.

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