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Beim Duschen wird man nass – oder warum eine Rentenreform ohne Mathematik nicht funktioniert

Die GroKo steht für Große Kosten. Der Aktionismus in der Rentenpolitik macht alles nur schlimmer und teurer. Der demografische Wandel sorgt in den sozialen Sicherungssystemen für Chaos und erfordert unbequeme Antworten.

Die Deutschen blicken gerne und nicht ganz ohne Neid nach Skandinavien, beispielsweise nach Schweden. Dort läuft dem Augenschein nach alles bestens: Gleichberechtigung, Kinderbetreuung, Lebensqualität und Zufriedenheit, Wohlstand und überhaupt. Beim Thema Rente dagegen ist noch keiner auf die Idee gekommen, auch mal nach Schweden oder Norwegen zu blicken: Dort gibt es nämlich seit Jahrzehnten eine einfach und logische Regelung, die dafür sorgt, dass die Rente auch in Zukunft noch funktioniert – eine Kopplung von Lebensarbeitszeit und Lebenserwartung. Beide Länder fahren recht gut damit. In Deutschland findet eine gesellschaftliche Debatte über eine zukunftsfeste Reform des umlagefinanzierten Bismarck’sche Rentensystem gar nicht statt. Vor allem das Thema „Länger arbeiten“ gilt in der Politik als Tabu, schließlich ist der Medianwähler bereits in die Jahre gekommen und hat die Rente im Blick.

Aber von vorn. Mit seinem so genannten „Rentenpakt“ versucht SPD-Bundesarbeitsminister Hubertus Heil derzeit das Kunststück, einen Kreis in ein Quadrat umzuwandeln. Tatsache ist aber, dass angesichts des demografischen Wandels in Deutschland das Rentenniveau nicht konstant gehalten werden kann bei konstanten Beiträgen, unveränderten Steuerzuschüssen an die Rente und einem Renteneintrittsalter, das da bleibt, wo es heute ist. Man muss sich beim Duschen eben nass machen. Also muss man sich entscheiden, was man will: Will man den zukünftigen Steuerzahler belasten, weil man das Rentenniveau konstant hält? Will man den zukünftigen Beitragszahler eben doch noch belasten, ihm das aber erst später erzählen? Oder will man die Verlängerung der Lebensarbeitszeit? All das steht derzeit nicht auf der offiziellen Agenda der Bundesregierung aus Union und SPD. Dafür steht die Quadratur des Kreises auf der Agenda, ohne sich in irgendeiner Weise um Mathematik zu scheren.

Die demografischen Lasten müssen generationengerecht verteilt werden – nach dem Verursacherprinzip

Die Rentenversicherung hat ein strukturelles Problem: Die Menschen leben länger und es gibt immer weniger davon. Der demografische Wandel beschert uns also immer mehr Rentner und weniger Erwerbstätige, die die Renten bezahlen. Durch die Agenda 2010 des früheren Bundeskanzlers Gerhard Schröder (SPD) haben wir mit der Rürup-Kommission im Grunde genommen alle Weichenstellungen getroffen, um das Rentensystem angesichts der demografischen Herausforderungen nicht vor die Wand zu fahren. 2003 wurde in der Rentengesetzgebung der so genannte Nachhaltigkeitsfaktor eingeführt, der auch die Finanzkraft der Beitragszahler berücksichtigt. Die Konsequenzen des demografischen Wandels müssen eben auch die Rentner ein Stück weit mittragen – mit einem sinkenden Rentenniveau. Trotzdem ist die Basisversorgung durch die gesetzliche Rente nach wie vor gewährleistet. Für die Lebensstandardsicherung muss jeder zusätzlich vorsorgen, ob privat oder betrieblich. Das ist aber nicht neu.

Es drohen fatale Folgen für die Jungen und die Rentenkassen

Mit der Einführung des Nachhaltigkeitsfaktors und der schrittweisen Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre wurden im Prinzip drei Viertel der notwendigen Reformschritte für eine demografiefeste Rente zurückgelegt. Mit doppelter Haltelinie und zusätzlichen Leistungsausweitungen für Mütter, Erwerbsgeminderte und Geringverdiener werden nun die völlig falschen Weichenstellungen unternommen – mit fatalen Folgen für kommende Generationen sowie die Nachhaltigkeit der Finanzierung unseres Landes.

Geht man vom momentanen gesetzlichen Stand in der Rente aus, also einem gültigen Nachhaltigkeitsfaktor und einem begrenztem Beitragssatz von 22 Prozent (Altersvermögensergänzungsgesetz, AvmEG, 2001), ergibt sich in der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) langfristig eine Nachhaltigkeitslücke von 50,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP). Das ist eigentlich schon alarmierend genug und zeigt den Handlungsbedarf.

Anstatt nun die Folgen des demografischen Wandels weiter abzumildern durch eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit, macht die Regierung eine Rolle rückwärts.

Anstatt nun die Folgen des demografischen Wandels weiter abzumildern durch eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit, macht die Regierung eine Rolle rückwärts. Bei der Fixierung des derzeitigen Rentenniveaus käme es zu einem Anstieg der Nachhaltigkeitslücke auf dann 111,9 Prozent des BIP. Ein fixiertes Rentenniveau könnte demnach Mehrkosten von rund 1,9 Billionen Euro verursachen. Diese Summe verdeutlicht, wie unrealistisch solche Forderungen unter den jetzigen Bedingungen tatsächlich sind. Sollte dennoch die Einführung einer Haltelinie beim heutigen Rentenniveau beschlossen werden, so müsste zur Finanzierung der Beitragssatz langfristig auf nahezu 30 Prozent des durchschnittlichen Arbeitsentgelts angehoben werden.

Eine doppelte Haltelinie (kein Nachhaltigkeitsfaktor und ein Beitragssatz von höchstens 20 Prozent) würde dementsprechend zu einer Verschuldung der GRV von 173,6 Prozent des BIP führen. Zur Schließung der Finanzierungslücke wären dann erhebliche Zuschüsse des Bundes nötig. Angesichts der Tatsache, dass die doppelten Haltelinien langfristig nicht finanzierbar sind, sollte man sie also erst gar nicht einführen. Die Zeche zahlen, wenn es so kommt, die Jüngeren als Steuer- und als Beitragszahler – mit unabsehbaren Folgen für die Zukunft Deutschlands.

Die so genannten Babyboomer, die heute 40, 50 oder 60 Jahre alt sind, müssen sich klar machen, dass sie verantwortlich dafür sind, dass es in Zukunft zu wenige Beitragszahler geben wird. Deshalb haben wir mit der Agenda 2010 von Gerhard Schröder beschlossen, dass das Rentenniveau sich der Zahl der Beitragszahler anpassen soll. Das war der Beschluss von Schröder – Finanzminister Olaf Scholz macht genau das Gegenteil. Er tritt die Agenda 2010 mit Füßen.

Wunder gibt es immer wieder – Kommt es so, wie unsere Kinder es wollen?

Wie könnte eine Agenda für eine generationengerechte Rente aussehen? Zunächst sollten die Fehler von Andrea Nahles (abschlagsfreie Rente mit 63) und von Hubertus Heil mit seinem desaströsen Rentenpaket rückgängig gemacht werden. Die immer zahlreicheren versicherungsfremden Leistungen wie die Mütterrente sollten aus der GRV herausgenommen und über Steuern finanziert werden. Der Nachhaltigkeitsfaktor muss wieder eingesetzt werden, die Abschläge bei den Frührenten erhöht und die Lebensarbeitszeit verlängert werden.

Schlussbemerkung: Auch eine Anhebung des Renteneintrittsalters wird weder eine Haltelinie beim Beitragssatz noch beim Rentenniveau ausgleichen können. Letztlich ist bei allen drei zentralen Einflussfaktoren der GRV – Beitragssatz, Rentenniveau und Renteneintrittsalter – ausreichend Flexibilität notwendig, um die Nachhaltigkeitslücke zu schließen.

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