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Entspannung auf dem Arbeitsmarkt – Ferien für die Arbeitsmarktpolitik?

Die Beschäftigungszahlen zeigen, der deutsche Arbeitsmarkt befindet sich auf einem Hoch. Trotzdem darf die positive Entwicklung nicht dazu verleiten, politische Bemühungen herunterzufahren, rät die Politik-Beratung Econwatch in ihrem aktuellen Policy Brief*.
Dr. Susanne Cassel und Dr. Tobias Thomas

Autor/Autorin

Dr. Susanne Cassel und Dr. Tobias Thomas

sind Vorsitzende bei Econwatch, einer gemeinnützigen und unabhängigen Organisation, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, verständlich und wissenschaftlich fundiert über Wirtschaftspolitik zu informieren und Reformmöglichkeiten aufzuzeigen.

* Dieser Policy Brief entstand auf Grundlage des Econwatch-Meetings „Entspannung auf dem Arbeitsmarkt – Ferien für die Arbeitsmarktpolitik?“ mit Prof. Dr. Jochen Kluve (RWI – Leibniz Institut für Wirtschaftsforschung und Humboldt-Universität zu Berlin) am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung Berlin. Das Video unten wurde im Vorfeld der Veranstaltung aufgenommen.

Politikanalyse:

  • Der deutsche Arbeitsmarkt ist in sehr guter Verfassung: Rekordbeschäftigung, sinkende Arbeitslosigkeit und abnehmender Anteil atypischer Beschäftigung.
  • Die Herausforderungen sind die nach wie vor hohe Langzeitarbeitslosigkeit sowie die notwendige Integration anerkannter Asylbewerber in den Arbeitsmarkt.
  • Auch demographischer Wandel und Digitalisierung erfordern Anpassungen.

Politikempfehlung:

  • Arbeitsmarkt flexibel halten, keine Einstiegshürden errichten.
  • Arbeitskräftepotenzial besser ausschöpfen und Zuwanderung von Qualifizierten.
  • (Frühkindliche) Bildung stärken, lebenslanges Lernen fördern.

Der deutsche Arbeitsmarkt ist in sehr guter Verfassung. Die Beschäftigung ist in den vergangenen Jahren kräftig gestiegen und die Anzahl der Arbeitslosen von mehr als fünf Millionen im Jahr 2005 erstmals seit der Wiedervereinigung auf unter 2,6 Millionen gesunken. Dabei ist vor allem die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung gestiegen.

Trotz der erfreulichen Entwicklung bestehen weiterhin große Herausforderungen: Um die immer noch hohe Langzeitarbeitslosigkeit abzubauen und anerkannte Asylbewerber in den Arbeitsmarkt zu integrieren, sollte der Arbeitsmarkt möglichst flexibel gehalten und sollten geeignete (Weiter-)Bildungsmaßnahmen angeboten werden. Zudem gilt es im Hinblick auf den drohenden Fachkräfteengpass, das vorhandene Arbeitskräftepotenzial besser zu nutzen und insbesondere Frauen und Ältere stärker in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Auch sollte die Zuwanderung von Akademikern und qualifizierten Fachkräften besser gesteuert werden. Der zunehmenden Digitalisierung sollte durch lebenslanges Lernen begegnet werden.

Zwischen 2005 und 2016 ist die Anzahl der Erwerbstätigen um rund vier Millionen gestiegen, obwohl im gleichen Zeitraum die Erwerbsbevölkerung geschrumpft ist. Dieser Anstieg ist in den Jahren 2005 bis 2010 vor allem darauf zurückzuführen, dass mehr Menschen – vor allem Frauen – eine Arbeit aufgenommen haben und die Arbeitslosigkeit, insbesondere unter den Langzeitarbeitslosen, gesunken ist.

In der Zeit von 2011 bis 2016 war die Erwerbsmigration Treiber des Anstiegs der Erwerbstätigen. Auch die Zahl der Normalarbeitsverhältnisse, das heißt der unbefristeten Arbeitsverhältnisse in Vollzeit oder Teilzeit mit mehr als 20 Stunden, hat von 2005 bis 2016 zugenommen. Während von 2006 bis 2011 gleichzeitig auch die sogenannte atypische Beschäftigung, das heißt befristete Arbeitsverhältnisse, Teilzeit von weniger als 20 Stunden, geringfügige Beschäftigung sowie Zeitarbeit, gestiegen ist, hat sie in der Zeit nach 2011 abgenommen. In solchen Arbeitsverhältnissen beschäftigt sind insbesondere Frauen, Geringqualifizierte und junge Menschen, wobei diese Art der Beschäftigung oftmals auch als Einstieg in die Erwerbstätigkeit dient.

Die positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt ist im Wesentlichen auf drei Ursachen zurückzuführen:

  • Erstens hat sich die in- und ausländische Nachfrage nach deutschen Gütern und Dienstleistungen seit 2005 recht gut entwickelt.
  • Zweitens hat die Lohnspreizung viele neue Arbeitsplätze vor allem im unteren Lohnsegment geschaffen, und die Tarifparteien haben sich auf relativ moderate Lohnsteigerungen geeinigt. Und schließlich haben sich
  • Drittens haben sich die strukturellen Arbeitsmarktreformen, die zu Beginn der 2000er Jahre umgesetzt worden sind, in der längeren Frist positiv ausgewirkt. So haben die so genannten Hartz-Reformen die Anreize gestärkt, einer bezahlten Arbeit nachzugehen statt arbeitslos zu bleiben, und das Recht auf Teilzeit hat für viele, insbesondere Frauen, den Weg in den Arbeitsmarkt geebnet.

Trotz der arbeitsmarktpolitischen Erfolge der letzten Jahre bleiben die Herausforderungen groß. So gilt es, die nach wie vor beträchtliche Zahl an Langzeitarbeitslosen zu senken und anerkannten Asylbewerbern den Einstieg in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Für beide Gruppen kommt es darauf an, ihnen arbeitsmarktrelevante Bildungsmaßnahmen anzubieten.

Bildung ist auch als vorbeugende Maßnahme gegen (Langzeit-)Arbeitslosigkeit von großer Bedeutung. Hier sind allerdings in der Regel keine schnellen Erfolge zu erzielen. Die längerfristig erreichbaren Effekte sind jedoch deutlich größer als diejenigen von schnell wirksamen Maßnahmen. Neben der Qualifizierung am Arbeitsmarkt benachteiligter Gruppen sollte daher ein besonderer Fokus auf die frühkindliche Bildung gelegt werden.

Zudem müssen Antworten auf den durch den demographischen Wandel zunehmenden Fachkräftemangel gefunden werden. Dazu sollten insbesondere die Möglichkeiten verbessert werden, Beruf und Familie in Einklang zu bringen, sowie der Zugang zum Arbeitsmarkt für beruflich qualifizierte Fachkräfte aus dem außereuropäischen Ausland besser geregelt werden. Das von der Bundesregierung geplante Fachkräftezuwanderungsgesetz kann hier ein wichtiger Schritt sein. Auch wenn die vielfach in der öffentlichen Diskussion geschürten Ängste vor Arbeitsplatzverlusten durch Automatisierung unbegründet sind, gilt es schließlich, sich auf die Herausforderungen einer digitalisierten und automatisierten Arbeitswelt einzustellen. Auch dazu ist Bildung ein Schlüsselelement. Arbeitnehmer sollten die notwendigen Fähigkeiten vermittelt bekommen, um sich an die neuen Bedingungen anpassen zu können. Vor allem sollten allgemeine Kompetenzen gestärkt und die Rahmenbedingungen für lebenslanges Lernen  geschaffen werden. Zudem sollte der Arbeitsmarkt flexibel und Eintrittsbarrieren möglichst niedrig gehalten werden.

Die in den letzten 15 Jahren erzielten Erfolge am Arbeitsmarkt sind beachtlich. Dies darf allerdings nicht dazu verleiten, die Hände in den Schoß zu legen oder gar Reformen umzusetzen, die die erreichte Flexibilität am Arbeitsmarkt wieder einschränken und Hürden für den Arbeitsmarkt aufbauen. Der demographische Wandel und die Digitalisierung erfordern, das Arbeitskräftepotenzial möglichst gut zu nutzen. Dazu sollten auch flexible Arbeits(zeit)modelle angeboten werden. Nicht zuletzt kann sich das weltwirtschaftliche Klima angesichts der handelspolitischen Auseinandersetzungen zwischen den USA und vielen seiner Partner schnell merklich abkühlen. Darauf sollte auch der Arbeitsmarkt vorbereitet sein.

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