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Auch beste Voraussetzungen schützen vor Schaden nicht: Warum die Soziale Marktwirtschaft in der Krise ist

Die soziale Gerechtigkeit ist das Schlagwort des Jahrzehnts. Dass die soziale Unzufriedenheit größer wird, obwohl es den Deutschen so gut geht wie nie, ist ein Phänomen. Irgendwas geht also schief im Staate. In Reichtum ohne Grenzen? Die Soziale Marktwirtschaft im 21. Jahrhundert suchen die Autoren Martin Pätzold und Volker Tolkmitt nach Erklärungen und besinnen sich auf die Werte und Ideen der Sozialen Marktwirtschaft. Ein gelungener Versuch.

Nein. So lautet die Antwort auf den Titel des Buches „Reichtum ohne Grenzen?“. Und natürlich ist die Soziale Marktwirtschaft eine der besten, wenn nicht die beste Wirtschaftsordnung, die Menschen je erfunden haben. Sie hat in der Geschichte der Deutschen wie kein System zuvor zu sozialem Frieden und zu mehr Wohlstand in der Breite beigetragen. So weit die wichtigsten Feststellungen zu diesem Buch.

Doch was dem Werk der beiden Wirtschaftsprofessoren Martin Pätzold und Volker Tolkmitt zusätzlich gelingt, ist eine fachkundige und in ihrem Duktus wohltuend ressentiment- und ideologiefreie Darstellung der Errungenschaften und Potenziale der Sozialen Marktwirtschaft. Es leistet einen aktuellen Beitrag zur Debatte um soziale Gerechtigkeit, es diskutiert die Möglichkeiten und Risiken eines flächendeckenden Grundeinkommens und bietet eine differenzierte Betrachtung zum Thema Reichtum und Vermögen. Die Autoren sind überzeugt: Die Einkommensverteilung muss von der Gesellschaft als gerecht empfunden werden. Erst dann mindert sie soziale Spannungen und trägt zur Akzeptanz der Marktwirtschaft bei.

Damit die Soziale Markwirtschaft auch im 21. Jahrhundert ihr Versprechen „Wohlstand für alle“ einhalten kann, gilt es, heute noch viel stärker für dieses Wirtschaftssystem in der Gesellschaft zu werben.

Vor allem aber versteht sich das Buch als Appell an das Verantwortungsgefühl von Bürger und Staat: Damit die Soziale Markwirtschaft auch im 21. Jahrhundert ihr Versprechen „Wohlstand für alle“ einhalten kann, gilt es, heute noch viel stärker für dieses Wirtschaftssystem in der Gesellschaft zu werben, seine Schwächen (vor allem was Bildung und Forschung angeht) abzubauen und sich auch den Herausforderungen der Digitalisierung und der damit verbundenen möglichen sozialen Spaltung endlich tatkräftig zu stellen.

Zunächst zeigen die Autoren, inwieweit sich die Soziale Marktwirtschaft und ihre Werteordnung am Fundament und den Kriterien des christlichen Menschenbildes und der christlichen Sozialethik orientiert. Ebenso fließen die sozialpolitischen Diskussionen und Konflikte der beginnenden Industrialisierung im 19. Jahrhundert in die Vorüberlegungen der Sozialen Marktwirtschaft mit ein. Und nicht zuletzt: Liberalen wie Joseph Schumpeter und ordoliberalen Vordenkern wie Wilhelm Röpke und Walter Eucken ist es zu verdanken, dass für die Soziale Marktwirtschaft schließlich diejenigen Grundwerte wirtschaftlichen Handelns definiert wurden, die bis heute für die Bundesrepublik Verpflichtung sind.

Doch auch die besten Voraussetzungen schützen vor Schaden nicht: Die aktuelle Krise der Sozialen Marktwirtschaft führen Pätzold und Tolkmitt vor allem auf Fehler in der deutschen und europäischen Sozialpolitik zurück: wenig effiziente Regulierung, Überforderung der sozialen Sicherungssysteme in einigen EU-Volkswirtschaften, eine verfehlte Kreditpolitik und schlichtweg auch eine Krise der Moral und Sozialethik.

Doch klar ist auch: Die Soziale Marktwirtschaft ist nicht sakrosankt. Die Akteure müssen sich neuen gesellschaftspolitischen Entwicklungen stellen und Antworten finden. Es geht in diesem System nicht um Wachstum um jeden Preis, sondern um nachhaltiges Wirtschaften auch für die kommenden Generationen. Das bedeutet für die beiden Autoren: In die Binnen- und Exportwirtschaft muss balanciert investiert werden. Dazu ist ein stabiles Preisniveau unabdingbar. „Die Sicherung des Wettbewerbs und ein stabiles Geldsystem sind die beste Sozialpolitik.“ Erst eine gerechte Einkommens- und Vermögensentwicklung ermöglicht Wirtschaftswachstum und hohen Beschäftigungsstand und schafft bei den Bürgern das Gefühl, was die Soziale Marktwirtschaft und ihr Motto „Wohlstand für alle“ tatsächlich bedeutet. Zudem muss der Staat seine Rolle überdenken und seine Übergriffigkeit reduzieren. „Freiheit ohne staatliche Ordnung führt zur Anarchie und nur staatliche Ordnung ohne Freiheit zur Planwirtschaft. […]. Es gilt, die Balance zu halten zwischen Freiheit und staatlicher Ordnung.“

Die soziale Unzufriedenheit hat in Deutschland trotz guter wirtschaftlicher Entwicklung in den vergangenen Jahren zugenommen.

Die Autoren werben für eine Kräftigung des Systems: „Zukünftig muss wieder ein stärkeres Miteinander von Wirtschafts- und Sozialpolitik im Fokus der Diskussionen zur Sozialen Marktwirtschaft stehen.“ Ein genauerer Blick auf die Sozialleistungen lohnt sich: Der aktuelle Anteil und auch die absoluten Summen der Sozialausgaben am Bundeshaushalt sind heute so hoch wie nie zuvor. Doch werden diese Erfolge heute nicht wirklich wahrgenommen und oft für selbstverständlich gehalten. Die fatale Konsequenz: Die soziale Unzufriedenheit hat in Deutschland trotz guter wirtschaftlicher Entwicklung in den vergangenen Jahren zugenommen. Das mag sicher auch daran liegen, dass zum Beispiel Spitzenverdiener heute ihre Steuern im Ausland zahlen, „dass Starbucks, Apple und andere multinationale Unternehmen durch interne Verrechnungspreise Steuervermeidung betreiben und vermeintliche Vorbilder innerhalb einer Gesellschaft nicht mehr durch ihr wertorientiertes, soziales Verhalten auffallen“.

Um diese Schieflage aufzulösen, fordern die Autoren: Leistungsträger und öffentliche Personen sollten vorangehen und zum Beispiel in Form von Förderungen und Stiftungen persönliche Verantwortung für die Gesellschaft noch stärker übernehmen. Oder Szenario zwei: „Der Staat muss über Maßnahmen nachdenken, die den Einzelnen an seine gesellschaftliche Verantwortung erinnern und eine Rückbesinnung auf soziale Werte fördern oder gesetzlich oder steuerlich erzwingen.“ Ein zweifellos autoritärer, aber vielleicht wirksamer Ansatz.

Fazit

Das Buch der beiden Wirtschaftsautoren ist ein Plädoyer für die Soziale Marktwirtschaft. Es rüttelt wach und macht deutlich, dass wir von Glück reden können, in einer der besten Wirtschaftswelten von allen leben zu dürfen.

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