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Liberalisiert den Fernwärmemarkt!

Der Strom- und der Gasmarkt wurden schon vor langer Zeit liberalisiert. Anders bei der Fernwärme: Hier sind die Verbraucher immer noch lokalen Monopolen und damit hohen Kosten ausgeliefert.

Seit 20 Jahren können Stromverbraucher ihren Versorger frei wählen. Mit der Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes im Jahr 1998 wurde die erste EU-Richtlinie zur Elektrizitätsmarktliberalisierung aus dem Jahr 1996 in nationales Recht umgesetzt, die Liberalisierung des deutschen Strommarktes nahm ihren Anfang. Obgleich noch immer ein Großteil der Verbraucher ihren Stromversorger nicht häufig wechselt und viele Kunden im relativ teuren Grundversorgungstarif ihres örtlichen Stromversorgers verharren, ist der Wechsel des Stromversorgers heutzutage vergleichsweise einfach möglich, vor allem dank zahlreicher Vergleichsportale im Internet. Ein Wechsel nimmt mit etwas Übung weniger als eine halbe Stunde in Anspruch.

Beachtet man einige Regeln, etwa das Vermeiden von Vorauskasse und von extremen Lockangeboten, besonders von noch nicht lange am Markt agierenden und daher eher unbekannten Unternehmen, zahlt sich das Wechseln häufig allein durch die Gewährung unterschiedlicher Arten von Boni aus, von niedrigen Preisen je Kilowattstunde ganz zu schweigen, ohne dass sich der Anbieterwechsel zu einem erheblichen finanziellen Risiko entwickelt. Mit etwas Vorsicht und Erfahrung bleiben Wechslern finanzielle Schäden erspart, wie sie etwa Kunden des nur kurze Zeit am Markt agierenden Unternehmens Teldafax bei dessen Insolvenz erleiden mussten.

Im Gegensatz zum Strom- und Gasmarkt ist man von einer Liberalisierung des Fernwärmemarktes noch Lichtjahre entfernt.

Auch Gaskunden können seit der Liberalisierung des deutschen Gasmarktes im Jahr 2004, mit der die erste EU-Richtlinie zur Gasmarktliberalisierung von 1998 umgesetzt wurde, unter einer großen Zahl an Versorgern wählen. Ein Versorgerwechsel gestaltet sich selbst ohne Einsatz des Internets ähnlich einfach wie der Wechsel des Stromversorgers.

Diese Freiheiten hatten Verbraucher lange Zeit nicht: Vor der Liberalisierung der Strom- und Gasmärkte waren die Verbraucher an ihren jeweiligen örtlichen Versorger gebunden. Dieser agierte als Monopolist, so wie das heute bei der Fernwärmeversorgung noch immer der Fall ist.

Die ursprüngliche ökonomische Begründung für diese Monopolstellung lautete: Die Strom- und die Gasversorgung sind als natürliche Monopole anzusehen, deren Existenz auch in einer Marktwirtschaft gerechtfertigt ist. Diese lange Zeit vorherrschende Auffassung ist längst relativiert worden. Heute ist die Begründung auf Basis natürlicher Monopole nur auf einen Teil der Wertschöpfungskette beschränkt: den Betrieb der lokalen Verteilnetze und der überregionalen Übertragungsnetze für Strom und Erdgas. Weil der Bau paralleler Netzstrukturen volkswirtschaftlich nicht sinnvoll ist, ist Wettbewerb in diesem Bereich nicht möglich. Folgerichtig unterliegt der Betrieb von Strom- und Gasnetzen der staatlichen Regulierung und wird von der unter anderem zu diesem Zweck im Jahr 1998 gegründeten Bundesnetzagentur reguliert, während die liberalisierten Bereiche Erzeugung und Vertrieb aufgrund des existierenden Wettbewerbs nicht reguliert werden müssen.

20 Jahre nach der Liberalisierung der Strom- und Gasmärkte ist es allerhöchste Zeit, dass auch der Fernwärmemarkt liberalisiert wird.

Im Gegensatz zum Strom- und Gasmarkt ist man von einer Liberalisierung des Fernwärmemarktes noch Lichtjahre entfernt. Schlimmer noch: Der in der Sektoruntersuchung Fernwärme aus dem Jahr 2012 geäußerten Forderung des Bundeskartellamtes (2012, Seite 5) nach einer erleichterten Missbrauchskontrolle durch Einbeziehung der Fernwärme in § 29 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) wurde bis zum heutigen Tag nicht entsprochen.

Dabei leuchtet es nicht ein, weshalb die Versorgungssparte Fernwärme nicht den gleichen Kontrollmöglichkeiten unterliegen sollte, wie die Strom- und Gasnetze – schließlich sind die lokalen Fernwärmelieferanten in aller Regel der einzige Anbieter innerhalb des jeweiligen Netzgebietes, da Fernwärmenetze typischerweise in sich geschlossene wasser- oder dampfbasierte Versorgungssysteme sind. Damit bestehen in der Fernwärmeversorgung Monopolstrukturen, von denen die Beheizung von rund 14 Prozent des Wohnungsbestands in Deutschland betroffen ist.

Und obwohl der Bundesrat bei der 9. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen die Empfehlung aussprach, Fernwärme in den § 29 GWB mitaufzunehmen, sah die Bundesregierung dafür keinen Bedarf. Dabei käme eine Beweislastumkehr, wie sie im § 29 geregelt ist, der Missbrauchsaufsicht des Bundeskartellamtes entgegen, um so dessen Kontrollmöglichkeiten zu stärken beziehungsweise zu vereinfachen.

Die Notwendigkeit der Kontrolle zeigt die Sektoruntersuchung aus dem Jahr 2012 deutlich auf: „Ein Anfangsverdacht für missbräuchlich überhöhte Preise lässt sich […] für die betroffenen Netzgebiete ohne Weiteres ableiten“ (Seite 3). Die häufig vorgebrachte Argumentation, dass von alternativen Möglichkeiten der Beheizung, wie etwa Heizöl oder Erdgas, Wettbewerbsdruck in gewissem Umfang ausgehen würde, ist kaum nachvollziehbar angesichts der Tatsache, dass in vielen Fällen ein Anschlusszwang an das Fernwärmenetz herrscht und in Fällen, in denen dies nicht zutrifft, der Wechsel von einer Fernwärmeheizung auf ein anderes Heizungssystem mit sehr hohen Kosten verbunden ist.

Insbesondere wird niemand wechseln, der erst vor wenigen Jahren in seine eigene Fernwärmeinfrastruktur investiert hat (Lock-in-Effekt). In der Regel hat man nämlich einen fünfstelligen Betrag für den Kauf einer unbedingt erforderlichen Fernwärmestation und den häuslichen Leitungsbau ausgegeben und Anschlussgebühren in nicht unerheblichem Umfang an Fernwärmeversorger gezahlt. Ein Wechsel wird vor allem dann erst wieder interessant, wenn die Fernwärmestation erneuert werden muss. Dann stellt sich die Frage, ob man nicht in eine alternative Heizinfrastruktur, etwa einen Erdgasbrennwertkessel, investiert, der ähnlich hohe Investitionskosten zur Folge hat wie eine Fernwärmestation, aber niedrigere Heizkosten als bei Fernwärme und die Freiheit bei der Versorgerwahl ermöglicht.

Diese Entscheidung fällt jedoch selbst ohne Fernwärmeanschlusszwang in den wenigsten Fällen zugunsten der Alternative zu Fernwärme aus. Die Gründe dafür sind vielfältiger Natur. In sehr vielen Fällen fehlt schlicht ein Kamin, der für eine alternative Beheizung mit Erdgas oder Heizöl nötig wäre, aber beim Bau des Hauses nicht installiert wurde, da die Wärmeversorgung von Anfang an auf Fernwärme ausgerichtet wurde. Um wechselwillige Kunden von einem Wechsel abzuhalten, kommt es zudem nicht selten vor, dass der örtliche Fernwärmeversorger dem Kunden zusätzliche Steine in den Weg legt, etwa in Form einer Kostenpauschale für den Rückbau der Fernwärmeversorgung, die leicht mehrere Tausend Euro ausmachen kann, oder auch von Anschlusskosten für eine neue Erdgasleitung, die sich je nach Gegebenheiten leicht auf 10.000 Euro belaufen können, obwohl manchmal sogar noch eine alte Erdgasleitung besteht, diese aber nach Maßgabe des örtlichen Versorgers nicht mehr reaktiviert werden darf.

Kommen dann noch weitere Hemmnisse hinzu, wie etwa Kettenverträge mit fünfjähriger Laufzeit, die den Fernwärmekunden bei nicht rechtzeitiger Kündigung weitere fünf Jahre an den Versorger binden, oder Kosten, wie sie etwa durch das Erneuerbare-Wärmegesetz in Baden-Württemberg induziert werden, überlegt selbst der Entschlossenste einen Wechsel sehr reiflich. Dieses Gesetz schreibt bei einer Erneuerung des Heizungssystems einen Anteil von 15 Prozent an erneuerbaren Energien vor, wovon die Fernwärmeversorgung aber explizit ausgenommen ist.

Aus allen diesen Gründen und noch weiteren Hemmnissen, wie Geruchsbelästigung bei der Alternative Heizöl oder (unbegründeten) Ängsten gegenüber einer Erdgasversorgung, ist die Schlussfolgerung des Bundeskartellamtes in der Sektoruntersuchung nur allzu verständlich: „Der hohe Umstellungsaufwand verhindert indessen, dass der Wettbewerbsdruck der benachbarten Märkte den Preissetzungsspielraum des jeweiligen Fernwärmelieferanten […] effektiv einschränken kann“ (Seite 1/2). Tatsächlich ist der Umstellungsaufwand in vielen Fällen sogar prohibitiv hoch und von Wettbewerbsdruck durch alternative Heizmöglichkeiten kann in den meisten Fällen nicht die Rede sein.

All dies erklärt, warum die Kosten für die Kilowattstunde Fernwärme im Durchschnitt seit Jahren höher liegen als etwa für die Kilowattstunde Erdgas (Abbildung 1). Dabei spiegeln die Kosten für die einzelne Kilowattstunde lediglich einen Teil der Kosten für die Fernwärmeversorgung wider. Oftmals sehen sich die Verbraucher hohen jährlichen Fixkosten ausgesetzt, die sich an der zur Verfügung gestellten Wärmeleistung bemessen. Zusammen mit der ebenfalls jährlich zu entrichtenden Messgebühr können sich die jährlichen Fixkosten im Einzelfall leicht auf rund 1.000 Euro belaufen. Hinzu kommt, dass der Kunde häufig mehr Wärme geliefert bekommt, als er tatsächlich haben möchte. Das Phänomen der im Sommer in unerträglicher Weise aufgeheizten Keller, für das man auch noch bezahlen muss, kennen Fernwärmekunden zu Genüge. Insgesamt können sich auf diese Weise Heizkosten für Fernwärme aufsummieren, die sich schnell auf das Doppelte dessen belaufen können, was für Alternativen zu zahlen wäre.

Quelle: Eigene Darstellung auf Basis von BMWi (2018)

Angesichts der aufgrund der monopolistischen Abhängigkeit vom Fernwärmeversorger häufig überhöhten Heizkosten und der zahlreichen Missbrauchsfälle, die das Bundeskartellamt in seiner Sektoruntersuchung aus dem Jahr 2012 festgestellt hat, ist es 20 Jahre nach der Liberalisierung der Strom- und Gasmärkte allerhöchste Zeit, dass auch der Fernwärmemarkt liberalisiert wird. Dies würde wegen der oftmals fehlenden Leitungen zu einem benachbarten Fernwärmenetz vorerst zwar nur in wenigen Fällen eine Konkurrenzsituation schaffen, dennoch muss dies nicht für alle Zeiten so bleiben. Und bereits das durch die Liberalisierung ausgesendete Signal könnte für eine gewisse Disziplinierung der Fernwärmebetreiber sorgen und zu mehr Transparenz bei den Preisen und deren Bildung sowie kürzeren Vertragslaufzeiten führen. Die Politik sollte daher den Verbrauchern nicht weiter die – oftmals kaum vorhersehbaren − Möglichkeiten vorenthalten, die eine Liberalisierung entfesseln kann.

Referenzen

BMWi (2018): Zahlen und Fakten Energiedaten, Nationale und internationale Entwicklung. Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, Berlin.

Bundeskartellamt (2012) Sektoruntersuchung Fernwärme. Abschlussbericht gemäß § 32e GWB – August 2012. Bundeskartellamt, Bonn.

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