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Oxfam-Bericht: Reichlich übertrieben

Weltweit nehme die Ungleichheit zu. Das attestiert Oxfam in seinem jährlichen Bericht „Public Good or Private Wealth“. Dr. Judith Niehues und Dr. Maximilian Stockhausen vom IW Köln haben sich die Daten genauer angeschaut und kommen zu einem anderen Ergebnis.

Alljährlich mahnt die Hilfsorganisation Oxfam pünktlich zum Weltwirtschaftsforum in Davos die Armut und große Ungleichverteilung des Wohlstands in Deutschland und der Welt an. Auf Missstände hinzuweisen ist richtig, sie regelmäßig zu übertreiben und die positiven Entwicklungen kleinzureden, hingegen nicht. Die Beobachtung, dass sich die absolute Armut seit dem Jahr 2000 nahezu halbiert hat, geht dabei schnell unter. Zwischen 1981 und 2015 ist der Anteil der armen Menschen bei wachsender Weltbevölkerung gar von 42 Prozent auf knapp unter 10 Prozent gesunken. Weiterhin leben aber immer noch über 700 Millionen Menschen unterhalb der von der UN definierten kaufkraftbereinigten Armutsgrenze von US-Dollar 1,90 am Tag. Die komplette Überwindung der absoluten Armut sollte daher eher im Zentrum der Debatte stehen als ein internationaler Vermögensvergleich, der ohne Berücksichtigung der jeweiligen institutionellen und sozio-kulturellen Länderkontexte überhaupt nicht aussagekräftig ist.

Der starke Fokus auf die Milliardäre lenkt zudem davon ab, dass nicht nur das durchschnittliche Nettovermögen pro Kopf seit 2000 weltweit gestiegen ist, sondern auch das mittlere Nettovermögen pro Kopf (mit Ausnahme von Afrika). Das mittlere Nettovermögen ist dabei der bessere Verteilungsindikator, da es ein Indikator für einen Vermögensanstieg in der unteren Hälfte ist. Würden beispielsweise nur die oberen 10 Prozent ihre Vermögenswerte steigern können und alle anderen nicht, so würde sich bei gleichbleibender Bevölkerung das durchschnittliche Nettovermögen pro Kopf erhöhen, das mittlere jedoch nicht. Darüber hinaus haben sich auch im vergangenen Jahr die Vermögensunterschiede zwischen den Ländern verkleinert, wenngleich die absoluten Unterschiede teilweise weiterhin sehr groß sind. Die ärmeren Regionen konnten zwischen 2000 und 2018 ihre Vermögensanteile relativ am stärksten steigern, 33 Prozent des Vermögenswachstums ging an diese Länder.

Die Ergebnisse entstammen dem Credit Suisse Global Wealth Report 2018, auf dem auch die Oxfam-Studie beruht. Diese zeichnen sich insbesondere dadurch aus, dass die Vermögensdaten aus konventionellen Haushaltsbefragungen wie dem Household Finance and Consumption Survey (HFCS) der Europäischen Zentralbank um Vermögensinformationen aus der Forbes Reichenliste ergänzt wurden. Da hochvermögende Haushalte nur selten an Haushaltsbefragungen beteiligt sind, kann somit die Realität besser abgebildet werden. Allerdings wird dabei häufig übersehen, dass auch die Vermögen im übrigen Teil der Bevölkerung nicht immer korrekt erfasst werden: In den Vermögensbefragungen gibt beispielsweise weniger als die Hälfte der deutschen Haushalte an, Versicherungen zu besitzen. Rechnet man die Angaben zusammen, kommt man jedoch gerade einmal auf rund 40 Prozent der Versicherungssumme, die bei der Deutschen Bundesbank erfasst ist. Es wäre überraschend, wenn sich das restliche Vermögen ausschließlich im Besitz der oberen zehn Prozent befände, denn private Renten- und Lebensversicherungen sind über die gesamte Bevölkerung breit verteilt. Zudem werden die gesetzlichen Rentenansprüche der Arbeitnehmer in den Vermögensbefragungen nicht erfasst.

Laut Berechnungen von DIW-Forschern würde sich bei Berücksichtigung der Rentenansprüche die Vermögensungleichheit – gemessen am Gini-Koeffizient – um fast 25 Prozent reduzieren. Der Vermögensanteil der ärmeren Hälfte der Bevölkerung würde sich nach Befragungsdaten des Sozio-oekonomischen Panels von 0,2 Prozent auf 16,6 Prozent erhöhen.

Ein Standard Kritikpunkt an den Oxfam Berechnungen ist weiterhin der Verweis, dass die alleinige Betrachtung von Nettovermögen zur Beurteilung von Armut und sozialer Gerechtigkeit ungeeignet ist. Wer einen Kredit hat, fällt damit schnell auf null zurück oder hat sogar ein negatives Vermögen. Ein verschuldeter Student in den USA gilt so beispielsweise als arm, obwohl er in Zukunft wahrscheinlich viel Geld verdient. Nach der Berechnungsmethode gehört jeder Bundesbürger mit einem Vermögen von weniger als 3.600 Euro zur ärmeren Hälfte der Welt.

Weitere Probleme der Credit Suisse Daten liegen in der Verwendung flexibler Wechselkurse und einer fehlenden Kaufkraftbereinigung der Vermögenswerte. So sind alle Vermögensgrößen in US-Dollar des jeweiligen Jahres bewertet. Das führt unter anderem dazu, dass sich Vermögenswerte allein aufgrund von Wechselkursänderungen verändern können, ohne das die Menschen dadurch tatsächlich ärmer oder reicher geworden wären. Zudem kann man sich mit einem US-Dollar in verschiedenen Ländern ganz unterschiedliche Güter und Dienstleistungen kaufen. Dies wird in den Daten nicht berücksichtigt, da den Vermögensbesitzern eine hohe internationale Mobilität unterstellt wird. Für die wenigsten Bürger hierzulande dürfte ein Ruhestand in Indien oder Afrika allerdings eine reale Option sein, selbst wenn man sich dort mehr Güter leisten kann.

Auch die Vorteile ausgeprägter Wohlfahrtsstaaten bleiben in dem Bericht außen vor. Im europäischen Vergleich ist es nämlich so, dass die Vermögen tendenziell in jenen Ländern ungleicher verteilt sind, in denen es großen Wohlstand und eine starke staatliche Absicherung gibt (IW Publikation). Dadurch sind die Anreize im unteren Einkommensbereich geringer, privates Vermögen aufzubauen – entsprechend niedrig ist dort der Vermögensanteil. Gleichzeitig fallen zur Finanzierung hohe Steuern und Abgaben an, das erschwert den Vermögensaufbau in der Mittelschicht. Dazu passt, dass nach den Vermögensdaten der Credit Suisse die Vermögensungleichheit in Norwegen, Schweden und Dänemark ähnlich hoch und teilweise noch höher ausfällt als in Deutschland – obwohl diese Länder gerade in sozialer Hinsicht häufig als Vorbild gelten. Und erst kürzlich verwies Oxfam höchst selbst darauf, dass diese Länder am meisten dafür tun, die Ungleichheit zu reduzieren. Deutschland erreichte Rang 2 von 157 betrachteten Ländern. Dies lässt bezweifeln, dass die alleinige Betrachtung der Ungleichheit der Nettovermögen ein geeignetes Maß für soziale Gerechtigkeit in Ländern ist, in den Risiken in hohem Maß staatlich abgesichert werden.

Insgesamt wäre Oxfam besser damit beraten, stärker die Faktoren zu diskutieren, die den Menschen in ärmeren Ländern zu einer nachhaltigen Erhöhung ihres Wohlstandes verholfen haben. So sind es oftmals kriegerische Konflikte und instabile politische Systeme, die den Aufbau und die Sicherung von Wohlstand verhindern und die Etablierung sozialstaatlicher Sicherungssystemen zur Vermeidung von Armut unmöglich machen. Trotz der weiterhin großen Herausforderung, die globale Armut bis 2030 vollständig zu überwinden, konnte die extreme Armut in den vergangenen Jahrzehnten deutlich zurückgedrängt werden und Millionen von Menschen konnten sich einen bescheidenden Wohlstand aufbauen. Diesen gilt es zu sichern und in Zukunft zu vergrößern.

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