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Wie wir uns bewegen werden: Raketen, Maglevs, Kapseln – und das Auto

Die Mobilität der Menschen nimmt stetig zu. Weil sie günstiger, bequemer, umweltfreundlicher und sicherer wird. Und in Zukunft? Ein Ausblick.  

In Jules Vernes Roman wettet der englische Gentleman Phileas Fogg, es zu schaffen, in 80 Tagen um die Welt zu reisen. Der Roman beruht auf der realen Weltumrundung des Amerikaners George Francis Train im Jahr 1870. Vor 1870 waren die berühmten 80 Tage völlig unmöglich, denn erst 1869 wurden der Suezkanal und die Eisenbahnverbindung quer durch die USA eröffnet. 1892 schaffte es Francis Train ein weiteres Mal, diesmal sogar in nur 60 Tagen. 1938 dauerte ein Flug von London nach Brisbane elf Tage und erforderte mehr als ein Dutzend Zwischenstopps. Das mag nach einer romantischen Reise klingen, war aber ziemlich beschwerlich. Und wer es sich für viel Geld leistete, war hinterher froh, dass er noch lebte. Im Mai 2018 kündigt Gwynne Shotwell, Präsidentin der Firma SpaceX, an, dass definitiv in zehn Jahren Passagiere in einer SpaceX-Rakete in 60 Minuten ans andere Ende der Welt fliegen können, und zwar zu einem Ticketpreis, der zwischen Economy- und Businessclass liegen soll.

In den letzten 80 Jahren ist die Flugzeit nach Australien auf weniger als ein Zehntel geschrumpft. In den nächsten Jahrzehnten soll sie noch mal um den Faktor 10 bis 20 zurückgehen. Gleichzeitig fallen auch die Preise. 1955 zahlte man für ein Rückflugticket auf der berühmten Kangaroo-Route von London nach Perth umgerechnet gut 20.000 Euro. Heute zeigt mir skyscanner.de für die billigste Nonstop-Verbindung (mit 17 Stunden Flugzeit) einen Preis von 1077 Euro an. Mit Umsteigen geht es sogar noch billiger. Das ist, worauf es in der Mobilität vor allem ankommt: dass wir schneller und billiger von A nach B kommen. Egal ob A und B zwei Kilometer voneinander entfernt sind oder 20.000 Kilometer. Oder 59.858 Millionen Kilometer; das ist die Entfernung von der Erde zum Mars, die SpaceX mit der gleichen BFR-Rakete, der „Big Fucking Rocket“, fliegen will, die uns auch in 60 Minuten nach Australien bringen soll.

Sicherheit und Komfort

Dass das Reisen gleichzeitig immer sicherer wird, versteht sich von selbst. Im Schienenverkehr ist in der EU die Zahl signifikanter Unfälle von 2370 im Jahr 2006 auf 1632 im Jahr 2016 gesunken. Dabei kamen 899 Menschen ums Leben. Davon waren aber nur 22 Fahrgäste. Die überwiegende Mehrheit der Opfer (712) waren Personen, die von einem Zug erfasst wurden. Weltweit starben 1972 bei Flugzeugabstürzen 2373 Menschen, im Jahr 2015 waren es nur 186, obwohl sich im ungefähr gleichen Zeitraum die Zahl der Passagiere von 310 Millionen auf 3,2 Milliarden mehr als verzehnfacht hat.

„Hurra, die Luft in unseren Städten ist heute so sauber, wie wir es uns vor 25 Jahren nicht hätten träumen lassen!“

Die mit Abstand meisten Menschen kommen bei Autounfällen zu Schaden. Der Handlungsbedarf ist nach wie vor groß. Aber auch hier weist der Trend stark nach unten. In den USA stieg die Zahl der Toten von 54 im Jahr 1901 auf den Rekordwert von 54.589 im Jahr 1972 und sank seitdem wieder um immerhin 31 Prozent auf 37.461 im Jahr 2016, während gleichzeitig die Bevölkerung um mehr als 50 Prozent zunahm und die gefahrenen Kilometer pro Person sich mehr als verdoppelten. Heute kommen ungefähr 7,5 Tote auf eine Milliarde gefahrene Kilometer, vor 100 Jahren waren es noch rund 160. In Deutschland hat die Zahl der Verkehrstoten 2017 mit 3177 den niedrigsten Stand seit Beginn der Statistik vor mehr als 60 Jahren erreicht. Im Jahr 2003 waren es noch mehr als doppelt so viele, 1995 drei Mal so viele und 1970 mit 21.332 fast sieben Mal so viele.

Nicht unerwähnt soll bleiben, dass das Reisen auch immer bequemer wird. Das resultiert schon allein aus der verkürzten Zeit, die man mit eingeschränkter Bewegungsfreiheit im jeweiligen Verkehrsmittel verbringen muss. Hinzu kommen Klimatisierung, Unterhaltungsangebot, Ergonomie der Sitze und so weiter. Nicht zuletzt wird die motorisierte Fortbewegung auch stetig sauberer. Erinnert sich jemand an die stinkenden und qualmenden Autos namens Trabbi oder auch an die Autos im Westen vor Einführung der Katalysator-Pflicht? Das ist gar nicht so lange her. Erst seit 1989 durften in Deutschland nur noch Neuwagen mit Katalysator zugelassen werden, die den strengen US-amerikanischen Abgasnormen entsprachen. Erst 1996 wurde verbleites Benzin endgültig abgeschafft. Trotz des Dieselbooms der letzten Jahrzehnte sind die Stickoxidemissionen im Straßenverkehr seit 1990 laut Zahlen des Umweltbundesamts immerhin um rund 70 Prozent gesunken und heute gesundheitlich unbedenklich. Die Belastung mit Feinstaub (PM2,5 und PM10) ist seit 1995 um rund 62 Prozent bzw. 50 Prozent gesunken, Schwefeldioxid seit 1990 um 99 Prozent, flüchtige organische Verbindungen um 92 Prozent, Kohlenmonoxid um 89 Prozent und Ruß seit 2000 um 68 Prozent. Da fragt man sich schon, ob 2017 wirklich der richtige Zeitpunkt war, um in Deutschland eine Dieselpanik zu veranstalten oder das Verbot des Verbrennungsmotors zu fordern. Statt zu jubeln: Hurra, die Luft in unseren Städten ist heute so sauber, wie wir es uns vor 25 Jahren nicht hätten träumen lassen!

Natürlich gibt es immer Kompromisse, die zwischen den Faktoren Preis, Geschwindigkeit, Komfort, Sicherheit und Sauberkeit zu machen sind. Das sind individuelle Entscheidungen, denn auch die Wahlmöglichkeiten haben über die Jahre erheblich zugenommen. Ein Diesel ist sparsamer und „klimaschonender“ als ein Benziner – und genau deshalb in Deutschland bis vor Kurzem massiv gefördert worden. Ein modernes Passagierflugzeug wird sicherer sein als die BFR oder der am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt konzipierte SpaceLiner (wenn eines dieser Raketenflugzeuge irgendwann zum Einsatz kommen wird), aber dafür eben auch viel langsamer. Das Taxi ist komfortabler als die U-Bahn, aber viel teurer. Der Billigflieger Ryanair kam 2017 auf 94,7 Prozent Passagiersitzauslastung und fliegt damit umweltfreundlicher als z. B. die Lufthansa, die nur 82,8 Prozent erreichte, einem dafür aber eine größere Chance gab, einen nicht genutzten Nebensitz mit Ellbogen und Zeitschriften zu belegen.

Verkehrswende?

Angesichts der Zahlen könnte man einfach konstatieren, dass wir im Bereich der Mobilität schon vieles erreicht haben, kontinuierlich Fortschritte machen und uns mit einiger Zuversicht weitere Verbesserungen in der Zukunft zutrauen können. Nicht selten hört man indes auch andere Stimmen: „Reisen ist zu billig geworden“, erklärt uns ein Kommentator im Handelsblatt und beklagt, allerorten sei „der Verkehrskollaps zu sehen und zu spüren“. „Unsere Städte ersticken derzeit am motorisierten Individualverkehr, die Menschen leiden unter Abgasgiften und Lärm“, meint der Chef der Deutschen Umwelthilfe. „Wir brauchen eine Verkehrswende, das ist ja ganz klar“, sagt Angela Merkel in der ihr eigenen Art im ARD-Sommerinterview 2018. Dieser negative Ton und vor allem die alles überschattende Klimakatastrophenrhetorik haben dazu geführt, dass heute die Debatte um die Mobilität der Zukunft von konservativen Stimmen dominiert wird. Alles dreht sich nur um Emissionen und wie man sie reduzieren kann. Dabei ist bei den Luftschadstoffen das meiste, wie oben gezeigt, schon erreicht. Sauberer geht natürlich immer, aber wir sind definitiv an einem Punkt, wo wir die Kosten-Nutzen-Frage stellen müssen. Und beim CO2 tut sich umgekehrt außer viel Gerede offensichtlich gar nichts. Die Energiewende zeigt bisher vor allem eins: wie man sein Ziel auf sehr kostspielige Weise verfehlen kann.

„Elektrofahrzeuge haben für jedermann deutlich sichtbare Nachteile: Kurze Reichweiten, lange Ladezeiten, hohe Preise.“

Wenn man sich das Gros aller Vorschläge und Forderungen anschaut, die uns vor Kollaps und Katastrophe retten und so die Zukunft der Mobilität prägen sollen, so stechen vier Dinge hervor: Fahrrad, Verzicht, Elektroauto und Digitalisierung.

Immer wieder wurde es propagiert, nun scheint es wirklich vor dem Durchbruch zu stehen: das Elektroauto. Politik und Industrie zeigen sich entschlossen, ihm zum Siegeszug zu verhelfen. Doch was ist es eigentlich, außer ein Symbol für eine sauberere Welt? Es ist leise und es ist lokal emissionsfrei. Das ist schon etwas, reicht aber nicht. Elektrofahrzeuge haben für jedermann deutlich sichtbare Nachteile, die sie für Käufer bisher wenig attraktiv machen. Kurze Reichweiten, lange Ladezeiten, hohe Preise. „Zeit für ein Bekenntnis“, fordert der Politologe Martin Unfried in der taz: „Die Umweltbewegung muss den Kampf gegen den Verbrennungsmotor genauso ernst betreiben wie den gegen den Diesel.“ Und beklagt, dass „sich selbst viele UmweltfreundInnen, taz-LeserInnen und die Funktionärinnen der Umweltbewegung“ damit schwertäten. Wie mag das dann erst beim einfachen Mann auf der Straße aussehen?! Bei ihm dürfte die Kampfbereitschaft verständlicherweise gegen null gehen. Nach einer Studie des Flottenbetreibers Leaseplan in 21 europäischen Ländern vom Sommer 2018 übersteigen die Kosten für Autos wie BMW i3, Nissan Leaf, Renault Zoe und VW E-Golf mit durchschnittlich 788 Euro pro Monat inklusive Energieversorgung, Wartung, Versicherung, Steuer und Wertverlust deutlich jene von Kompaktfahrzeugen mit konventionellen Antrieben. Die Vergleichsgruppe von Benzinern kostet in Deutschland 515 Euro monatlich, Diesel sind mit 489 Euro noch günstiger. Und diese Studie ging von einer jährlichen Fahrleistung von 20.000 Kilometern aus. Wer weniger fährt, zahlt noch mehr drauf. Wir brauchen uns also nicht zu wundern, dass aus dem einstigen „Plan“ der Bundesregierung, bis 2020 eine Million Elektroautos auf die Straße zu bringen, nichts werden konnte. Am 1. Januar 2018 kamen reine Elektro-Pkw mit 53.861 Exemplaren auf einen Anteil von unter 0,12 Prozent. Und es waren zum großen Teil Dienstfahrzeuge oder private Zweit- und Drittwagen.

Wenn mit einem Technologiesprung die Batterie mit doppelter Kapazität zum halben Preis kommt, sich Preise und Reichweiten an die der Verbrenner angleichen, wird sich die Situation ändern und die E-Fahrzeuge fahren aus der Nische heraus. Dann werden die Verkaufszahlen zweifellos deutlich nach oben gehen. Es ist ja noch genug Luft. Das scheint aber nicht ganz so einfach zu sein. Tesla hat für das Model 3 einen Preis von 35.000 Dollar versprochen und massenhaft Vorbestellungen erhalten. Wer das Auto heute bestellen will, hat die Wahl zwischen zwei Varianten, einer für 53.800 Euro und einer für 64.600 Euro. Jede Farbe außer Schwarz kostet 1600 bis 2600 Euro extra, die als „Autopilot“ bezeichneten Assistenzsysteme 3100 bis 5100 Euro und Winterreifen gut 2000 Euro. Wer möchte, dass ein Massenmarkt entsteht, muss es für die Masse der potenziellen Käufer so attraktiv machen, dass sie es (freiwillig) kaufen.

„Die meisten Menschen haben in Hinblick auf die Mobilität dringendere Bedürfnisse als die Elektrifizierung ihres Autos.“

Beim Elektrofahrrad ist das auf Anhieb gelungen. Der Elektroroller ist ebenso schon heute problemlos massenmarkttauglich. In China werden jährlich 26 Millionen davon verkauft. Elektro funktioniert offenbar am einfachsten bei Fahrzeugen, die von vornherein schon leichte Kurzstreckenfahrzeuge sind, also Fahrräder und Motorroller. Beim Auto ist das letztlich nur zu schaffen, wenn die Nachteile durch technologischen Fortschritt überwunden werden. Am ehesten wird man mit kleinen und preiswerten Stadtvehikeln mit geringen Reichweiten und Höchstgeschwindigkeiten an den Erfolg der elektrischen Zweiräder anknüpfen können. Wir dürfen nicht vergessen: Die meisten Menschen haben in Hinblick auf die Mobilität dringendere Bedürfnisse als die Elektrifizierung ihres Autos. „Mobilität ist immer auf Menschen bezogen. Das heißt, man muss herausfinden, wo Menschen nicht angemessen gut zu Zielen kommen – zur Arbeit, zum Arzt oder zur Apotheke, zum Einkaufen, zu Freizeiteinrichtungen und anderen Orten. Daraus ergeben sich dann die entscheidenden Probleme, die gelöst werden müssen. Andere Motoren lösen doch keine Mobilitätsprobleme für Menschen“, sagt der Verkehrswissenschaftler Udo Becker.

Auch beim Umwelt- und Klimaschutz gibt es Alternativen. Die Abgasbelastung moderner Pkw ist bei nüchterner Betrachtung kein starkes Argument mehr. In Sachen CO2 schneiden E-Autos im aktuellen Strommix ohnehin erst bei hohen Laufleistungen geringfügig besser ab als Benziner oder Diesel. In Zukunft könnten in Verbrennern problemlos synthetische Kraftstoffe zum Einsatz kommen, bei deren Herstellung CO2 recycelt wird. Dann hätten Elektroautos in Hinblick auf die CO2-Bilanz definitiv keinen Vorteil mehr gegenüber konventionellen Fahrzeugen. Diese künstlichen Nachbauten fossiler Kraftstoffe würden es außerdem möglich machen, große Teile der vorhandenen Infrastruktur weiter zu nutzen und beispielsweise auch Flugzeuge oder den Langstrecken-Transportverkehr entscheidend sauberer zu machen. Die Deutsche Energieagentur dena hat daher kürzlich eine Initiative namens „Global Alliance Power Fuels“ gestartet, um die Entwicklung zu fördern. „Wir könnten die Mobilität dazu nutzen, das unvermeidliche CO2 sinnvoll weiterzuverwenden, dabei möglichst viel regenerative Energien in die Mobilität zu packen, und zwar ohne dass wir eine neue Infrastruktur oder neue Technologien beim Endnutzer einführen müssten“, sagt Robert Schlögl, Direktor des Max-Planck-Instituts für Chemische Energiekonversion. Und auch wenn man Elektromotoren mit ihren vielen Vorteilen nutzt, müssen die noch lange nicht aus Batterien gespeist werden. So warnt etwa der Journalist Christoph M. Schwarzer im Branchennewsletter Electrive, es drohe „eine unfassbare Materialschlacht.“ Und fragt: „Kann es richtig sein, jedes Jahr Millionen von Neuwagen mit mehreren 100 oder im Fall von Lkw vielleicht sogar mehreren 1000 Kilogramm Batterien auszustatten?“Beim Einsatz der technologisch sehr viel anspruchsvolleren Brennstoffzellen kann bekanntlich auf diesen Ballast verzichtet werden und man vermeidet gleichzeitig die anderen beiden Probleme, die kurzen Reichweiten und langen Ladezeiten. „Die Brennstoffzellentechnik wird den Verbrenner mittel- bis langfristig komplett ersetzen. Aber das Elektroauto und das Wasserstoffauto werden noch eine ganze Zeit lang nebeneinander existieren“, lautet die Prognose von Sae Hoon Kim, dem Chef der Brennstoffzellenentwicklung bei Hyundai.

Stadtverkehr

Die Realität ist: Autos sind das wichtigste und mit Abstand beliebteste Transportmittel. Das müssen wir anerkennen. Wir müssen daran arbeiten, immer mehr Menschen zu ermöglichen, die Vorteile des Autofahrens zu genießen, und gleichzeitig die Nachteile zu minimieren. Verkehrswendler haben meist nur eins im Sinn: das Autofahren teurer zu machen. Denn sie ahnen oder wissen: Solange es sich die Leute leisten können, werden sie sich Autos kaufen. Nicht alle Menschen. Aber die allermeisten. Auf dem Land ist das Auto konkurrenzlos. Daran wird sich nichts ändern. Hier spielen drei der vier Argumente gegen das Auto keine große Rolle: Staus, Abgase und Parkplatzmangel. In Innenstädten und beim großstädtischen Pendlerverkehr besteht dagegen durchaus Handlungsbedarf, um diese Probleme zu lösen. Sie sind allerdings überschaubar.

„Die technischen Möglichkeiten, um den Zeitfresser Stau und Parkplatzsuche zu vermeiden, stehen heute zur Verfügung.“

Stau und lange Parkplatzsuche machen keinen Spaß. Immer mehr Leute, auch der Autor, bevorzugen daher in der Stadt das Fahrrad, für das es praktisch keinen Stau und meist einen Parkplatz vor der Tür gibt. Wer das aus vielen guten Gründen nicht kann oder will, hört eben im Auto Radio oder ein Hörbuch. Man sollte das Problem, zumindest hierzulande, nicht überschätzen. Laut der aktuellen Ausgabe des Stau-Reports „INRIX Global Traffic Scorecard“ ist München in Bezug auf die Anzahl der im Stau verbrachten Stunden die staureichste Stadt Deutschlands und hat im Jahr 2017 die unmittelbar dahinter liegenden Städte Hamburg, Berlin und Stuttgart um 16 Prozent übertroffen. Das ist für die Münchner natürlich lästig, aber von einem Verkehrskollaps noch weit entfernt. Schließlich haben die Autofahrer auch hier die meiste Zeit (84 Prozent) freie Fahrt. 16 Prozent ihrer Fahrzeit verbringen sie im Stau, wo die Geschwindigkeit im Schnitt auf ein Viertel derer bei freier Fahrt fällt. In Los Angeles, der Stadt mit den insgesamt meisten Staustunden weltweit, liegt die Staurate sogar niedriger als in München. Hier verbringen die Menschen nur 12 Prozent der Fahrtzeit im Stau. Die absolute Stundenzahl ist so hoch, weil sie insgesamt sehr viel mehr Auto fahren. Auch andere westliche Großstädte kommen auf akzeptable Werte. Berlin und Hamburg auf 14 Prozent, New York, London und Paris auf 13 Prozent, Chicago auf 10, Miami auf 9, Dallas auf 6. Weltweit führend ist Bogotá mit 30 Prozent.

Angesichts einer tendenziellen Sättigung beim Autoverkehr müssen wir in den meisten westlichen Städten nicht damit rechnen, dass sich die Situation noch deutlich verschärft. In Deutschland wächst die Zahl der Pkw zwar nach wie vor – ungeachtet regelmäßig erscheinender Zeitungsartikel, die verkünden, dass die jungen Leute alle kein eigenes Auto mehr haben wollen. Doch die Zuwachsrate ist immerhin schon auf etwa ein Prozent pro Jahr gesunken. Der Kfz-Bestand lag am 1. Januar 2018 bei 56,6 Millionen, davon 46,5 Millionen Pkw. Die technischen Möglichkeiten, um den Zeitfresser Stau und Parkplatzsuche zu vermeiden, stehen heute zur Verfügung und werden wohl in den nächsten Jahren schnell Verbreitung finden. Einfach gesagt: Das Navi lotst einen, wenn möglich, am Stau vorbei und führt einen direkt zu einem freien Parkplatz. Und wenn man zu faul oder nicht in der Lage ist, 200 Meter vom Parkplatz zum Zielort zu laufen, dann kann man sich ein Auto leisten, das einen erst aussteigen lässt und dann allein zum Einparken ins nächste Parkhaus fährt. Alles machbar. Das kriegt die Industrie schon hin.

Hinzu kommen bewährte Methoden der Verkehrslenkung und -entlastung, nicht zuletzt der Bau zusätzlicher Straßen, zusätzlicher Tunnels, zusätzlicher Parkhäuser und zusätzlicher Radwege. Übrigens haben keineswegs alle Städte ein Problem mit Parkraumknappheit. Eine US-Studie hat kürzlich sogar ein eklatantes Überangebot festgestellt. In Des Moines, der Hauptstadt von Iowa, gibt es 18-mal so viele Parkplätze wie Haushalte, in Philadelphia 3,7-mal so viele. Von fünf untersuchten Städten kam nur New York mit 0,6 auf weniger als einen Parkplatz pro Haushalt.

Ein wichtiger Bereich, in dem einiges passieren könnte, ist der Lieferverkehr. Lkw in Städten haben keinen konkreten Nutzen. Hier brauchen wir Alternativen. Waren ist es im Gegensatz zu den meisten Menschen egal, wie sie befördert werden. Sie könnten vollautomatisiert unterirdisch in Röhren zu innerstädtischen Verteilpunkten gebracht werden, wie es u. a. die Unternehmen CargoCap oder Cargo Sous Terrain planen, und auf der letzten Meile dann mit Kleinstfahrzeugen zum Empfänger gelangen. Auch beim ÖPNV sind innovative Ideen gefragt. Er kann flexibler, komfortabler und ökonomischer werden. Mittelfristig könnte ein Tür-zu-Tür-System autonom fahrender Kapseln unterschiedlicher Größe einen (Sammel-)Taxi-Betrieb anbieten, der preislich mit dem ÖPNV mithalten kann. Das Berliner Institut für urbane Mobilität (ium) kalkuliert in dem Konzept für ein solches „Mobi:Kapsel“-System mit Vehikeln für ein bis zwölf Personen einen durchschnittlichen Fahrpreis von 5 Cent pro Kilometer, was irreal optimistisch erscheint, und stellt – besonders verlockend – sogar in Aussicht, dass an Bord immer ein kühles Bier bereitstehe.

„Bei der Sicherheit können wir sehr zuversichtlich sein, dass der bestehende Trend beim Rückgang der Verkehrstoten sich fortsetzen wird.“

Erstaunlicherweise geht die Studie allerdings davon aus, dass durch das Kapselsystem der Automobilverkehr komplett ersetzt wird und nicht der bisherige ÖPNV. Realistischer scheint, dass ein solches System die beiden anderen ergänzt und von beiden Kapazitätsanteile übernimmt. Ihren Charme haben diese Systeme vor allem in Hinblick auf die fortschreitende Urbanisierung und die Bildung polyzentrischer, ausgedehnter Stadtlandschaften, die mit einer Kombination aus Schnellverbindungen, etwa in Gestalt von Maglevs (Magnetschwebebahnen), und lokalem Individual-ÖPNV in Kapseln für jeden schnell und unkompliziert durchquert werden könnten. Es gibt also eine ganze Reihe von Entwicklungen, die zu Entlastungen bei Stau und Parkplatzsuche führen dürften. Das Gleiche gilt für die Sicherheit. Auch hier können wir sehr zuversichtlich sein, dass der bestehende Trend beim Rückgang der Verkehrstoten sich fortsetzen wird. Neue Technologien sorgen dafür, dass Autos direkt miteinander und ebenso mit Verkehrszeichen, Ampeln, Bordsteinkanten, den Smartphones von Fußgängern und Radfahrern etc. kommunizieren. Sie werden in der Lage sein, in Gefahrensituationen selbstständig zu reagieren und immer mehr Unfälle zu vermeiden.

Technokratische Visionen

In den letzten Jahren hat im Kampf gegen das Auto eine neue Spielart an Bedeutung gewonnen, die stärker auf technologischen Fortschritt setzt. Zu ökologisch und moralisch begründeten Verzichtsappellen und Verbots-,Verteuerungs- und Entschleunigungsforderungen ist nun der Ruf nach einer sozialtechnologischen Transformation des Individualverkehrs durch Digitalisierung gekommen, die vor allem darauf zielt, den Menschen vom Fahrersitz zu bekommen und ihn zum bloßen Fahrgast in einem Verkehrssystem zu machen, das zwar noch viele Fahrzeuge umfasst, aber die Kontrolle derselben durch den Menschen ablehnt. Der Mobilitätsforscher Stephan Rammler spricht in seinem Buch „Stadt ohne Wagen. Eine kleine Geschichte urbaner Mobilität“ von einer „Hightechstrategie des automatisierten Fahrens unter Abschaffung des Besitzkonzepts“. Alles wird gut, so die Vision, wenn uns Menschen endlich das Steuer aus der Hand genommen wird.

Die Vision Zero, wie sie etwa der Strategieberater Lukas Neckermann in seinem Buch „The Mobility Revolution. Zero Emissions, Zero Accidents, Zero Ownership“ darlegt, soll die Anzahl der Unfälle, das Ausmaß der Emissionen und die Anzahl der Autobesitzer auf null bringen. Das neue System, das insbesondere auf selbstfahrende Autos setzt, soll es gleichzeitig ermöglichen, dass wir alle schneller, bequemer und sicherer von A nach B kommen. Liegt die Zukunft des Individualverkehrs darin, den Faktor Mensch auszuschalten und Eigentum abzuschaffen? Der Journalist Niklas Maak verweist auf die dunkle Seite dieser Vision. Für ihn markiert die Abschaffung des Lenkrads „die Verwandlung des aktiven, seiner Verantwortung bewussten, aktiv handelnden Bürgers in einen dösenden Beifahrer zentral gesteuerter, in ihrem Handeln letztlich kaum noch kontrollierbarer Systeme.“ Ein Segen wird das autonome Auto allerdings für die bekanntlich sehr reisefreudige, aber mitunter eingeschränkt fahrtüchtige, wachsende Gruppe der Rentner sein. Millionen älterer Menschen, die sich derzeit nicht mehr trauen (oder nicht mehr trauen sollten), werden dank Tür-zu-Tür-Service der Robotaxis unbeschwert auf den Straßen des Landes unterwegs sein.

„Autofahren nur für Reiche wäre ein katastrophaler gesellschaftlicher Rückschritt.“

Manche Wissenschaftler plädieren für eine rabiate Vorgehensweise. „Ob in Madrid, Paris oder London, andere Städte haben ein klares Programm: ’Raus mit den privaten Autos!“, sagt etwa der Sozialwissenschaftler Andreas Knie vom Wissenschaftszentrum Berlin. Um das zu erreichen, sollen Anwohner 10 Euro pro Tag und Kurzparker 5 Euro pro Stunde bezahlen. Wenn sie überhaupt einen Parkplatz finden, denn die sollen in Radfahrstreifen und Stellflächen für Car-Sharing-Autos umgewandelt werden. „Die City von morgen, die Smart City, kann nur funktionieren, wenn die Mobilitätsgeräte gemeinschaftlich funktionieren und gemeinschaftlich genutzt werden“, sagt Herr Knie und will natürlich auch Verbrenner in der Innenstadt verbieten. Mit dieser Forderung ist er alles andere als einsamer Rufer in der Wüste. Auf Verbieten und Verteuern sind mittlerweile schon viele gekommen. Realpolitisch läuft die Verkehrswende offenbar immer darauf hinaus, privaten Autoverkehr zu erschweren und zu verteuern und damit zurückzudrängen. Autofahren nur für Reiche wäre aber ein katastrophaler gesellschaftlicher Rückschritt, der eigentlich indiskutabel sein sollte.

In ihrem Buch „Die digitale Mobilitätsrevolution“ schreiben Andreas Knie und Weert Canzler: „In der digitalen Stadt von morgen werden die Verkehrs- und Energieflüsse lastabhängig gesteuert. Alles ist voller Detektoren und Sensoren, Straßen und Schienen ‚fühlen‘ und kommunizieren. […] Die Preise und Tarife sind ebenfalls lastabhängig. Bei Spitzenlast ist das Unterwegssein teurer als in Zeiten mit weniger Verkehr. Sind die erneuerbaren Energien gerade durch ausreichend Wind und Sonne verfügbar, ist es ebenfalls günstiger, als wenn der notwendige Strom aus teuren Speichern bezogen wird. […] Eigentum an Verkehrsmitteln braucht die Stadt der Zukunft nicht mehr, denn die Fahrzeuge sind Teil einer Kapazitätsplanung, bei der privates Eigentum, das ja exklusiv bereitgehalten wird, nur noch stört.“ Kurz: Der Mensch hat sich danach zu richten, wie der Wind weht, was die Straßen fühlen und was die Stadt so braucht. Wenn eine „Smart City“ nur „funktionieren“ kann, wenn man die Bewohner entmündigt, dann sollten wir überlegen, was uns wichtiger ist, die „intelligente“ Stadt oder der freie Mensch. Vielleicht sollten die beiden Revolutionäre noch mal etwas darüber nachdenken.

Was manch eifriger Verkehrswendler nicht versteht, fasst der Journalist Johnny Häusler in der Zeitschrift Wired zusammen: „Obwohl ich wie viele andere Menschen von mir selbstverständlich behaupten würde, dass ich keine Statussymbole nötig habe und mich nicht über meine Besitztümer definiere, und obwohl ich weiß, dass Autos schlecht für die Umwelt und Platzverschwendung sind, gebe ich zu, dass mich das Thema ‚Auto‘ nicht völlig kaltlässt. Weil ich gerne Auto fahre, weil ich die Bequemlichkeit, Zeit- und Wetterunabhängigkeit, Privatsphäre und Transportmöglichkeiten mag. Weil ich einige, meist ältere Autos schön finde. Und auch, weil Autos auch mit meiner Kultur-Sozialisierung zu tun haben, die ich im weitesten Sinne im Rock ’n’ Roll verankert sehe. […] Den öffentlichen Nahverkehr empfinde nicht nur ich über längere Strecken aus verschiedenen Gründen, die auch mit fremden Körpergerüchen zu tun haben, als unerträglich. Fahrradfahren macht mir bei Kälte, Schnee oder Regen nur mittelmäßigen Spaß. Die Suche nach einem freien Carsharing-Mietwagen klappt selten dann, wenn es dringend ist. Und das eigene Transportmittel mit mehreren Dritten zu teilen, ist ein Konzept, das für junge Singles wunderbar funktionieren kann, für Eltern, Menschen mit Behinderung, Hundebesitzerinnen oder Leute mit leichtem Gütertransportbedarf erscheint es mir eher zwiespältig.

„Die Abschaffung des Privatautos ist eine fixe Idee von Leuten, die eine schöne neue Mobilitätswelt am Reißbrett planen wollen.“

Trotz einer Vielzahl von 165 Anbietern und einfachen und preiswerten Angeboten wurden in Deutschland laut Bundesverband CarSharing Anfang 2018 gerade einmal knapp 18.000 Fahrzeuge gemeinschaftlich im Rahmen professioneller Carsharing-Dienste genutzt, weniger als 0,04 Prozent aller zugelassenen Pkw. Gewiss wird das Segment der On-Demand-Mobilität wachsen, das sich mit Carsharing, Bikesharing, Ridesharing und (autonomen) Taxis zwischen dem Privatauto und dem ÖPNV positioniert bzw. mit diesem über Apps möglichst nahtlos verbindet. Und es wird zweifellos als das für manche Lebenslage richtige Angebot eine willkommene Ausweitung der Möglichkeiten. Wir sollten es aber nicht überbewerten. Die Abschaffung des Privatautos ist eine fixe Idee von Leuten, die eine schöne neue Mobilitätswelt am Reißbrett planen wollen.

Weiter wie bisher!

Beide Spielarten der Verkehrswende sind abzulehnen. Weder die romantische Verzichtsvision, die auf Detechnisierung und Entschleunigung zielt und im Fahrrad das Verkehrsmittel der Zukunft sieht, noch die technokratische Systemlösung, die den Menschen zum bloßen Fahrgast degradiert, sind überzeugende Visionen. Was wir stattdessen brauchen, ist zunächst ein „Weiter so!“. Weiter mit den ständigen Verbesserungen bei Geschwindigkeit, Sicherheit, Komfort und Umweltverträglichkeit. Weiter mit der freien Wahl zwischen möglichst vielen Optionen, je nach persönlicher Präferenz. Und weiter mit der Ausweitung der Teilhabe an den Segnungen der Massenmobilität für immer größere Teile der Weltbevölkerung. Das heißt nicht, dass wir alle zu Kilometerfressern werden müssen. Es geht darum, immer einfacher, unkomplizierter, schneller und billiger von A nach B zu kommen, wann immer es einem beliebt und wo immer A oder B sein mögen. Massenmobilität bedeutet, dass alle Menschen ihre eigenen Mobilitätsbedürfnisse befriedigen können.

„Weiter so“ bedeutet auch, das Repertoire weiter zu vergrößern. Die Mobilität der Zukunft wird vor allem dadurch geprägt sein, dass sich das Angebot von Mobilitätsoptionen ausweitet, aus denen wir frei wählen können. Das Allround-Fahrzeug wird für die meisten der private Pkw bleiben. Hinzu kommen „klassische“ Flugautos für die Mittelstrecke im nationalen und internationalen Raum und Personendrohnen für den lokalen 5- oder 10-Minuten-Flug. Assistenzsysteme werden die Nutzung am Boden und in der Luft weiter komfortabler, einfacher und sicherer machen. Wer nicht selbst fahren will oder kann, schaltet den Autopiloten ein. Die Nutzung von Leih- oder Zweitfahrzeugen vom Fahrrad, über den Elektroroller, den Scooter, das Elektro-Einrad, die Kapsel, den Pkw, den Transporter, das Wohnmobil bis hin zum Motorboot oder der Personendrohne, wird weiter zunehmen. Digitalisierung und Automatisierung machen die Nutzung all dieser Gelegenheitsfahrzeuge unkompliziert und attraktiv. Im weiter schnell wachsenden Flugverkehr werden neue Optionen im Ultra- und Hyperschallbereich hinzukommen. Auf der interurbanen Kurz- und Mittelstrecke werden Maglevs bzw. der Hyperloop Alternativen bieten. Sie erlauben es, mit Flugzeuggeschwindigkeit, aber am Boden, von Innenstadt zu Innenstadt zu schweben. Der ÖPNV wird durch autonome Kleinfahrzeuge und Sammeltaxidienste zunehmend individualisiert. Zu den Kreuzfahrtschiffen werden sich vielleicht Kreuzfahrtluftschiffe gesellen, die nur gemächliches Fortkommen, aber dafür eine einzigartige Perspektive auf die Welt bieten. Wir werden wahrscheinlich keine Revolutionen und hoffentlich keine erzwungenen, technokratischen Transformationen des Verkehrssystems erleben, aber eine ganze Menge Fortschritte machen. Immer mit einem Ziel vor Augen: noch schneller, angenehmer, sicherer und sauberer von A nach B zu kommen.

Dieser Artikel ist zuerst in „In 80 Minuten um die Welt“ (Novo-Printausgabe Nr. 126 – 2/2018) erschienen.

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