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Ein Aufschwung ohne Schwung geht dem Ende entgegen

Seit der Finanzkrise ist die deutsche Wirtschaft kraftlos gewachsen. Viele neue Jobs, große Exporterfolge, aber kaum Reallohnsteigerungen. Was ist falsch gelaufen?

Die deutsche Wirtschaft – bärenstark! Dieses Bild hat sich durch den zehnjährigen Wirtschaftsaufschwung seit der Finanzkrise in weiten Teilen der deutschen Öffentlichkeit festgesetzt. Bestärkt wird es durch wirtschaftswissenschaftliche sowie politische Einschätzungen. In Anbetracht einer wohl herannahenden Rezession, rief Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und Professor für Makroökonomie in einen Interview mit dem Focus noch einmal in Erinnerung, wie gut Deutschland wirtschaftlich aufgestellt ist und das „kein Grund zur Panik“ bestehe. „Der Arbeitsmarkt ist weiter solide, die Firmen haben eine hohe Wettbewerbsfähigkeit und die öffentlichen Kassen weisen solide Überschüsse auf“, so Fratzscher.[1] Die größte Gefahr für die wirtschaftliche Entwicklung liegt ihm zufolge darin, dass wir uns im fehlenden Glauben an die deutsche Wirtschaft selbst in den Abschwung hineinwursteln, denn „aus Angst vor einem Abschwung konsumieren die Menschen weniger“ und die Firmen kürzten die Investitionen. „So schaffen wir uns die Krise selber“, so sein Resümee.

Sobald die Diskussion über psychologische Aspekte hinausgeht und sich den möglichen wirtschaftlichen und politischen Ursachen der in Deutschland herannahenden Rezession nähert, so identifizieren Experten und Politiker in erster Linie externe Ursachen. Die von den USA angezettelten Handelskonflikte sind dabei das Hauptthema. Zölle könnten vor allem die deutschen Automobilunternehmen hart treffen, da sie nicht nur in Europa, sondern auch in den USA die meisten Automobile exportieren.

Als zweites Hauptrisiko und -problem gilt die Brexit-Hängepartie und ein möglicher harter Brexit, ebenfalls ein äußerer Einfluss auf die Wirtschaft. Der sorgenvolle Blick auf den Welthandel ist zwar völlig legitim, denn die deutsche Wirtschaft ist weit stärker als alle anderen großen Volkswirtschaften in den Welthandel eingebunden und daher entsprechend anfällig. Das zeigt sich beispielsweise an dem für große Volkswirtschaften sehr hohen Anteil der Warenexporte und -importe am Bruttoinlandsprodukt. Die Fokussierung auf das externe wirtschaftliche Bedrohungsszenario vernebelt jedoch weitgehend den Blick auf die wirtschaftlichen Probleme mit denen die deutsche Wirtschaft kämpft und dass die anstehende Rezession hausgemacht ist.

„Seit der Finanzkrise 2008 hängt die deutsche Wirtschaft, wie auch die anderer entwickelter Volkswirtschaften, am Tropf.“

Die deutschen Unternehmen sind zwar auf den Weltmärkten sehr erfolgreich, aber das ist nur zum Teil das Ergebnis eigener Stärke. Seit der Finanzkrise 2008 hängt die deutsche Wirtschaft, wie auch die anderer entwickelter Volkswirtschaften, am Tropf. Eine wichtige Infusion liefern die Zentralbanken. Die „finanzialisierte Wirtschaft hängt am Tropf der Zentralbanken“, schreibt Thomas Mayer, Gründungsdirektor des Flossbach von Storch Research Instituts.[2] Die Finanzialisierung der Wirtschaft bedeutet, dass sich die Vermögenspreise weit über den Wertzuwachs, der sich aus der realen Wertschöpfung der Unternehmen ergibt, hinausbewegt haben. Die resultierende Vermögensblase schafft neue Reichtümer, die sich in mehr Konsum transferieren lassen und für steigende Nachfrage sorgen. Das stabilisiert das Wachstum.

Die niedrigen Zinsen begünstigen zudem die Ausbreitung einer Zombiewirtschaft. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass auch Unternehmen überleben können, die wirtschaftlich zu schwach sind um in produktivitätssteigernde Produkt- oder Prozessinnovationen zu investieren. Sie können sich über Wasser halten und teilweise sogar Profite erwirtschaften, weil die Verfügbarkeit günstiger Kredite ihnen günstige Finanzierungsmöglichkeiten bietet. Erleichtert wird ihnen das Überleben, weil sogar die profitableren Unternehmen nur wenig investieren, also ebenfalls kaum produktiver werden und dadurch die schwachen Wettbewerber nicht vom Markt verdrängen können. Ein Hinweis darauf, dass sich Unternehmen mit defekten Geschäftsmodellen am Markt halten können, die unter anderen wirtschaftlichen Bedingungen hätten aufgeben müssen, sind die seit der Finanzkrise extrem geringen Unternehmensinsolvenzen. Während vor der Finanzkrise jährlich etwa 1,5 Prozent der Unternehmen pleitegingen, sind es seitdem nur noch etwa 0,5 Prozent.

Die wirtschaftswissenschaftliche Forschung weist seit Jahren auf dieses in den entwickelten Volkswirtschaften entstandene Problem der Zombieunternehmen hin. In einem Arbeitspapier der OECD kamen Forscher zu dem Ergebnis, dass in Deutschland bereits im Jahr 2013 mehr als 12 Prozent des Kapitalstocks in diesen Unternehmen gebunden war.[3] Eine Untersuchung der Wirtschaftsauskunftei Creditreform kam im letzten Jahr zu der Einschätzung, dass 15,4 Prozent der deutschen Unternehmen in die Zombiekategorie fallen könnten.

Neben der Geldpolitik erhält die deutsche Wirtschaft eine weitere kräftige Stimulierung durch den Euro. Die seit der Finanzkrise extrem schwache wirtschaftliche Entwicklung anderer Euroländer, von denen Italien und Griechenland noch immer in einer wirtschaftlichen Depression stecken, hat zu einer im Vergleich zu anderen wichtigen Währungen niedrigen Bewertung des Euro beigetragen. Seit seinem Höchststand Anfang 2008 hat der Euro erst langsam und ab 2015 beschleunigt bis 2017 einen sehr deutlichen Wertverlust von etwa 30 Prozent gegenüber dem US-Dollar erlitten. Von diesem Stand hat er sich bisher nur minimal erholt. Die deutschen Unternehmen konnten von dem durch die wirtschaftliche Depression in der Eurozone gedrückten Eurokurs stark profitieren und haben den Exportanteil in Länder außerhalb der Eurozone beträchtlich gesteigert. Inzwischen gehen fast zwei Drittel des deutschen Exports in Länder außerhalb der Eurozone.

Trotz der kräftigen Infusionen durch den Eurokurs und die Geldpolitik hat sich in Deutschland kein raketenartiges Wachstum entwickelt. Mit nur 1,3 Prozent seit 2001 liegt das jährliche Wirtschaftswachstum niedriger denn je. Das liegt vor allem daran, dass die Unternehmensinvestitionen seit der Finanzkrise auf einem niedrigen Niveau verharren. Der FDP-Fraktionsvize Michael Theurer wies in Anbetracht des herannahenden Abschwungs darauf hin, dass die Investitionen der Unternehmen schon jetzt niedriger seien als die Abschreibungen.[4]

Dieser Trend rückläufiger Investitionen, die nicht einmal mehr ausreichen, um die Abschreibungen für veraltete Anlagen auszugleichen, war schon vor der Finanzkrise in vielen Wirtschaftsbereichen in Deutschland zu erkennen und hat sich seitdem verfestigt. Die extrem schwache Entwicklung der Investitionen in Deutschland zeigt sich auch daran, dass die Unternehmen (ohne Berücksichtigung der Finanzwirtschaft) seit den frühen 2000er Jahren sogar Finanzierungsüberschüsse erzielen. Sie müssen also netto kein Kapital aufnehmen, sondern stellen dem Kapitalmarkt sogar freie Mittel zu Verfügung. Dies ist eine völlige Umdrehung früherer Verhältnisse, als Kapitalgesellschaften zur Finanzierung ihres Wachstums auf Kapitalmärkte und Banken als Finanzierungsquelle angewiesen waren und diese zur Fremdkapitalaufnahme anzapften. Diese Finanzierungsüberschüsse blähen sich von Jahr zu Jahr sogar immer weiter auf und liegen inzwischen bei satten 3 Prozent des BIP.[5]

Die im Niedergang befindlichen Investitionen führen dazu, dass von Ausnahmen abgesehen, die große Masse der Unternehmen kaum mehr produktivitätssteigernde Produkt- oder Prozessinnovationen erzielt. Zwischen 1995 und 2005 erreichte die deutsche Wirtschaft nur noch ein durchschnittliches jährliches Wachstum der Arbeitsproduktivität pro Erwerbstätigenstunde von 1,9 Prozent. Von 2005 bis 2014 halbierte sich das Wachstum auf dann nur 0,8 Prozent und ist danach weiter gefallen.[6]

Daraus ergibt sich nicht nur ein Problem für den langfristigen Bestand der Unternehmen und die davon abhängigen Jobs. Die nur noch geringen Produktivitätssteigerungen wirken sich zudem negativ auf das Reallohnniveau aus, denn eine höhere Arbeitsproduktivität in den Unternehmen führt letztlich zu niedrigeren Preisen der hergestellten Waren. Schon seit langem entwickeln sich die Reallohneinkommen daher nur schwach. Große Bevölkerungsschichten bekommen vom Aufschwung nichts oder kaum etwas ab. Seit Mitte der 1990er Jahre sind die Reallöhne in Deutschland durchschnittlich nur etwa ein halbes Prozent jährlich angestiegen.[7] Besonders problematisch ist jedoch die Entwicklung der Realeinkommen des am geringsten entlohnten Drittels aller Beschäftigten. Im Jahr 2015 lagen die realen Stundenlöhne dieses unteren Drittels der Beschäftigten niedriger als zwanzig Jahre zuvor.[8] Erst in den letzten Jahren steigen – als Folge des allseits beklagten Arbeits- und Fachkräftemangels – auch in diesem unteren Drittel die Reallöhne moderat an.

Es ist daher nicht überraschend, dass die Art und Weise, wie sich der wirtschaftliche Aufschwung seit der Finanzkrise vollzieht auf dem Immobilienmarkt zu drastischen Schieflagen geführt hat. Während die Immobilienpreise den Reallöhnen davongelaufen sind, ist der Wohnungskauf für junge Menschen unrealistisch geworden. Andererseits treiben die Immobilienpreise die Mieten, was für viele Erwerbstätige sogar zu Reallohnverlusten führt.

„Das Problem für die Erwerbstätigen liegt darin, dass die Phasen wirtschaftlichen Aufschwungs kaum mehr Produktivitätssteigerungen bringen.“

Die nun heraufziehende Rezession ist hausgemacht, weil es während des zehnjährigen Aufschwungs nicht gelungen ist, die Unternehmensinvestitionen anzuheben. Andererseits sind wirtschaftliche Krisen nicht vermeidbar, wie die historische Entwicklung des Kapitalismus in aller Deutlichkeit zeigt. Trotz aller Probleme, die sie mit sich bringen, bewirken diese Krisen auch den Untergang der am wenigsten produktiven und innovationsschwachen Unternehmen. Das Ableben dieser schwächeren Unternehmen, zu denen auch die heutigen Zombieunternehmen gehören, legt letztlich die Basis für neue Investitionen und Produktivitätssteigerungen der verbleibenden Unternehmen. Die mit der kapitalistischen Entwicklung einhergehenden enormen Wohlstandssteigerungen resultieren aus diesen Phasen des Aufschwungs, die jedoch von Krisen unterbrochen werden.

Das Problem für die Erwerbstätigen liegt darin, dass die Phasen wirtschaftlichen Aufschwungs kaum mehr Produktivitätssteigerungen bringen. Die Basis für Reallohnsteigerungen wie sie zu Zeiten des Wirtschaftswunders in den 1950er und 1960er möglich waren, fehlt dadurch. Während die Masse der Erwerbstätigen im noch aktuellen Aufschwung praktisch leer ausgegangen ist, bedroht die anstehende Rezession nun den geringen Wohlstandszuwachs. Es wäre dringend nötig den Mythos vom märchenhaften Wirtschaftsaufschwung seit der Finanzkrise und der Stärke der deutschen Wirtschaft ad acta zu legen. Nicht etwa Trump und Brexit bedrohen den Wohlstand, sondern das hausgemachte Problem geringer Produktivitätssteigerungen.

[1] Interview mit Marcel Fratzscher: „Top-Ökonom Fratzscher: ´Die Wut der Politik auf die EZB ist Zynismus pur´“, Focus online, 1.8.2019.

[2] Thomas Mayer: „Die Japanisierung Europas“ in: FAS, 21.4.2019, S. 29.

[3] Müge Adalet McGowan, Dan Andrews and Valentine Millot: “The walking Dead: Zombie Firms and Productivity Performance in OECD Countries” in: OECD Economic Department Working Paper No. 1372, p. 18

[4] „Rezession bedroht unsere Wirtschaft: Wie Parteien den Niedergang abwenden wollen“, Focus online, 2.8.2019.

[5] Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose: „Aufschwung weiter kräftig – Anspannungen nehmen zu“ in: Gemeinschaftsdiagnose #2 -2017, S.66.

[6] Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 2015/2016, S. 287. Das IfW ermittelte einen Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Arbeitsproduktivität pro Erwerbstätigenstunde von 2,18 Prozent (1991-1995) auf 2,05 Prozent (1995-2000), 1,61 Prozent (2000 – 2005), 0,70 Prozent (2005 – 2010) und 0,77 Prozent (2010 – 2015), Institut für Weltwirtschaft Kiel (IfW): „Produktivität in Deutschland – Messbarkeit und Entwicklung“ in: Kieler Beiträge zur Wirtschaftspolitik, Nr. 12, November 2017, S. 103

[7] Hartmut Görgens: „Irrtum und Wahrheit über die Reallohnentwicklung seit 1990 – Gegen den Mythos einer jahrzehntelangen Reallohnstagnation“, Metropolis, 2018.

[8] Karl Brenke und Alexander S. Kritikos: „Niedrige Stundenverdienste hinken bei der Lohnentwicklung nicht mehr hinterher“, in: DIW Wochenbericht Nr. 21. 2017, S. 407-416.

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