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Deutschland vor der Rezession: Wird die Schuldenbremse zum Problem?

In der Weltwirtschaft ist Sand im Getriebe. Die Folge: Der Konjunkturmotor in Deutschland stottert. Allerdings: Auf den Inlandsmarkt orientierte Bereiche der Wirtschaft sind gut ausgelastet. Eine staatliche Konjunkturpolitik würde somit ins Leere laufen.

Das Wort „Rezession“ macht die Runde. Sehr wahrscheinlich dürfte das Bruttoinlandsprodukt im dritten Quartal rückläufig sein, nachdem es bereits im zweiten Quartal gesunken war. Zwei negative Quartale: Das entspräche der Definition einer technischen Rezession. Bei genauerer Betrachtung stottert der Konjunkturmotor sogar seit dem Jahr 2018. Inzwischen strahlt die schwächere Konjunktur auch auf den Arbeitsmarkt aus: Die Zahl der Arbeitslosen steigt erstmals seit Langem und der Beschäftigungsaufbau stockt.

Noch sind die Kassen der öffentlichen Hand aber prall gefüllt. Das Jahr 2018 wurde mit einem Rekordüberschuss abgeschlossen und im ersten Halbjahr wies der Staat laut Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR) immer noch einen Überschuss von 45 Milliarden Euro auf. Die Konsequenzen der Konjunkturschwäche für die öffentlichen Haushalte werden aber allmählich greifbarer. Die Steuerschätzung im Mai korrigierte die erwarteten Einnahmen nach unten und die Steuereinnahmen legten jüngst langsamer zu als in den Vorjahren.

Aktuell deuten die Konjunkturindikatoren sogar auf eine weitere Verschlechterung hin. Im Juli ist die Industrieproduktion abermals gesunken und Stimmungsindikatoren zeichnen ein Bild in Moll. Die Einnahmen des Staates dürften zwar angesichts des relativ stabilen privaten Konsums und der Lohnanstiege weiter zulegen, aber sie werden auf absehbare Zeit deutlich langsamer expandieren als die Ausgaben. Der gesamtstaatliche Überschuss wird im laufenden Jahr und wohl auch in den kommenden Jahren deutlich sinken. Gut möglich, dass er im Jahr 2021 komplett aufgezehrt ist.[1]

Dies ist allerdings nicht allein eine Folge der Konjunktur. Die Finanzpolitik tut das Ihrige dazu. Eine Vielzahl expansiver Maßnahmen wurde bereits auf den Weg gebracht. So sind im Jahr 2018 die Bruttoinvestitionen des Staates um über 9 Prozent gestiegen – ein nur wenig schwächerer Zuwachs deutet sich für das Jahr 2019 an. Und weitere Maßnahmen sind in der „Pipeline“. Für das Jahr 2021 ist eine Teilabschaffung des Solidaritätszuschlags vorgesehen, das Kindergeld wird abermals angehoben und die Einführung der Grundrente steht zwar noch aus, dürfte aber als wahrscheinlich gelten.

Welthandel zieht die deutsche Industrie nach unten

Was steckt nun hinter dieser Rezession in Deutschland? Viele andere Länder, auch große Handelspartner, in Europa und im Rest der Welt weisen vielleicht eine langsamere Gangart der Konjunktur, aber bisher keine rezessiven Tendenzen auf. Die Rezession scheint ein deutsches Phänomen zu sein. Und doch ist es (mal wieder) auch eine importierte Rezession. Der Welthandel tendiert deutlich zur Schwäche und ist seit dem vierten Quartal 2018 rückläufig. Die derzeitige Entflechtung der Weltwirtschaft trifft die deutsche Wirtschaft dabei offenbar besonders hart – weltweite Handelskonflikte und die Unsicherheit über zukünftige Handelsregime dürften ihren Einfluss haben. Demzufolge ist der Exportabsatz schwach und die Industrieproduktion, die stark von den Exporten abhängt, ist seit Monaten im Sinkflug – kein Umfeld, das Unternehmen in Deutschland zu großen Investitionen anregt. Entsprechend sind die Unternehmensinvestitionen derzeit auch schwach. Zeitgleich erlebt die Bauwirtschaft in Deutschland weiterhin einen Boom, befeuert von den Niedrigzinsen und auch den Aufträgen der öffentlichen Hand. Ferner treten zwar Auswirkungen der Konjunkturkrise auf den Arbeitsmarkt auf, bleiben aber überschaubar.

Was folgt aus dieser Gemengelage für die Finanzpolitik?

Es wird gefordert, dass nun Konjunkturpakete her müssen. Der Staat solle ungeachtet der Schuldenbremse mehr Geld ausgeben. Viele durchaus wünschenswerte Projekte werden aufgerufen. Das reicht von höheren öffentlichen Investitionen bis zu einer Unternehmensteuerreform. Sie sollen genau jetzt angeschoben werden, um damit zugleich Konjunkturpolitik zu machen. Zudem besteht die Sorge, dass das Festhalten an der Schuldenbremse und der schwarzen Null den Staat demnächst zu einem Konsolidierungskurs zwingt und prozyklische Politik induziert.

Halten wir uns noch mal vor Augen, wie die Rezession charakterisiert ist. Die Exporte stottern und die Industrie ist in der Rezession. Zugleich sind andere eher auf den Inlandsmarkt orientierte Bereiche der Wirtschaft gut ausgelastet. Wo sollen Konjunkturmaßnahmen des Staates ansetzen?

Eine Ausweitung der öffentlichen Investitionen, insbesondere im Bereich Infrastruktur, erscheint kurzfristig kaum machbar. Bereits jetzt werden Mittel nicht abgerufen und die Kapazitäten insbesondere im Tiefbau sind so angespannt, dass die Preise kräftig steigen. Mehr Ausgaben hier würden vermutlich eher zu höheren Preisen als zu mehr Aktivität führen. Dass die Bauunternehmen ferner angesichts einer Konjunkturmaßnahme Anreiz haben, ihre Kapazitäten auszuweiten, und wie rasch dies möglich wäre, ist fraglich.

Außerdem ist die Finanzpolitik, wie oben dargelegt, bereits leicht expansiv ausgerichtet. Hinzu kommt, dass im Jahr 2020 vermutlich die Renten wegen einer Revision der Löhne im Rechenwerk der VGR sehr kräftig steigen werden. Der Staat sorgt also bereits für Stimulus. Jetzt noch mehr auf den Weg zu bringen dürfte nicht zielgenau sein – der Staat kauft wohl kaum vordringlich bei den Exporteuren ein – und vermutlich zu spät kommen.

Schwarze Null aufgeben – Schuldenbremse beibehalten

Wie sieht es aber mit den Leitplanken der Finanzpolitik, „schwarze Null“ und Schuldenbremse, angesichts der Rezession aus? Die „schwarze Null“ berücksichtigt Konjunkturschwankungen in keiner Weise und führt daher, wenn Schwankungen auftreten, zu einer weniger verlässlichen Finanzpolitik. Dieses Politikziel in einer Rezession aufzugeben ist nicht verwerflich, sondern angesichts der automatischen Stabilisatoren im deutschen Steuer- und Transfersystem gut begründet. Ansonsten müsste die Finanzpolitik geringer steigenden Steuereinnahmen und höheren Arbeitsmarktkosten an anderer Stelle hektisch hinterhersparen.

Die Schuldenbremse hingegen hat eine ganz andere Gravität. Sie wurde aus guten Gründen im Jahr 2009 in der Verfassung festgeschrieben, und die Politik wäre nicht gut beraten, in Konjunkturfrequenz die Finanzverfassung zu ändern. Schließlich sieht die Schuldenbremse eine Konjunkturbereinigung vor, die den automatischen Stabilisatoren Rechnung trägt. Die Schuldenbremse soll dazu beitragen, dass sich Finanzpolitik langfristig ausrichtet.

Allerdings gibt es auch hier einen dunklen Fleck. Das Konjunkturbereinigungsverfahren für die Schuldenbremse, das die wirtschaftliche Aktivität in einen konjunkturellen (kurzfristigen) und einen strukturellen (langfristigen) Teil zerlegt, ist am aktuellen Rand immer wieder Revisionen unterworfen.[2] Dies führt unter anderem dazu, dass ein Teil der derzeitigen Schwäche auch als strukturell eingeschätzt werden wird, und auf strukturelle Veränderungen muss die Finanzpolitik laut Schuldenbremse schauen. Für das laufende Jahr ist das kein Problem, da in den Vorgaben der Schuldenbremse die Einschätzung des strukturellen Teils aus dem Herbst des vorangegangen Jahres fixiert wird. Interessant wird die Sache für die nun anstehende Anwendung des Konjunkturbereinigungsverfahrens auf das Jahr 2020. Als Daumenregel kann man annehmen, dass nur etwa zwei Drittel der Veränderung im Bruttoinlandsprodukt dem konjunkturellen Teil und ein Drittel dem strukturellen Teil zugeschlagen werden. Muss also doch etwas hinterhergespart werden?

Dazu ist festzuhalten, dass Bund und Gesamtstaat derzeit noch üppige Überschüsse aufweisen und dass die Art des Abschwungs den öffentlichen Haushalten vermutlich entgegenkommt. So fällt auf Exporte im Gegensatz zu privaten Bauinvestitionen keine Umsatzsteuer an. Die öffentlichen Haushalte könnten also etwas besser aus dieser Rezession herausgehen, als es das typische Konjunkturmuster, das dem Konjunkturbereinigungsverfahren unterliegt, vorhersieht. Ein „Hinterhersparen“ ist zumindest dieses Mal vermutlich nicht nötig. Schlechte Konjunkturnachrichten allein sollten uns aktuell bezüglich der Schuldenbremse also nicht zu Aktionismus treiben. Eine strukturelle Debatte über die Konjunkturbereinigung in der Schuldenbremse sollte hingegen geführt werden.

Ist die Schuldenbremse nicht doch eine Investitionsbremse?

Was ist aber nun mit den vielen wünschenswerten Projekten, die der Staat jetzt in Angriff nehmen soll? Dazu hat das IfW jüngst wieder darauf hingewiesen, dass durch Subventionsabbau durchaus Mittel in bedeutendem Umfang frei gemacht werden können, um zum Beispiel eine Steuerreform auf den Weg zu bringen.[3] Und was die öffentlichen Investitionen angeht, ist der Flaschenhals derzeit ein anderer. Die Schuldenbremse ist es nicht, sondern zu geringe Planungs- und Baukapazitäten. Letztere kann man vermutlich durch eine verlässliche und dauerhafte Ausrichtung der Finanzpolitik stärken. Bezüglich der verlässlichen und dauerhaften Ausrichtung der Finanzpolitik ist die Schuldenbremse kein schlechter Wegweiser.

Zudem ist festzuhalten, dass auch im Rahmen der Schuldenbremse Investitionsprojekte kreditfinanziert werden können, nämlich mit einer öffentlichen-privaten Partnerschaft (ÖPP). Die Kredite von ÖPP sind aus der Schuldenbremse ausgenommen.[4] Das Argument, dass die private Hand sich viel teurer verschulden muss, ist dabei nicht bindend. Finanzielle Transaktionen sind aus der Schuldenbremse ausgenommen. Der Staat könnte also Mittel aufnehmen und diese als Kredit an den privaten Partner weiterreichen. Verschuldung über ÖPP steht allerdings in einem schlechten Ruf und wirkt wie ein Taschenspielertrick, da sich der Staat ja nun doch verschuldet trotz Schuldenbremse.

Allerdings hat die Verschuldung über ÖPP einen erheblichen Vorteil. Durch die Zahlungsverpflichtungen, die der Staat gegenüber der privaten Hand eingeht und die unter die Schuldenbremse fallen, werden die Abschreibungen des Investitionsobjekts berücksichtigt. Es kann also kaum passieren, dass das Investitionsobjekt sich schon physisch in Auflösung befindet und die Schulden leider noch da sind. Statt die Schuldenbremse abzuschaffen, könnte man somit eher über die Modernisierung des Instruments ÖPP nachdenken.

Die Schuldenbremse sollte nicht leichtfertig abgeschafft werden. Nur unter einer Konstellation wäre es eindeutig, dies zu tun: wenn man dauerhaft, also nicht für nur für einige Jahre, von Nullzinsen ausgehen kann. Die Zentralbank in den USA war allerdings schon auf dem Weg, die Zinsen wieder zu erhöhen, bis sich die konjunkturellen Aussichten eingetrübt haben. Nun stelle man sich aber eine Welt mit abklingenden Handelskonflikten und ohne Brexit-Unsicherheit vor. Vielleicht keine allzu fern liegende Utopie…

 

[1] Vgl. die aktuelle Prognose des IfW, die am 11.9.2019 veröffentlicht wird.

[2] Vgl. dazu ein Gutachten des IfW: Ademmer et al. (2019). Schätzung von Produktionspotenzial und -lücke: Eine Analyse des EU-Verfahrens und mögliche Verbesserungen. Kieler Beiträge zur Wirtschaftspolitik Nr. 19. https://www.ifw-kiel.de/de/publikationen/kieler-beitraege-zur-wirtschaftspolitik/schaetzung-von-produktionspotenzial-und-luecke-eine-analyse-des-eu-verfahrens-und-moegliche-verbesserungen-12192/

[3] Vgl. Laaser und Rosenschon (2019). Kieler Subventionsbericht: Steigende Subventionen des Bundes bis zum Jahr 2018 – Mit einer Schwerpunktanalyse Verkehrssubventionen. https://www.ifw-kiel.de/de/publikationen/kieler-beitraege-zur-wirtschaftspolitik/kieler-subventionsbericht-steigende-subventionen-des-bundes-bis-zum-jahr-2018-mit-einer-schwerpunktanalyse-verkehrssubventionen-13162/

[4] Vgl. Bundesfinanzministerium (2015). Kompendium zur Schuldenbremse. https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Oeffentliche_Finanzen/Schuldenbremse/kompendium-zur-schuldenbremse.html

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