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Ordnung aktueller denn je

Mit der Ehrung von Elinor Ostrom und Oliver Williamson hat das Nobelpreis Komitee ein richtiges Zeichen gesetzt schreibt Dr. Karen Horn vom Institut der deutschen Wirtschaft. Quelle Grafik:www.nobelprize.orgIst Ordnungstheorie veraltet? Karen Horn vom Institut der deutschen Wirtschaft sieht das anders. Mit der Auszeichnung von Elinor Ostrom und Oliver Williamson hat die schwedische Akademie der Wissenschaften ein wichtiges und richtiges Zeichen gesetzt. Denn gerade in der Wirtschaftskrise hat sich gezeigt: auf den „richtigen“ Ordnungsrahmen kommt es an. Am 12. Oktober 2009 sind Elinor Ostrom und Oliver Williamson mit dem Wirtschafts-Nobelpreis ausgezeichnet worden – oder, korrekt formuliert, mit dem 1968 von der Schwedischen Reichsbank gestifteten Preis für ökonomische Wissenschaften zum Andenken an Alfred Nobel. Ostrom wie Williamson haben auf dem Feld der Institutionenökonomik bahnbrechende Forschungsarbeiten geleistet. Die Institutionenökonomik ist der Frage gewidmet, wie sich der gesellschaftliche Rahmen von formellen und informellen Institutionen, also von Regeln, Gesetzen, moralischen Normen und Konventionen entwickelt – und wie er sich als Anreizsystem auf das menschliche Verhalten und damit auf das gesamte wirtschaftliche Geschehen auswirkt. Ihre Vertreter arbeiten interdisziplinär. Damit stellt die Institutionenökonomik eine moderne Fortentwicklung der Ordnungstheorie dar, wie sie vor allem in Deutschland Gegenstand und Erbe der Freiburger Schule war. Besonders bemerkenswert ist diese Entscheidung des Nobelkomitees vor dem Hintergrund, dass im Zuge der Wirtschaftskrise zwar vor allem der Mainstream der Makroökonomik berechtigt in die Kritik geraten ist, die Ordnungstheorie aber weithin als veraltet abgetan und nicht als überlegener Ansatz erkannt wurde. Der Nobelpreis hat jetzt aller Welt die Augen geöffnet: Ordnungstheorie ist aktueller und notwendiger denn je.

Die Politikwissenschaftlerin Elinor Ostrom (76 Jahre, Indiana University, Bloomington) hat theoretisch gezeigt und empirisch nachgewiesen, wie Gemeinschaften von selbst Regeln finden, um mit „Allmendegütern“ langfristig hauszuhalten. Ihr wichtigstes Buch trägt den Titel „Governing the Commons“. Das Problem von Allmendegütern liegt darin, dass private Eigentumsrechte nicht eindeutig zugeordnet werden können. Als Folge davon bedienen sich alle Beteiligten, und die Allmendegüter werden übermäßig genutzt. Zwischen der Nutzung und der Erhaltung ergibt sich ein scheinbar unlösbarer Zielkonflikt. Die Allmende, die Gemeindeweide, wird leer gefressen, bis dort nichts mehr wächst; Fischgründe werden überfischt; Sozialkapital erodiert. Dies gilt als klassisches „Marktversagen“. Doch das ist ganz falsch. Was hier vorliegt, ist nämlich bloß ein natürlicher Interessenskonflikt. Und bei diesem Befund geht die Story überhaupt erst richtig los, erst ab hier entfaltet der Markt seine wahre Kraft. Denn Ostrom zeigt, dass sich solche Konflikte häufig durchaus lösen lassen – und zwar ohne Staat, in freier und spontaner, dezentraler, auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit fußender Interaktion der Beteiligten. Nichts anderes bedeutet „Markt“, wenn man diesen Begriff nicht eng fasst, sondern als eine Metapher versteht. Almbauern oder Fischer beispielsweise sind nämlich meistens durchaus in der Lage, den Umgang mit ihren Ressourcen selbst zu regulieren, wenn man sie nur eigenständig darüber verhandeln lässt. Und große Gesellschaften können spontan einen Konsens darüber entwickeln, was sich gehört und was nicht, und dass sie dieses Sozialkapital auch pflegen und aufrechterhalten, wenn man denn die Bürger nicht aus ihrer normalen Verantwortung dafür entlässt. Eine freiwillige Verständigung der Beteiligten über langfristige gemeinschaftliche Nutzungsvorschriften und Wertvorstellungen ist oftmals – nicht immer, aber meistens – kreativer, haltbarer und somit effizienter als alles, was abstrakt und zentral „von oben“, vom Staat, verhängt wird. Der wesentliche Grund dafür ist der Wissensvorsprung der Beteiligten und die Dynamik eines Prozesses des gemeinschaftlichen Ausprobierens. Freilich können dezentrale Lösungen auch einmal scheitern – dann nämlich, wenn es zu mühsam und zu teuer ist, alle an einen Tisch zu bringen, oder wenn äußere Fehlanreize gesetzt sind.

Genau hier liegt die Schnittstelle von Ostroms Arbeit mit den Forschungen von Oliver Williamson. Williamson (77 Jahre, University of California, Berkeley) wiederum hat aufgedröselt, wovon es abhängt, welche Institutionen sich eine Gemeinschaft überhaupt gibt. In seinem bedeutendsten Werk „The Institutions of Capitalism“ setzt er an dem Befund an, dass manche Ökonomen in der Existenz von Unternehmen andauerndes Marktversagen sehen. Wenn der Markt perfekt funktionieren würde, bräuchte man doch keine hierarchischen Institutionen wie Unternehmen, sondern man könnte alle Transaktionen über den Markt abwickeln – oder? Williamson erklärt, dass der konstitutive Vorteil von Unternehmen darin liegt, dass sie intern eine Verringerung der Transaktionskosten – der Kosten der Anbahnung und Ausübung von Verträgen – ermöglichen. Wenn die Transaktionskosten gleich null sind, dann kann eine Firma in der Tat ganz klein sein und man kauft alles auf dem Markt zu. Wenn die Nutzung des Markts aber mit Kosten verbunden ist, dann lohnen sich Fühlungsvorteile und hierarchische Strukturen. Welcher Fall vorliegt und welche Unternehmensverfassung („Governance“) sich empfiehlt, hängt unter anderem auch davon ab, ob die Verträge auf dem Markt vollständig sein können bzw. müssen, ob Kapital spezifisch ist, ob Interaktionen wiederholt auftreten. Diese Analyse lässt sich auch auf andere gesellschaftliche Fragen übertragen – eigentlich auf alles, was mit Interaktion und Austausch bei gegensätzlichen Interessen, Transaktionskosten und mitunter unklaren Eigentumsrechten zusammenhängt. Und dabei kommt man in der Institutionenökonomik, die ansonsten weitgehend neoklassisch modelliert, sogar ohne das überholte Idealbild vom perfekt rationalen Homo oeconomicus aus.

Beiden Wissenschaftlern ist der theoretische und empirische Beweis gelungen, dass Menschen ein gegebenes Koordinationsversagen spontan selbst beheben können – und das dank ihres lokalen Wissens meistens viel kreativer und effizienter, als eine noch so wohlmeinende hoheitliche zentrale Instanz das jemals könnte. Gerade da, wo Interessenskonflikte vorliegen, darf man auf den Markt vertrauen. Schließlich beschreibt das Bild vom Markt nichts anderes als die Menschen, wie sie spontan und freiwillig danach streben, ihre Interessen in Einklang zu bringen und sich dafür auch geeignete Regeln zu geben. Nichts anderes ist der Markt – und er hat große Kraft. Diese ordnungstheoretische Erkenntnis ist gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Krise wichtiger denn je. Auch dass er die Welt hierauf aufmerksam macht, macht diesen doppelten Nobelpreis so bemerkenswert.