Ordnungspolitik

30 Jahre Mauerfall: Euro als Hemmschuh für gleichwertige Lebensverhältnisse

Wie stehen die neuen Bundesländer drei Jahrzehnte nach dem Mauerfall da? Eine ökonomische Bilanz.

30 Jahre nach dem Mauerfall ist die Bilanz hinsichtlich der Konvergenz zwischen Ost- und Westdeutschland gemischt. Während die verfügbaren Einkommen pro Kopf in Ostdeutschland 85 Prozent des Westniveaus erreicht haben, liegt die Steuerkraft der ostdeutschen Flächenländer nur bei gut 50 Prozent. Auch bei den Vermögen gibt es eine hohe Diskrepanz. Viele Ostdeutsche fühlen sich abgehängt, was sich in den jüngsten Wahlergebnissen widergespiegelt hat. Abseits blühender Städte wie Potsdam, Jena und Leipzig hat sich Ernüchterung breitgemacht.

Die Gründe sind vielfältig. Das Erbe der Planwirtschaft, das verbunden mit Fehlentscheidungen bei der Wiedervereinigung viele Unternehmen zusammenbrechen ließ, bliebt eine große Bürde. Die Produktivität ist im Westen immer noch deutlich höher. Denn Ostdeutschland hat eine kleinteiligere Wirtschaftsstruktur. Fast alle Zentralen großer Unternehmen liegen im Westen. Schließlich ist jedoch der Euro aus vier Gründen zu einer großen Last für den Osten geworden.

Erstens sah sich ab 2001 die Regierung Schröder zu umfassenden Reformen und Sparmaßnahmen gezwungen, nachdem die Wiedervereinigung die Staatsverschuldung an den Maastricht-Grenzwert von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gebracht hatte. Der Ausgaben- und Lohnzurückhaltung im öffentlichen Sektor folgte Lohnzurückhaltung im privaten Sektor, was die Lohneinkommen und reale Kaufkraft der Ostdeutschen maßgeblich geschwächt hat. Die Bruttolöhne liegen heute im Osten rund 20 Prozent unter dem Westniveau, sodass sich die Abwanderung vor allem junger qualifizierter Arbeitskräfte fortgesetzt hat. Der beachtliche Rückgang der Arbeitslosigkeit seit 2006 wurde also vor allem durch einen negativen Wanderungssaldo und den Renteneintritt beeinflusst.

Zweitens bewirkten die Hartz-Reformen aufgrund der öffentlichen Ausgaben- und allgemeinen Lohnzurückhaltung einen starken Anstieg der Nettokapitalabflüsse, die im Ausland eine steigende Nachfrage nach deutschen Gütern finanzierten. Von den hohen Exportüberschüssen profitierten vor allem die exportorientierten westdeutschen Großunternehmen und Hidden Champions. Die mehr auf den Binnenmarkt ausgerichteten ostdeutschen Klein- und Mittelunternehmen waren hingegen mit einer stagnierenden Binnennachfrage konfrontiert. Wären die seit 2001 abgeflossen 3.000 Milliarden Euro im Inland geblieben, sähe es heute im Osten sicher anders aus.

Drittens bedeutete der Ausbruch der Eurokrise eine Zäsur, weil von der daraus folgenden anhaltend ultralockeren Geldpolitik weiterhin vor allem die großen, export-orientierten Unternehmen profitierten. Äußerst geringe Zinsen auf deren Anleihen und eine starke Abwertung des Euro spülten viel Geld in deren Kassen. Den kleinen und mittleren Unternehmen im Osten blieb vielfach nur die schwache Binnennachfrage. Der seit 2006 einsetzende Beschäftigungsboom hat deshalb vor allem in Westdeutschland und Berlin (plus 5,1 Millionen Beschäftigte), nicht aber in den ostdeutschen Flächenländern (plus 0,35 Millionen) stattgefunden.

Quelle: Bundesfinanzministerium und Arbeitskreis volkswirtschaftliche Gesamtrechnung der Länder.

Am schwersten dürfte jedoch – viertens – wiegen, dass mit der anhaltend lockeren Geldpolitik der Europäischen Zentralbank marktwirtschaftliche Prinzipien wie Wettbewerb und Haftung ausgesetzt sind. Banken und Unternehmen werden zombifiziert, sodass wirtschaftliche Strukturen zementiert und das Entstehen von Neuem behindert wird. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben Bayern und Baden-Württemberg aufgeholt, weil sie in einem marktwirtschaftlichen Umfeld konsequent auf Leistungsanreize, Sparen und Investitionen setzten. Dieser Weg dürfte den ostdeutschen Ländern verschlossen bleiben.

Damit wird auf Dauer ein Finanzausgleich zwischen Ost und West notwendig sein, wenn einer weiteren politischen Polarisierung im Osten entgegengewirkt werden soll. Für Tranfers werden jedoch aufgrund der zu erwartenden anhaltenden Stagnation und der Spannungen in der Eurozone zunehmend die Ressourcen fehlen. Die einzige wahre Entwicklungsperspektive für weite Teile Ostdeutschlands dürfte deshalb die Rückkehr zu einer harten Währung und marktwirtschaftlichen Prinzipien sein. So wie es den Ostdeutschen 1990 versprochen worden ist.

Literatur:

Schnabl, Gunther / Sepp, Tim 2019: 30 Jahre nach dem Mauerfall: Ursachen für Konvergenz und Divergenz zwischen Ost- und Westdeutschland. Universität Leipzig Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät Working Paper 162.

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