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Geistesblitze und Intuition in zwölf Miniaturen

Wer keine Zeit hat, dicke Biografien über Ökonomen zu wälzen, ist hier an der richtigen Adresse: Björn Frank gelingt es, auf rund 140 Seiten Kurz-Porträts zwölf großer Genien der Ökonomie in flott geschriebene Texte zu packen – und spart nicht mit ebenso unterhaltsamen wie seltsamen Details aus deren Vita.

Joseph Alois Schumpeter war ein bisschen zu dick, er hatte wulstige Lippen, kräftige, seltsam rund schwingende Augenbrauen und einen wässrigen Blick. Seine Ohren standen etwas ab. Sonst wirkte nichts an seinem Kopf markant, und genügend Haare, um mit einer geschickten Frisur über diesen Mangel hinwegzutäuschen, hatte er nicht.

So beschreibt Björn Frank, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Kassel, den österreichischen Ökonomen und gibt sogleich zu verstehen, dass wohl kaum einer, der Schumpeter kennt, eine solche Beschreibung erwarten würde – auch wenn sie im Detail stimmt. Eher Ausführungen zu Schumpeters (1883-1959) Essays und Büchern mit Titeln wie Die Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung oder Das Wesen und der Hauptinhalt der theoretischen Nationalökonomie wären den Insidern vertraut. Doch davon gebe es eben schon genug, meint Frank. Es sind die intimen und mit vergnüglicher Ironie versehenen Aperçus zum Leben und die fundierten Kommentare zum Denken berühmter Forscher und Wissenschaftler, die die Lektüre von Franks nun erschienenem Buch „Zu Keynes passt das nicht – vom Leben und Sterben großer Ökonomen“ so unterhaltsam und kurzweilig machen.

Dem Autor gelingt mit seinen biografischen Miniaturen („Dicke Biografien gibt es genug“) über zwölf große Ökonomen ein origineller Spagat – denn er kommentiert und referiert nicht nur die wichtigsten Erkenntnisse seiner Protagonisten, sondern erdet die manchmal doch sehr trockene Materie der großen Denker in dem, was uns alle eint – dem Tod. Franks Beschreibung („Keines der Kapitel ist länger als nötig“) der unterschiedlichen Todesarten wie Selbstmord, vorgetäuschter oder politischer Mord seiner Geistesgrößen zeigt, dass sich das Denken über Geldtheorien und Weltverbesserung zwar ändern kann, der Mensch angesichts seiner Endlichkeit und manchmal lächerlich anmutenden Sehnsucht nach ewigem Ruhm jedoch nie.

Von der Ökonomie zur Pathologie

Frank fördert kuriose Details zutage: So soll Richard Cantillon (1680-1734), der Erfinder des Cantillon-Effekts, der vorgibt, dass nur ganz bestimmte Akteure von der Erhöhung der Geldmenge in einer Volkswirtschaft profitieren, seinen Tod vorgetäuscht haben, um sich von seinen Schuldnern zu befreien. Jeremy Bentham (1748-1832), der sich nicht nur für eine Gefängnisreform einsetzte und dessen ökonomischen Ideen heute unter dem Stichwort „abnehmbarer Grenznutzen des Geldes“ diskutiert werden, lud Freunde und Bekannte nach seinem Tod zu seiner eigenen „Leichenöffnung“ ein – für die wissenschaftliche Weiterverwertung und zur Freude der Pathologen. Friedrich List (1789-1846), der den Eisenbahnausbau propagierte, sich für die deutsche Zolleinigung einsetzte, entscheidende Beiträge zur Nationalökonomie leistete und sich letztlich erschoss, schaffte es mit seinem testamentarischen Abschiedsbrief, dass König Ludwig von Bayern seiner Witwe jährlich vierhundert Gulden als Rente gewährte – ein Einkommen, das die meisten Lehrer im Freistaat damals nicht erzielten. Johann Heinrich von Thünen (1783-1850) ließ sich seine Formel zur Berechnung des „natürlichen Arbeitslohns“ auf seinen Grabstein in Prebberede-Belitz in Mecklenburg-Vorpommern meißeln. Und der russische Agrarökonom Alexander W. Tschajanow (1888-1937), Autor des Werkes Die Lehre von der bäuerlichen Wirtschaft (1923), wurde in Zeiten des „Großen Terrors“ (1937/1938) in der Sowjetunion kurzerhand hingerichtet. Manche Ökonomen, schreibt Frank, hätten eben ein romanhaftes Leben verbracht, so als ob es sich jemand ausgedacht hätte – „nicht nur wie sie lebten, sondern auch wie sie starben“.

Dass John Maynard Keynes (1883 bis 1946) von seinem wissenschaftlichen Gegenspieler Friedrich von Hayek als „einer der intelligentesten und originellsten Denker, die ich kennengelernt habe“, bezeichnet wurde, ist ebenso überraschend, wie die lapidare Bemerkung Hayeks, dass für Keynes „Wirtschaftswissenschaft nur eine Nebenbeschäftigung war“. Seine Interessen seien vielmehr von ästhetischen Gesichtspunkten bestimmt gewesen. Keynes hätte das Zeug zu einem großen Ökonomen gehabt, wenn er sich nur darauf konzentriert hätte, meinte Hayek.

Tatsächlich verwendet Keynes, Mitglied der Intellektuellen- und Künstlergruppe Bloomsbury, viel Aufmerksamkeit, Zeit und Geld den Künsten. Dass hier vieles auf den ersten Blick nicht „zu Keynes passt“ – wie es Frank in seinem Buchtitel andeutet – ,wird in diesen Beschreibungen offensichtlich. Dass Keynes heute noch so populär ist und es den „Keynesianismus“ oder drei bis vier Varianten davon gibt, ist seinen Interpreten zu verdanken, meint Frank. Einig seien sich seine Jünger allerdings bis heute nicht. Das Urteil über Keynes’ Hauptwerk Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes lässt Frank den amerikanischen Wissenschaftler Paul Samuelson ziehen: „Ein schlecht geschriebenes Buch, unzulänglich gegliedert; jeder Laie, der, von dem guten Ruf des Autors verführt, das Werk kaufte, war um fünf Schillinge betrogen (…) Geistesblitze und Intuition wechselten mit langweiliger Algebra. Eine unbeholfene Definition öffnet plötzlich den Weg zu einer unvergleichlichen Kadenz. Wenn diese schließlich gemeistert ist, finden wir die Analyse klar und gleichzeitig neu. Kurz, es ist das Werk eines Genies.“

Fazit

Björn Franks flott und geistreich geschriebenes Buch ist eine absolute Empfehlung für alle, die den Einstieg in die Welt großer Ökonomen suchen. Frank mischt geschickt biografische Details und filtert aus komplexer Theorie verständlich das Wichtigste heraus. Anders als sein Vorbild für biografisches Schreiben, nämlich der britische Schriftsteller Lytton Strachey (1880-1932), serviert er Thesen und Temperamente nicht mit böser Zunge, sondern mit einem sympathisch-ironischen Blick für die teils komischen, teils tragischen Erlebnisse seiner Helden und lässt ihnen damit ihre Würde.

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