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Mit Föderalismus durch die Corona-Krise?

Der Föderalismus hat bei vielen Menschen keinen guten Ruf. Zu umständlich, zu langsam, und vor allem: nicht einheitlich. Insbesondere die letztgenannte Eigenschaft scheint großes Unbehagen zu bereiten, wie viele Äußerungen in der Diskussion über taugliche Strategien gegen Corona zeigen. Eine Entgegnung.

Vielfalt ist der größte Trumpf des Föderalismus. In einer Zeit, in der sich die Erkenntnis durchsetzt, dass Biodiversität, Diversität unter den Beschäftigten eines Unternehmens und Diversität von Lebensentwürfen eine Bereicherung sind, sollte diese Einsicht vor der Struktur eines Gemeinwesens nicht haltmachen. Doch leider wird beim Föderalismus bisweilen so argumentiert, wie dies homophobe Menschen über Homosexualität tun: ein Irrtum, ein tragisches Schicksal, aber gewiss nicht normal. Dabei gibt es sehr gute Gründe, die für den Föderalismus sprechen. Um nur zwei zu nennen:

Erstens, Föderalismus ermöglicht es uns zu lernen. Schließlich kann kein Mensch hellsehen und niemand weiß, welche Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie die besten sind. Manche skizzieren Horrorszenarien, andere halten dies für Panikmache. Menschen lernen aus Erfahrung, aus der eigenen, aber auch aus der Erfahrung anderer. Im Föderalismus bedeutet das, dass man nicht jeden Fehler selbst machen muss und dass man sich erfolgreiche Strategien abschauen kann. Das spart langfristig gesehen Zeit, Geld und Menschenleben.

Selbstverständlich bedeutet das nicht, dass nicht auch zentralistisch regierte Staaten eine gute Politik machen oder zufällig den allerbesten Maßnahmenmix im Angesicht von Corona ergreifen könnten. Es ist aber unmöglich, dass eine Person, ein System oder ein Verfahren garantiert die richtige Lösung für das jeweils aktuelle Problem präsentiert. Deshalb ist es besser, im Kleinen viele unterschiedliche Ansätze auszuprobieren und im kleinen Rahmen zu scheitern, aber eben dadurch auch einen gangbaren Weg zu finden, als alle Irrtümer im großen Maßstab zu begehen.

Der zweite Grund, der für den Föderalismus spricht, ist die Bedeutung von zeit- und ortsspezifischen Kenntnissen. Keine Zentralstelle kann über sämtliche Informationen verfügen, die dezentral im Land vorhanden sind. Vielleicht wusste ganz Deutschland, dass nicht immer alle Toiletten im Schloss Bellevue funktionierten. Welche genau man aber gerade diskret versperren musste, das wussten nur die „Locals“. Wer regelmäßig eine bestimmte Strecke fährt, weiß genau, an welcher Stelle zuerst mit Bodenfrost zu rechnen ist. Und ob man eine Turnhalle innerhalb weniger Stunden in eine Notunterkunft verwandeln kann, hängt nicht nur von der Ausstattung ab, sondern auch davon, ob die Helferinnen und Helfer das ohnehin regelmäßig machen – für Pilgergruppen etwa oder Jugendbegegnungen – oder eher planlos zu Werke gehen.

Viele kleine Entscheidungs- und Koordinationszentren sind besser als ein einziges großes.

Dass es nicht möglich ist, alle diese Informationen zusammenzuführen, ist keine neue Erkenntnis. Der Wirtschaftsnobelpreisträger Friedrich August von Hayek etwa hat dieses Argument schon 1945 ausgearbeitet. „Time and place knowledge“ ist aber nicht nur im Wirtschaftsleben oder im Katastrophenschutz relevant. Eine andere Wirtschaftsnobelpreisträgerin, Elinor Ostrom, hat dessen Bedeutung für öffentliche Leistungen wie Polizei und Straßenbau sowie Institutionen zur Bewirtschaftung von Gemeingütern untersucht. Ihr Fazit: Viele kleine Entscheidungs- und Koordinationszentren sind besser als ein einziges großes. Angesichts von Abstimmungsbedarf, Kompetenzgerangel und Überlappungen erscheinen föderale Systeme (Ostrom nennt sie polyzentrisch) als verschwenderisch, schwerfällig oder sogar unfähig. Doch das empirische Ergebnis ist eindeutig: Sie verbrauchen weniger Ressourcen und liefern bessere Ergebnisse.

Insofern ist es sachlich falsch, ein weitgehend einheitliches Handeln aller Länder als funktionierenden Föderalismus zu loben. Denn das suggeriert, dass es gilt, alle Abweichungen (und damit Vielfalt, Individualität und Erfindungsreichtum) zu unterdrücken, und nicht, zu möglichst geringen Kosten eine gute Lösung zu finden.

Zwar werden wir wohl noch eine ganze Weile nicht wissen, ob der gewählte Lösungsweg sinnvoll ist, ob die Maßnahmen zu zögerlich kamen, nicht ausreichend sind oder vielmehr überstürzt ergriffen wurden und jetzt schon übertrieben sind. Schon heute aber wissen wir, dass wir uns nicht vorschnell über eine Einheitsfront aller Länder freuen sollten. Es könnte ein kurzer Triumph sein.

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