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Was ist Soziale Marktwirtschaft?

Ob links, grün, sozialdemokratisch, liberal oder konservativ – jede der großen Parteien bezieht sich heute auf die Soziale Marktwirtschaft. Sie ist zu einem Buzzword geworden, das Aktualität, Modernität, Wirtschaftskompetenz und Souveränität ausstrahlen soll. Doch wofür steht die Soziale Marktwirtschaft eigentlich? Die Autoren zeigen, was der Begriff für die jeweiligen Zielgruppen bedeutet und warum die Soziale Marktwirtschaft heute so einflussreich ist.

Autor

Dr. Martin Roos

ist freiberuflicher Journalist. Er arbeitet als Autor, Ghostwriter und Redenschreiber für Unternehmen und Topmanager.

Es ist selten, dass es in einem Bändchen von gerade mal 250 Seiten gelingt, die Nuancen des Begriffs der Sozialen Marktwirtschaft und die verschiedenen Zugänge zu ihr klar und verständlich herauszuarbeiten, wie in dem nun erschienenen Buch von Thomas Biebricher und Ralf Ptak „Soziale Marktwirtschaft und Ordoliberalismus zur Einführung“.

Da schadet es auch nichts, dass ab und an ein wenig Süffisanz gegenüber den Apologeten der Sozialen Marktwirtschaft zwischen den Zeilen heraustropft.

Die Soziale Marktwirtschaft gilt seit Beginn der Bundesrepublik als die „Große Erzählung“, das Narrativ, das „einer Staatsräson gleicht und das konzeptionell wie politisch-praktisch für den wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands steht“, schreiben die Autoren.

Diese „Große Erzählung“ fing mit der Doppelreform aus Währungs- und Leitsätze-Gesetz vom 20. Juni 1948 an, verlief weiter über die Zeit des Wirtschaftswunders und später der Kohl’schen blühenden Landschaften bis in die Finanz-, Euro- und Wirtschaftskrise der vergangenen Jahre.

Kritisch und fundiert setzen sich der Politikwissenschaftler Biebricher und der Ökonom Ptak mit den Begrifflichkeiten des Ordoliberalismus und der Sozialen Marktwirtschaft anhand von vielen Quellen auseinander.

Wer sich die Mühe macht, das Buch auch Seite für Seite zu lesen, hat verstanden, warum es keine alleinige Deutungshoheit des Begriffs der Sozialen Marktwirtschaft geben kann und warum heute Politiker vom linken bis zum rechten politischen Spektrum nichts lieber tun, als die Soziale Marktwirtschaft ihren jeweiligen Systemen nach Bedarf einzuverleiben.

Ursprünge der Sozialen Marktwirtschaft

Ihre scheinbare Omnifunktionalität fängt schon damit an, dass die Definitionen und die Entstehung der Sozialen Marktwirtschaft vielfältig sind. Die Autoren unterscheiden zwischen vier Arten:

1. Die Soziale Marktwirtschaft, die ihre Wurzeln in den 1920er-Jahren hatte, auf die sozialreformerische Kräfte einwirkten und die die marktwirtschaftliche Ordnung beibehalten, aber sich vom aufkommenden Laissez-faire-Grundsatz des klassischen Wirtschaftsliberalismus abgrenzen wollte.

2. Die Soziale Marktwirtschaft, die auf den Grundlagen des deutschen Neoliberalismus und Ordoliberalismus in den Jahren nach 1945 aufbaute, deren ordoliberale Gedanken aber ab Mitte der 1950er-Jahre wegen des sich weiter stark entwickelnden Sozialstaates zurückgedrängt wurden (Ordoliberalismus und Soziale Marktwirtschaft sind, schreiben die Autoren, nicht gleichzusetzen, sondern ergänzen sich).

3. Die Soziale Marktwirtschaft, die in der öffentlichen Meinung als die reale Wirtschafts- und Sozialpolitik der Bundesrepublik angesehen wird.

4. Die Soziale Marktwirtschaft, die für viele ein System ist, das zunächst vom Ordoliberalismus unterfüttert wurde, sich aber in den 1970er-Jahren durch gesellschaftliche und politische Einflüsse vom ordoliberalen Leitbild löste.

Soziale Marktwirtschaft als offenes System

Möglicherweise war es die Hungersnot nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland, die für den „Kairós der Sozialen Marktwirtschaft“ gesorgt hatte und dafür mitverantwortlich war, dass sich das neue Wirtschaftssystem in dem kriegsgebeutelten Land durchsetzen konnte.

Vielleicht lag es an Erhards (von den Amerikanern erhaltener) Machtfülle in seinem Amt als Direktor der Verwaltung für Wirtschaft (VfW).

Oder es war ein pragmatischer Policy-Mix in der Wirtschaftspolitik, der der Sozialen Marktwirtschaft in der jungen Bundesrepublik zum Durchbruch verholfen hatte.

Wer heute jedenfalls die Deutungshoheit der Sozialen Marktwirtschaft für sich beansprucht, sollte nicht vergessen, dass sie sich natürlich längst vom Image als Katalysator des deutschen Wirtschaftswunders gelöst hat und in den vergangenen 70 Jahren immer unterschiedlichen Umsetzungen (Ölpreiskrise, Globalisierung, Wiedervereinigung, Agenda 2010) und Interpretationen (Eucken, Hayek, Keynes, Müller-Armack, Röpke, Rüstow) ausgesetzt war.

Biebricher und Ptak machen in den Kapiteln über die Entwicklung und Entstehung des Ordoliberalismus als theoretische Grundlage der Sozialen Marktwirtschaft und über die Einführung der Sozialen Marktwirtschaft in Deutschland deutlich, dass sie als „programmatische Konzeption“ ein „offenes System“ darstellt. Und so ist dann auch klar, dass die Soziale Marktwirtschaft „ständig im Licht neuer Ideen und Erkenntnisse überprüft und verbessert werden“ muss (Christian Watrin, von 2000 bis 2002 Präsident der Mont Pèlerin Society) – und auch in Zukunft weiteren Prüfungen standhalten muss.

Inwieweit dem Ordoliberalismus gerade in Zusammenhang mit der europäischen Integration und der Wirtschafts- und Finanzpolitik eine hoffnungsvolle Zukunft bevorsteht, diskutieren die Autoren in ihrem letzten Kapitel. Um es auf einen kurzen Nenner zu bringen: Wenn auch manche Kritiker den Ordoliberalismus bereits als „Dead Man Walking“ bezeichnen, meinen Biebricher und Ptak, dass mit seiner wirtschafts- und finanzpolitischen Bedeutung und Wirkung in Zukunft durchaus zu rechnen sei. Natürlich: Der Streit um die Ordnungsökonomik ist so alt wie das Wort selbst.

Fazit

Den beiden Autoren gelingt mit ihrem Einführungsbuch eine anspruchsvolle Mischung aus konkreter Wissensvermittlung und kritischer Analyse. Wer sich der Vielschichtigkeit der Sozialen Marktwirtschaft annähern möchte, sollte dieses Büchlein griffbereit im Schrank haben.

Thomas Biebricher / Ralf Ptak: Soziale Marktwirtschaft und Ordoliberalismus zur Einführung, Junius Verlag, Hamburg 2020

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