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10 Gründe, warum der Soli sich überlebt hat

Aus steuersystematischer Sicht ist die Abschaffung des Solidaritätszuschlags überfällig, konjunkturell könnte das Ende des Soli die Wirtschaft stützen: Ohne den geplanten Rest-Soli würde die Wirtschaftsleistung im kommenden Jahr um schätzungsweise 6 Milliarden Euro höher ausfallen. Zudem wären 19.000 Menschen mehr in Beschäftigung. In den kommenden zehn Jahren würde sich die Soli-Abschaffung so im Durschnitt zu einem Drittel von selbst finanzieren.

Eigentlich ist es ein Glücksfall für die Politik, wenn strukturell überfällige Schritte mit konjunkturpolitisch sinnvollen Schritten zusammenfallen. Aus dieser Perspektive bietet die Corona-Krise der Politik eine unverhoffte Chance. Die Antwort der Ökonomen auf einen derart negativen Schock wie die Corona-Krise ist zumeist der Verweis auf die Rolle des Staates. Ohne ihn geht es nicht – zu tief sitzen Angst und Misstrauen mit Blick auf die Zukunft. Der Staat wiederum hat demnach zwei Möglichkeiten, um die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen: Staatsausgaben erhöhen und Steuern senken – beides, was bleibt anderes übrig, zulasten der Verschuldung.

Dass der deutsche Staat in Sachen Ausgabenpolitik auf Nachfrageimpulse zur Stützung der Wirtschaft setzt, steht angesichts der verschiedenen Hilfen und Programme außer Frage. Mit Blick auf Steuerentlastungen erfüllt zwar die befristete Mehrwertsteuersenkung den keynesianischen Gedanken eines Nachfrageimpulses und auch die Steuerstundungen passen in dieses Bild. Dennoch ist es verwunderlich, dass die Politik sich in der Krise nicht durchringen konnte, steuersystematisch angezeigte oder sogar überfällige Schritte, die gleichzeitig konjunkturpolitisch positiv wirken, ins Auge zu fassen. Beispiel Solidaritätszuschlag: Weder wurde die beschlossene Reform des Soli vorgezogen, noch wurde die Abschaffung des über den Jahreswechsel hinaus verbleibenden Teils in Angriff genommen. Dabei gibt es viele gute Gründe, warum sich der Soli überlebt hat:

  1. Bei Einführung lautete das Versprechen, dass der Soli temporär erhoben wird, um zunächst den Golfkrieg und später den Aufbau Ost zu finanzieren. Deshalb wurde der Soli bewusst als ein Fremdkörper im deutschen Steuerrecht konzipiert. Die Politik hätte mit dem Einlösen eines vor fast 30 Jahren gegebenen und in der Zwischenzeit vielfach wiederholten Versprechens die Chance, neues Vertrauen bei Bürgern und Unternehmen zu gewinnen.
  2. Seit 1995 hat der Bund mit dem Soli rund 110 Milliarden Euro mehr eingenommen, als er für die Förderung der ostdeutschen Bundesländer im Rahmen des Solidarpakts ausgegeben hat. Mittlerweile fließen die Einnahmen vollständig zur freien Verfügung in den Bundeshaushalt – in diesem Jahr rund 18 Milliarden Euro, im nächsten Jahr wären es 9 bis 10 Milliarden Euro.
  3. Die Rückführung des Soli ab dem kommenden Jahr sorgt – anders als von der Politik suggeriert – nicht dafür, dass nur noch wenige Reiche die Ergänzungsabgabe zahlen müssen. Vielmehr werden rund 6 Millionen Personen, darunter Rentner und Unternehmer, den Zuschlag weiterhin auf die Einkommensteuer entrichten. Hinzu kommen mehr als 500.000 Kapitalgesellschaften, die den Solidaritätszuschlag unverändert auf die Körperschaftsteuer zahlen müssen.
  4. Insgesamt trägt der Unternehmenssektor im kommenden Jahr rund 60 Prozent des Aufkommens, denn die Rückführung des Soli geht an den Unternehmen weitestgehend vorbei. Dabei haben viele Staaten wie die USA, Frankreich und Großbritannien die Unternehmensteuern in jüngster Zeit gesenkt.
  5. Gleichzeitig verringert die beschlossene Freigrenze für Leistungsträger mit Einkommen in der Nähe des Schwellenwerts von etwa 61.000 Euro zu versteuerndem Jahreseinkommen den Anreiz, mehr zu arbeiten, zum Beispiel in Form von Überstunden. Von einem zusätzlich verdienten Euro geht mehr als die Hälfte mittels Steuern an den Staat.
  6. Aus verteilungspolitischer Sicht ist unmittelbar ersichtlich, dass bei einem proportionalen Aufschlag auf die progressive Einkommensteuer diejenigen mit den höchsten Einkommen am meisten zahlen – die 10 Prozent der Soli-Zahler mit den höchsten Einkommen tragen mehr als die Hälfte des Aufkommens. Es ist logisch, dass diese Gruppe von einer Abschaffung am stärksten profitiert. Denn der Soli ist kein Korrektiv des Einkommensteuerrechts.
  7. Das Festhalten am Soli kommt einer Steuererhöhung gleich, da das Versprechen auf eine zeitliche Begrenzung der Abgabe gebrochen würde. Wer der Meinung ist, dass der Staat unterfinanziert ist oder einzelne Bevölkerungsgruppen zu wenig zahlen, sollte für eine Steuerreform mit entsprechenden Erhöhungen eintreten anstatt den Soli als Feigenblatt zu benutzen.
  8. Werden die Einnahmen aus Lohnsteuer, veranlagter Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag in Relation zum Bruttoinlandsprodukt gestellt, fällt die so definierte Steuerquote im Jahr 2020 trotz der Corona-Krise um 0,6 Prozentpunkte höher aus als 2014 – das entspricht 20 Milliarden Euro.
  9. Der Verweis darauf, dass der Staat die Einnahmen für seine Ausgabenpläne braucht, ist zwar nicht per se falsch, aber ein Totschlagargument – oder gab es mal Zeiten, in denen nicht mehr Geld für besonders wichtige Ausgabenprojekte gewünscht wurde? Die Abschaffung des Soli steht Investitionen in Digitalisierung und Klimaschutz zumindest nicht im Weg.
  10. Simulationsrechnungen des IW mit dem globalen Makromodell von Oxford Economics zeigen, dass die nominale Wirtschaftsleistung im Jahr 2021 um fast 6 Milliarden Euro höher ausfallen würde, wenn der Soli zum 1. Januar 2021 vollständig abgeschafft werden würde. Auch auf dem Arbeitsmarkt wäre demnach ein Effekt spürbar. Rund 19.000 Menschen mehr wären im nächsten Jahr beschäftigt. Die Soli-Abschaffung würde sich zudem in den nächsten zehn Jahren im Durchschnitt zu fast einem Drittel von selbst finanzieren.

Dieser Blogpost stammt weitgehend aus der Kurzexpertise “Die Reform des Solidaritätszuschlags vor dem Hintergrund der Corona-Krise”.

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