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Wir müssen uns von den USA emanzipieren

Was wird für Europa nach der US-Präsidentenwahl anders sein? Nicht so viel, wie wir vielleicht denken und hoffen. Auch deswegen ist es wichtig, dass Europa seine eigenen Hausaufgaben erledigt, meint der Bundestagsabgeordnete Alexander Kulitz.

In wenigen Tagen wählen die USA ihr Staatsoberhaupt – manch einer hierzulande hofft damit auch auf eine Entspannung im transatlantischen Verhältnis, das zuletzt vor allem unter gegenseitigen Zolldrohungen schwer gelitten hat. Dabei dürfen die politischen Akteure in Deutschland und der EU aber nicht dem Irrglauben verfallen, mit einem Präsident Biden würde man einfach zur alten Freundschaft zurückkehren. Sowohl Republikaner als auch Demokraten sehen im Protektionismus einen adäquaten Schutz für die eigene Wirtschaft.

Wenn Joe Biden im Wahlkampf dazu aufruft, nur amerikanische Produkte zu kaufen, dann entspricht das der Trump’schen Rhetorik und unterstützt die immer da gewesene „America first“-Strategie. Zu erwarten wäre unter Biden jedoch eine signifikante Veränderung der amerikanischen Außenpolitik. Im Gegensatz zu Trump setzt Biden auf multilaterale Institutionen, um amerikanische Interessen zu verfolgen. Im Hinblick auf die Rivalitäten mit China, Russland und dem Iran steht zu erwarten, dass Joe Biden versuchen wird, die westlichen Allianzen wiederzubeleben, um konsentiert gegen die von Amerika beschworenen Feinde vorzugehen.

Unbestritten werden die Präsidentschaftswahlen in Amerika eine Zäsur darstellen – und damit gleichzeitig eine Chance, die transatlantischen Beziehungen zu erneuern.

Auf europäischer Seite des Atlantiks sollte man dabei nicht den Fehler machen, auf die Rückkehr eines Beschützer-Amerikas zu warten, und vor allem darf Europa die gute Beziehung zu den USA nicht weiterhin als Selbstverständlichkeit betrachten. Beziehungen müssen gepflegt werden, sie sind Arbeit – und man kann nur mit dem arbeiten, was man hat.

Was aber sind die Faktoren, welche die transatlantische Verständigung so belasten? Ist es wirklich nur ein diplomatisch tölpelhaft und unorthodox agierender Präsident Trump im Weißen Haus? Die wahren Ursachen liegen tiefer. Annäherung beginnt immer durch gegenseitiges Verständnis. Als Europäer und insbesondere als Deutsche sollten wir uns deshalb erst einmal an die eigene Nase fassen, bevor nach Trump’scher Gepflogenheit die Schuld allein beim Gegenüber gesucht wird.

Europa muss sich emanzipieren. Dazu gehört, für die eigenen Überzeugungen einzustehen, ohne ständig zu versuchen, sie anderen aufzudrücken – die eigenen Standpunkte zu vertreten, ohne dabei jene der Gegenseite schlechtzureden. Insbesondere wir Deutschen neigen dazu, moralische Überlegenheit zu signalisieren, gepaart mit einer paradoxen Erwartung, die USA sollten unsere Moralvorstellung international durchzusetzen. Ohnehin wirkt es aus Sicht Dritter wenig glaubhaft, ethische Grundsätze einzufordern, die noch nicht einmal in den eigenen Reihen breite Unterstützung finden. Um eine Basis der Annäherung im transatlantischen Miteinander zu schaffen, ist es an uns, den seit Langem gepflegten Moralapostel gegenüber den amerikanischen Freunden aufzugeben.

Von dieser Arroganz des Moralimperialisten zeugt übrigens auch unsere Skepsis gegenüber Handelsabkommen. Die ideologisch beladenen Argumente gegen das gescheiterte TTIP-Abkommen waren für unsere Verhandlungspartner schwer verständlich. Mit ähnlicher Kritik wird nun das über 20 Jahre ausverhandelte Mercosur-Abkommen mit den lateinamerikanischen Staaten zu Grabe getragen. Kein einziger Baum des Amazonas wird gerettet, wenn der Abschluss des Freihandelsabkommens aus moralischer Unzufriedenheit verhindert wird. Wer nicht „dealfähig“ ist, schließt sich aus, überlässt das Feld anderen Akteuren, die sich oft wenig um humanitäre und klimapolitische Aspekte kümmern.

Schließlich liegt es dann an den USA, Europa endlich als Partner auf Augenhöhe zu betrachten. Amerika sollte längst erkannt haben, dass es nicht wie einst die Regeln auf dem Weltmarkt diktieren kann. „Maximum pressure“-Strategien, Androhungen von exterritorialen Sekundärsanktionen und Zölle aus Trotzreaktion perpetuieren die Hegemonie der Vereinigten Staaten nicht dauerhaft.

Auf das sich abzeichnende protektionistische Wettrüsten, gegebenenfalls sogar einen Zollkrieg, darf Europa sich nicht einlassen. Stattdessen ist es unsere Aufgabe, den Welthandel unsererseits ankurbeln und für freie und offene Märkte einzustehen, anstatt sie zu blockieren.

Denn was bei allen Differenzen und unabhängig vom Amtsinhaber im Weißen Haus Bestand hat, ist die gemeinsame Verteidigung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten. Sie bilden das feste Fundament, auf dem sowohl Europa als auch die Vereinigten Staaten von Amerika aufgebaut sind.

Zu diesem gemeinsamen Fundament sollte sich Europa wieder bekennen und klar signalisieren, dass man sich als verlässlicher Partner der USA versteht. Vielleicht müssen wir in Zukunft noch mehr auf das föderale System der USA eingehen und unsere Beziehungen nicht nur von Washington abhängig machen. In jedem Fall sind zuerst unsere Hausaufgaben zu erledigen. Dazu gehört, die EU strukturell und außenpolitisch stark zu machen, um mit gemeinsamer Stimme die Herausforderungen der Zukunft zu meistern. Nur dann können wir für die Vereinigten Staaten tatsächlich ein Freund und Partner auf Augenhöhe sein.

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