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Corona und Bildung: Chancen der Schülerinnen und Schüler auch durch Digitalisierung sichern

Durch die Corona-Krise drohen sich die Probleme bei der Bildungsarmut und der Ungleichheit der Bildungschancen zu verschärfen. Dies zeigte bereits der diesjährige INSM-Bildungsmonitor und forderte, für das aktuelle Schuljahr 2020/2021 nicht allein die Prioritäten auf die Sicherung des Präsenzunterrichts zu legen, sondern parallel auch die Weichen in Richtung eines Aufbruchs bei der Digitalisierung zu setzen. Beide Schwerpunkte sind im Herbst und bevorstehenden Winter besonders wichtig, um Bildungschancen einer ganzen Schülergeneration zu sichern.

Im Zuge der Corona-Krise kam es im Frühjahr 2020 zu Schulschließungen. Empirisch können die Effekte der Schulschließungen auf die Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler durch internationale Studien zu Lehrerstreiks abgeschätzt werden. Diese Studien zeigen Effekte längerer Schulunterbrechungen in der Grundschulzeit bei den Betroffenen auf deren Schulabschlüsse, die sich sogar noch im Alter von 30 bis 40 Jahren auswirken. Das durchschnittliche Arbeitseinkommen ist niedriger und die Gefahr von Arbeitslosigkeit größer.

Besonders stark sind die negativen Auswirkungen der Schulschließungen für Kinder aus bildungsfernen Haushalten und von Eltern mit geringeren Einkommen. Projektionsmodelle aus den USA auf die Corona-bedingten Schulschließungen finden besonders starke Einbrüche bei mathematischen Kompetenzen, die wiederum umso größer ausfallen, je jünger die Schülerinnen und Schüler sind. Eine Metastudie für die EU leitet aus der bestehenden Literatur zu Schulunterbrechungen vor der Corona-Krise zusammenfassend ab, dass eine Schulunterbrechung von zehn Wochen zu Lernverlusten von bis zu 23 Prozent der Standardabweichung der Testergebnisse führen dürfte – übersetzt auf die PISA-Studie wären dies etwa 23 Punkte. Damit würden die Verbesserungen seit dem PISA-Schock im Jahr 2000 vollends wieder verloren gehen.

Eine erste Untersuchung zu den Effekten der Schulschließungen auf in Leistungstests gemessene Kompetenzen während der Corona-Krise liegt inzwischen für Flandern in Belgien vor und zeigt einen Lernverlust von 0,19 Standardabweichungen in Mathematik. Der Fernunterricht konnte folglich die Effekte von Schulschließungen nicht adäquat kompensieren. Die Ausgangslage für digitalen Fernunterricht in Belgien war vor Beginn der Schulschließungen nach eigenen Auswertungen der PISA-Daten vergleichbar oder sogar günstiger als in Deutschland.

Überträgt man die ersten empirischen Untersuchungen zu den Auswirkungen der Corona-bedingten Schulschließungen auf die Kompetenzen, so könnte ohne kompensierende Maßnahmen in den Schulen ein Rückgang bei den PISA-Kompetenzen von etwa 19 Punkten resultieren. Dies würde langfristig die Fachkräftesicherung in den akademischen Berufen und in Facharbeiterberufen belasten. Da gerade Kinder aus bildungsfernen Haushalten und Kinder mit bereits vorhandenen Lernschwierigkeiten besonders durch die Schulschließungen belastet wurden, dürfte es gravierende Probleme bei der Sicherung der Ausbildungsreife der Schulabsolventen geben.

Im November versucht die Bundesregierung durch einen sogenannten Wellenbrecher-Lockdown die stark steigenden Infektionszahlen zu verringern. Bis zum 20. November gelang es zwar, das starke Wachstum der Infektionszahlen zu brechen, ein Rückgang konnte jedoch noch nicht erreicht werden. Bereits am 16.11.2020 diskutierte die Bundesregierung mit den Ländern über weiterführende Maßnahmen an Schulen wie Maskenpflicht und einen Wechselunterricht, um die Infektionsrisiken an Schulen zu verringern. Für konkrete Pläne und Umsetzungen vertagte man sich um eine Woche.

Die Bildungspolitik sollte zwei Dinge prioritär anstoßen. Zum einen sollte für Kitas und Schulen alles unternommen werden, damit die Einrichtungen offen bleiben können. Mögliche Maßnahmen hierzu sind moderne Lüftungstechnik in Klassenräumen, regelmäßig durchzuführende Schnelltests von Schülerinnen und Schülern und Lehrkräften sowie eine Ausdehnung der Maskenpflicht. Bisherige Untersuchungen deuten darauf hin, dass die kleineren Kinder in Kitas und Grundschulen für die Ausbreitung der Epidemie weniger bedeutsam sein dürften als ältere Schülerinnen und Schüler, die ähnliche Infektionszahlen aufweisen wie Erwachsene. Ferner leiden kleinere Kinder in ihren Bildungschancen stärker unter fehlender Präsenz als größere Kinder. Daher sollte auch bei hoher genereller Inzidenz in Kitas und Grundschulen an Präsenzunterricht festgehalten werden.   

Parallel dazu sollte die Digitalisierung weiter vorangebracht werden. Die Digitalisierung kann langfristig helfen, die Qualität der Schulen sogar im Regelbetrieb zu erhöhen. Kurzfristig spielt die Digitalisierung für den Fall des Fernunterrichts und für die Umsetzbarkeit der hybriden Lehrformate in weiterführenden Schulen eine zentrale Rolle. Positiv: Die Corona-Krise hat zu einer verstärkten Nutzung von digitalen Lernplattformen geführt und die Digitalisierung der Schulen bzw. des Unterrichts beschleunigt. Dabei standen und stehen der Transformation aber größere Hemmnisse bei Hardware, Software und Qualifikationen der Lehrkräfte entgegen. Seit diesem Sommer werden die Hemmnisse in ersten Schritten durch die Politik abgebaut. Leihgeräte für Schülerinnen und Schüler sowie Dienstgeräte für Lehrkräfte wurden zur Verfügung gestellt. WLAN an Schulen wird ausgebaut. Eine bundesweite Bildungsplattform mit hochwertigen digitalen Lehrinhalten soll zeitnah aufgebaut werden.

Wie im Bildungsmonitor bereits gefordert, ist es wichtig, 20.000 zusätzliche IT-Stellen an den Schulen für Administration und zur Unterstützung der Lehrkräfte zu schaffen, die Lehrkräfte für den Einsatz digitaler Technologien im Unterricht und für das Begleiten der Schülerinnen und Schüler im Fernunterricht zu qualifizieren. Die informations- und computerbezogene Bildung sollte in die Lehrkräfteausbildung integriert werden und zusätzliche Fort- und Weiterbildungsangebote für digitale Lernformate sollen geschaffen werden. Ferner sollte eine intelligente Lernsoftware entwickelt werden, die Schülerinnen und Schüler motiviert und Lerndefizite beheben kann. Im Gesamtprozess ist es wichtig, Vergleichsarbeiten an Schulen so weiterzuentwickeln, dass empirisch Effekte der Digitalisierung abgebildet werden können und ein besseres Feedback zur Weiterentwicklung des digital gestützten Unterrichts ermöglicht wird.

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