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Was ist grüne Marktwirtschaft?

Auch ohne dass man „ökologisch“ dazuschreibt, verlangt die Idee der Sozialen Marktwirtschaft schon immer, dass gesellschaftliche Kosten des individuellen Wirtschaftens verursachungsgerecht zugeordnet werden müssen. Eine Kritik am neuen Grundsatzprogramm der Grünen.

Gerd Maas

Autor

Gerd Maas

ist Unternehmer im oberbayerischen Landkreis Rosenheim, Publizist, Leiter Wirtschaftsethik-Kommission der Familienunternehmer e.V. und bloggt regelmäßig unter Maashaltig.

„In die Zukunft wirtschaften“ steht über Kapitel 2 des neuen Grundsatzprogramms von Bündnis 90/Die Grünen. Das lässt hoffen, denn da schwingt doch mit, dass die Zukunft nicht herbeidirigiert werden kann, sondern erwirtschaftet werden muss. Und dass „Wirtschaft“ auch Teil der Lösung und nicht allein des Problems ist. Wie zukunftsträchtig sind die grünen Ideen zur Wirtschaft aber wirklich?

Systematisch, wenn auch mit denkbar knapper Delegiertenmehrheit, konnte sich die Marktwirtschaft auf der Zielgeraden noch ins Programm retten – nicht wenigen hätte es genügt, nur von Wirtschaft zu sprechen und damit konstituierende Merkmale des Marktes wie Eigentum, Wettbewerb und Vertragsfreiheit infrage zu stellen. Der Überbegriff jedenfalls hat diesen Anfechtungen standgehalten: „Sozial-Ökologische Marktwirtschaft“.

Schon die Großbuchstaben des Doppeladjektivs zeugen allerdings vom Anspruch einer Definition jenseits der vorherrschenden Sozialen Marktwirtschaft, die bereits im ersten Satz der Ausführungen diskreditiert wird: „Die Wirtschaft dient den Menschen und dem Gemeinwohl, nicht andersherum.“ Das unterstellt ja recht unmittelbar, dass unser bisheriges wirtschaftspolitisches Leitmodell auf etwas anderes als Gemeinwohl abzielt. Erschreckend wie mit einem Satz darüber hinweggegangen wird, dass alles liberale wirtschaftliche Streben spätestens seit Adam Smith erfolgreich nichts anderes als den Menschen im Blick hatte, den Wohlstand der Nationen und für alle.

Wer den Wettbewerb als Mittel zum Zweck abtut, hat entweder wenig Gefühl für die enorme Komplexität unseres Zusammenlebens oder hat ein geheimes Wissen in petto, was die Welt im Innersten zusammenhält.

Allein die Wortschöpfung „Sozial-Ökologisch“ ist schon irgendwie auch Etikettenschwindel, denn wie soll denn das Soziale – das auf das menschliche Gemeinwesen gerichtete – denkbar sein ohne die Wechselbeziehungen mit der Umwelt? So war auch für Vordenker unserer Wirtschaftsordnung der Nachkriegszeit wie Walter Eucken klar, dass zur sozialen Regulierung der Marktwirtschaft die Internalisierung negativer externer Effekte unerlässlich ist. Auch ohne dass man „ökologisch“ dazuschreibt, verlangt die Idee der Sozialen Marktwirtschaft schon immer, dass gesellschaftliche Kosten des individuellen Wirtschaftens verursachungsgerecht zugeordnet werden müssen.

Und das geschieht ja auch – zahlreiche Ökosteuern und Umweltauflagen sowie der Emissionsrechtehandel zeugen davon. Man kann fraglos darüber streiten, ob das alles schon ausreichend und zielgenau eingerichtet ist. Aber das ist keine Systemfrage. Deswegen verwundert, dass bereits im dritten Satz der grünen Wirtschaftsprogrammatik steht: „Dazu ist es notwendig, grundlegend anders zu wirtschaften.“ Und en passant werden dann auch gleich wesentliche Grundfesten der Marktwirtschaft abgeräumt: Man fordert Gemeinwohlorientierung, die „Konzepte wie Wachstum, Effizienz, Wettbewerb und Innovation als Mittel zum Zweck betrachtet“.

Mittel sind austauschbar. Wenn man aber den eigentlichen Rahmen zum bloßen Mittel degradiert, muss man auch sagen, wie die Wirtschaft dann verfasst sein soll. Und im Speziellen muss man sich dazu äußern, wie man ohne Innovation und Effizienz des Ressourceneinsatzes Zukunft schaffen will. Und woher die Produkte und Produktionsverfahren für den geforderten Wandel ohne den Wettbewerb als Entdeckungsverfahren kommen sollen.

Wer den Wettbewerb als Mittel zum Zweck abtut, hat entweder wenig Gefühl für die enorme Komplexität unseres Zusammenlebens oder hat ein geheimes Wissen in petto, was die Welt im Innersten zusammenhält. Im letzteren Fall wäre jetzt ein guter Zeitpunkt das zu offenbaren. Wenn nicht Wettbewerb, nach welcher Ordnung sollen dann die Angebote zur Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse organisiert werden?

Wenn man das Kind mit dem Bade ausschütten will, sollte man eine neue Wanne bereitstehen haben.

Das Programm behauptet zwar einfach mal so, ein „Großteil menschlicher Wirtschaftsbeziehungen erfolgt jenseits von Märkten“, nennt aber keine konstituierenden Ordnungsmerkmale, die man aus diesem angeblichen Großteil für ein „anderes“ Wirtschaftssystem ableiten könnte. Wie sollen die Grundsatzartikel einer Wirtschaftsverfassung lauten, die jenseits von Markt und Wettbewerb Nachfrage und Angebot ohne Zwang ausgleichen? Welche Systematik soll die Verteilung von Ressourcen auf Produkte und die Produkte auf Menschen steuern, sodass im Rahmen der verfügbaren Mittel möglichst großer und möglichst zunehmender Nutzen friedlich entsteht? (Und natürlich ist Nutzen nicht nur materielle Ausstattung, sondern gleichermaßen Gesundheit, Bildung, gesellschaftliche Teilhabe, Sicherheit und Freiheit – aber auch das ist müßig, es extra zu betonen, wie es im Programm geschieht: Niemand hat je Wirtschaft allein um des materiellen Wohlstands willen betrieben und Orientierungen am BIP waren nie Ziel, sondern immer Indikator.)

Solidarisches Wirtschaften, Genossenschaften, Sozialunternehmertum, Gemeinwohlbilanzierung und vieles mehr sind ehrbare Initiativen und schaffen wohl oft auch Bewusstsein für moralische Grenzen einer überschäumenden Konsumgesellschaft. Aber glaubt irgendjemand tatsächlich, dass mit solchen Organisationsformen jemals aus einem Telefon, einem Fotoapparat, einem Filofax, einem Fernsehapparat, einem Walkman, einem Briefkasten und was weiß ich noch alles zusammen genommen ein Smartphone entstanden wäre?

Natürlich darf man fragen, ob die Welt wirklich ein Smartphone und alles darin Enthaltene braucht. Aber man darf auch dagegen fragen, wer sich anmaßen will zu bestimmen, was freie Individuen glauben zu brauchen oder nicht. Und man muss sich natürlich auch fragen, woher die Ideen für die Produkte kommen sollen, von denen man in seiner Anmaßung dann doch meint, dass sie gut für die Welt wären.

Der Weg zur Planwirtschaft

Damit jeder einmal ausprobieren kann zu produzieren, was er meint, dass gut für die Welt sei, egal ob es jemand haben möchte oder nicht, „dürfen Unternehmer*innen nicht gezwungen werden, sich zwischen einem wirtschaftlich erfolgreichen Weg oder einer sozialen und ökologischen Ausrichtung des Unternehmens zu entscheiden“. Nicht mehr an Kosten und Leistung sollen wirtschaftliche Aktivitäten also gemessen werden, sondern am gesamtgesellschaftlichen Wohlstand, mit „verbindlichen Indikatoren, die im Kontext einer am Gemeinwohl orientierten Bilanzierung die sozialen, ökologischen und gesellschaftlichen Auswirkungen messen“.

Adam Smith hat uns in seiner Begründung der arbeitsteiligen Marktwirtschaft eindrücklich darauf hingewiesen, dass wir als Menschen nicht allein überlebensfähig sind. Wir sind lebenslang auf Hilfe angewiesen. Wenn wir dabei nicht allein auf das Wohlwollen der nächsten Mitmenschen (oder eines Gemeinwohlindikatoren definierenden Staates) angewiesen sein wollen – frei sein wollen –, dann entgelten wir empfangene Leistungen. Die simple Moral des Tauschs – Leistung und Gegenleistung –, aus der jeder seinen eigenen Nutzen zieht und gerade deswegen den anderen seine Hilfe anbietet. „Niemand möchte weitgehend vom Wohlwollen seiner Mitmenschen abhängen“, schreibt Smith. Schon gar nicht möchte man als Bürger einer freiheitlichen Demokratie weitgehend vom Wohlwollen seiner Regierung abhängig sein. Genau das passiert aber unweigerlich, wenn die in einem Wettbewerbsrahmen frei zustande kommende Bilanz von Leistung und Gegenleistung von einer staatlich definierten Gemeinwohlbilanzierung ersetzt wird. Erfolgreich ist dann, was dem definierten Gemeinwohl zugutekommt. Der Staat definiert, welche Produkte gut sind und welche nicht. Das ist Planwirtschaft. Die wiederum hat bisher keinen praktischen Beweis erbringen können, soziale oder ökologische Herausforderungen besser bewältigen zu können. Im Gegenteil.

Der Wirtschaftsteil des neuen grünen Grundsatzprogramms mäandert also zwischen der Marktwirtschaft in der Überschrift und dem Schleifen seiner Grundfesten schon im ersten Absatz, zwischen durchaus Lob für Effizienz-/Innovationsfähigkeit des Wettbewerbs und dem gleichzeitigen Kleinreden desselben als Mittel zum Zweck, zwischen klassischer Wettbewerbsordnung wie gegen marktbeherrschende Stellungen und diffusem Anders-Wirtschaften und vielen Schlingen mehr. Nun, so ein Grundsatzprogramm ist ja stets auch ein schwieriges Kurshalten zwischen den unterschiedlichsten Strömungen einer Partei. In diesem Sinne darf man es nicht als Regierungsprogramm missdeuten. Aber man kann eine Tendenz ablesen: Viele Grüne – ganz ausdrücklich nicht alle – würden die Marktwirtschaft gerne durch ein anderes System ablösen. Aber sie haben kein ganzheitliches Alternativkonzept. Nur Flickwerk, das mit wohlmeinenden Einschränkungen aber die marktwirtschaftlichen Mechanismen außer Kraft setzt und damit sehr wahrscheinlich eher mehr als weniger sozialen und ökologischen Schaden anrichtet.

Solange aber im Programm immer noch Marktwirtschaft darübersteht und allerorts aufblitzt, können grüne Politiker für einen marktwirtschaftlichen Zukunftsweg gewonnen werden, der darauf setzt, dass im Wettbewerb der Ideen aus weniger Ressourcen und in lebenswerter Umwelt weltweit mehr Wohlstand entsteht.

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