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Weekender-Themen: Armut, Industrie, EZB, Mindestlohn, Mietpreisbremse

Jedes Wochenende empfiehlt der Weekender fünf Vertiefungen zu wirtschaftspolitisch interessanten wie relevanten Themen der Woche. Heute: Arm oder reich? Industrialisierung oder Desindustrialisierung? Tauben oder Falken? Job oder joblos? Wohnen oder suchen?

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Sind die Armen arm, weil die Reichen reich sind? Die Nichtregierungsorganisation Oxfam bejaht regelmäßig diese Frage, so auch jüngst bei der Veröffentlichung ihres Jahresreports.

Zur gängigen ökonomischen Erkenntnis passt diese Antwort eher nicht. Ja, es gibt immer noch viel zu viele Menschen, die am globalen Aufschwung nicht teilnehmen können. Das liegt aber in der Regel nicht an positiven wirtschaftlichen Entwicklungen in anderen Ländern. Bildung, Freiheit, Bekämpfung von Korruption, ein funktionierender Rechtsstaat – das sind vielmehr die entscheidenden Grundvoraussetzungen für Wohlstand.

Der Thinktank Agenda Austria setzt sich in seinem neuesten Policy Paper (hier als PDF, hier auf der Website) unter dem Titel „Oxfam und das falsche Spiel mit der Armut” mit dem Jahresreport der NGO auseinander.

Darin unter anderem interessant: Entgegen der vermutlich weit verbreiteten Annahme nimmt weltweit die Ungleichheit beim Vermögen ab. „Entfielen im Jahr 2000 noch 88,5 Prozent des Gesamtvermögens auf die reichsten zehn Prozent der Weltbevölkerung, waren es 2019 knapp 81,7 Prozent”, heißt es bei Agenda Austria.   

🔖 Agenda Austria: Oxfam und das falsche Spiel mit der Armut


Wie entstehen eigentlich Fortschritt und Wachstum in der Praxis, wenn die grundsätzlichen Bedingungen dafür (siehe oben) erfüllt sind? Indem Menschen nach dem Besseren suchen! Dies geschieht unter anderem durch schnelle Anpassung an sich ändernde Bedingungen. Genau das findet in der aktuellen Pandemie in besonderem Maße statt.

„In meinem aktuellen Forschungsprojekt kann man sehen, dass die Pandemie eine zunehmende Anzahl von Unternehmen in reichen Ländern dazu veranlasst hat, ihre Abhängigkeit von globalen Lieferketten zu verringern und mehr in Roboter zu Hause zu investieren“, schreibt Dalia Marin, Professorin an der TUM School of Management der Technischen Universität München, in einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung.

Gut möglich, dass der bisweilen vernehmbare Abgesang auf den Industriestandort Deutschland nicht nur verfrüht, sondern schlicht falsch war.  

🔖 Dalia Marin: Produktiver dank Corona?


Taube oder Falke?Frank Elderson, der im Dezember Nachfolger von Yves Mersch im EZB-Direktorium wurde, ist auf lange Zeit die letzte Besetzung in der wichtigsten Institution der Europäischen Zentralbank. Die kommenden sechs Jahre wird in diesem Gremium kein Posten frei.

Damit dürfte sich die geldpolitische Grundhaltung der EZB in der nächsten Zeit wenig ändern. Aber worin besteht die eigentlich? Michael Schubert, Senior Economist bei der Commerzbank, hat auf dem Blog  „Wirtschaftliche Freiheit“ das Notenbank-Gremium in Tauben und Falken eingeteilt. Als Tauben werden Geldpolitiker bezeichnet, die tendenziell einer expansiveren Geldpolitik nicht abgeneigt sind, für Falken kommt nach dem Ziel einer stabilen Währung lange nichts.

Nach Schuberts Rechnung stehen im EZB-Rat 16 Tauben nur noch 5 Falken gegenüber. Den Niederländer Elederson schätzt Schubert “als weniger falkenhaft ein als seinen Vorgänger.”

Was Elderson von der sogenannten „grünen Geldpolitik“ hält, hat er diese Woche schon einmal kundgetan. Ziemlich viel. Gleich auf verschiedenen Ebenen würde sich eine Geldpolitik, die Nachhaltigkeit und Klimapolitik berücksichtigt, aus dem Mandat der EZB ableiten lassen, schreibt Elderson. Genauer gesagt seien es deren drei:  

  • Erstens könnte sich der Klimawandel auf die Inflation auswirken (etwa wenn Missernten zu Preissteigerungen führen),
  • zweitens verlange das Mandat eine Unterstützung der Wirtschaftspolitik (wovon die Klimapolitik ein Teil sei),
  • drittens sei in den Maastricht-Verträgen festgelegt, dass „die Erfordernisse des Umweltschutzes bei der Festlegung und Durchführung aller Unionspolitiken und -maßnahmen einbezogen werden müssen (was auch die EZB betreffe, die schließlich Teil der Unionspolitik sei).

Möglicherweise ist Elderson noch weniger Falke, als Michael Schubert glaubt.    

🔖 Michael Schubert: Falken im Taubenschlag immer einsamer

🔖 Frank Elderson: Eine grünere Geldpolitik


Soll man es mit den ganzen Mindestlohn-Debatten nicht mal gut sein lassen? fragt Patrick Bernau in „Fazit – das Wirtschaftsblog“. Der FAZ-Redakteur meint das freilich rhetorisch. Allein weil der Mindestlohn auch den anstehenden Bundestagswahlkampf mitbestimmen wird. Schließlich fordert SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz die Anhebung auf 12 Euro. 

Aus der Wissenschaft kamen lange widersprüchliche Signale, was die Auswirkungen von Mindestlöhnen betrifft. Zurzeit neigt sich das Erkenntnis-Pendel in die Richtung von doch deutlich negativen Beschäftigungseffekten.

Ein Missverständnis in der vergangenen Debatte könnte gewesen sein, dass der Mindestlohn nicht zwingend viele Arbeitsplätze vernichtet, aber den Aufbau von neuen verhindert. Dieser Effekt fällt in der Praxis deutlich weniger auf. Wer keinen Job angeboten bekommt, führt das nicht zwingend auf einen vorhandenen Mindestlohn zurück; wer aufgrund von Mindestlohnerhöhungen seinen Job verliert schon eher.

Als bei der Einführung des Mindestlohns in Deutschland 2015 der damalige ifo-Präsident Hans-Werner Sinn vorhergesagt hatte, dass der Mindestlohn 900.000 Stellen gefährde, hatte er ja nicht gemeint, dass nach Einführung des Mindestlohns sofort 900.000 Menschen arbeitslos werden würden. Was er gemeint hatte: dass es ohne den Mindestlohn auf Dauer 900.000 Arbeitsplätze mehr geben könnte. So viel Differenzierung ist in der bisweilen erhitzten Debatte um Mindestlöhne vielleicht zu viel verlangt.

🔖 Patrick Bernau: Mehr Mindestlohn – mehr Arbeitslose


Was passiert, wenn der Staat als Wohltäter auftreten will und Preissteigerungen durch Preisobergrenzen verhindert? Genau, das Angebot bricht ein. Das war nach der Einführung des Berliner Mietendeckels zu erwarten – und so ist es jetzt auch gekommen. Das Angebot an neu inserierten Wohnungen, die unter den Mietendeckel fallen, ist binnen eines Jahres um 30 Prozent eingebrochen. So hilft der Mietendeckel jenen, die eine Wohnung haben, auf Kosten derer, die eine Wohnung suchen. Wobei: Auch Erstere kann der Mietendeckel treffen. Nämlich wenn Miet- in Eigentumswohnungen umgewandelt werden. Ein starkes Indiz, dass genau das passiert: Das Angebot an neu inserierten Eigentumswohnungen hat sich in Berlin von Anfang 2020 bis Anfang 2021 um 19 Prozent erhöht.   

 🔖 Niklas Hoyer: Hauen und Stechen um Wohnungen in Berlin


Gute Kommentare, interessante Hintergründe – jeden Freitag präsentieren wir (Link zum Archiv) fünf Vertiefungen zu den wirtschaftspolitisch interessantesten und relevantesten Themen der Woche.


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