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Gesucht: Aufstiegsrepublik Deutschland

Dass Leistung sich lohnen sollte, war lange ein Versprechen der Nachkriegszeit und des Wiederaufbaus. Das ist heute anders. Die 16 Autoren vereint der Gedanke, dass sich die Chancen zum Aufstieg mittlerweile erheblich verringert haben. Auch durch eine verfehlte Bildungs- und Sozialpolitik. Aufstiegschancen sind heute immer noch stark vom Elternhaus abhängig. Dieses Buch zeigt die Perspektiven des Aufstiegs – vom Landwirt über den Start-up-Gründer bis zum Professor und Fußballer.     

In den 1960er-Jahren entstand in Deutschland die Idee, dass gesellschaftlicher Aufstieg durch individuelle Leistung für jeden möglich sein sollte. Der Schlüssel für den Wohlstand lautete Bildung. Doch die Bundesrepublik scheint heute eher „wie der Obrigkeitsstaat des frühen 19. Jahrhunderts zu wirken: Er verhindert die Überwindung der Armut, zementiert sie und behindert den gesellschaftlichen und ökonomischen Aufstieg“, erklärt Frank Schäffler. Mit Bernd Reuther hat er nun das Buch „Aufstieg – 16 Vorschläge für die Zukunft Deutschlands“ herausgegeben.

Schäffler fordert, das Aufstiegsversprechen von einst durch eine intelligentere und gerechtere Abgabenbelastung zu erneuern. Wie das zukünftig gehen soll? Darüber machen sich in seinem Buch weitere 15 Autorinnen und Autoren in Einzelbeiträgen ihre Gedanken.

„Gering- und Normalverdiener haben heute faktisch keine Chance voranzukommen. Sie sind im Abgabensumpf gefangen“, schreibt Schäffler. Er fragt: „Wie soll sich eine Kassiererin im Supermarkt, ein Auszubildender oder ein Industriearbeiter jemals finanziell verbessern, wenn am Ende des Monats nichts übrig bleibt und man wieder auf die Umverteilungsapparate des Staates angewiesen ist, die einem huldvoll die ein oder andere Wohltat zuweisen?“ Es gelte daher, den „Neofeudalismus“ zu überwinden.

Aufstiegsfreundlichere Republik

Das neue, „aufstiegsfreundliche“ Deutschland hat verschiedene Gesichter: So wie Sarna Röser, Familienunternehmerin der gleichnamigen Zementrohr- und Betonwerke, mehr Digitalisierung, mehr Generationengerechtigkeit und mehr Klimasensibilisierung fordert, erhofft sich der Bundestagsabgeordnete Thomas Sattelberger ein „Wirtschaftswunder 2.0“. Sein politischer Kollege Karsten Klein verlangt vor allem für Gründer mehr Chancen für den Vermögensaufbau durch weniger Abgaben, Steuern und Bürokratie.

Justus Haucap, Direktor des Instituts für Wettbewerbsökonomie (DICE) an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf, entwirft einen 10-Punkte-Plan für die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft. Darunter fordert er, die Unternehmensbesteuerung so zu reformieren, dass die Bundesrepublik im internationalen Wettbewerb nicht weiter zurückfällt. Zudem erwartet er den Aufbau einer tatsächlich modernen digitalen Infrastruktur. Zudem wünscht er sich ernsthafte Investitionen in E-Government und statt drastischer Regulierung einen liberalen Ordnungsrahmen für Unternehmen aus der Sharing Economy.

Mehr Mut zum Scheitern

Der IT-Experte und Bundestagsabgeordnete Alexander Müller beklagt den gesellschaftlichen Stimmungswandel in der Republik: Statt Selbstständigkeit, Freiberuflichkeit und Unternehmerdasein stelle heute für viele Schulabsolventen der Staatsdienst das sicherste Terrain für eine Berufskarriere dar. Um der jungen Generation wieder mehr Mut zu machen, bräuchten sie viel stärker strukturelle und finanzielle Möglichkeiten sowie genügend Zeit für „Mondfahr-Projekte“. Nur so könne es gelingen, den amerikanischen Hightech-Giganten zukünftig etwas entgegenzusetzen.

Doch auch Soft Skills sind gefragt. Soziale Kompetenz erlerne man, meint der ehemalige Bundesliga-Fußballer Ingo Anderbrügge, zu keiner Zeit besser als in früher Jugend, zum Beispiel auf dem Bolzplatz. Dort würden Werte wie „Fleiß“, „Aufstehen nach Niederlagen“ und „positive Grundeinstellungen“ ideal vermittelt. Bernd Reuther, Mitherausgeber des Buches, bemängelt die fehlenden Aufstiegschancen für Menschen im ländlichen Raum. Er unterstützt die Idee einer Sonderwirtschaftszone, wie sie auch schon in deutschen Grenzregionen funktioniert.

Weniger Skeptizismus, mehr Talentscouting

Der Unternehmensberater und Bundestagsabgeordnete Oliver Luksic sehnt sich nach einem weniger moralisierenden und alarmistischen Diskurs im Land und fordert statt Empörung „Entpörung“. Der vielfache Existenzgründer Oliver Flaskämper ist überzeugt, dass Deutschland mehr Vertrauen in eine experimentierfreudige Fehlerkultur gut zu Gesicht stünde. Auch hält er viel von der Kraft von „Wildcards“ für positiv „Verrückte“ – ähnlich wie bei „Eddie the Eagle“, dessen sportlicher Erfolg zwar zweifelhaft war, dessen Taten aber bis heute als vorbildlich für entschlossenes Handeln gelten. Die geborene Landwirtin und Bundestagsabgeordnete Carina Konrad setzt auf die oft unterschätzten Aufstiegschancen, die der Landbau bietet, und sieht vor allem im Smart Farming die größten Potenziale.

Ganz gleich, um welche Branche es sich handelt – der Schlüssel für Aufstiegsmöglichkeiten und Chancengerechtigkeit bleibt die Bildung. Um die Leistungsspitze zu stärken, kann sich der Bundestagsabgeordnete Johannes Vogel nicht nur Talentscouts und -schulen vorstellen, sondern will auch die Ausbildungsberufe – ähnlich wie beim Studium – mit relevanten Austauschprogrammen auf EU-Ebene fördern. Seine Kollegin Daniela Kluckert schließlich sieht Deutschland als „Mobilitätsweltmeister“ in der Pflicht, seine digitalen und ordnungspolitischen Strukturen so weit zu verbessern, dass der nächste Elon Musk nicht aus den Vereinigten Staaten, sondern aus einem der 16 Bundesländer kommen kann.

Fazit

Das Buch sprudelt über vor Ideen. Wenn Roman Herzogs viel zitierte Forderung nach einem Ruck nicht so abgegriffen wäre, könnte sie für die 16 Autoren gelten. In jedem Fall ist das Buch ein starker Impuls. Es wäre allerdings im Sinne eines vielfältigen Inputs erstrebenswert gewesen, auch andere Stimmen als fast nur liberale zu hören – vielleicht ja eine Anregung zu einem weiteren Werk.

Frank Schäffler / Bernd Reuther (HG): Aufstieg – 16 Vorschläge für die Zukunft Deutschlands, Finanzbuch-Verlag, München 2020

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