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Was meint Solidarität, SPD?

In einer „Gesellschaft des Respekts“ muss Solidarität erweitert werden, fordert die SPD in ihrem „Zukunftsprogramm“ für die Bundestagswahl 2021. Mächtige Worte. Geht es dabei aber wirklich um große Werte oder nur um Reklame?

Gerd Maas

Autor

Gerd Maas

ist Unternehmer im oberbayerischen Landkreis Rosenheim, Publizist, Leiter Wirtschaftsethik-Kommission der Familienunternehmer e.V. und bloggt regelmäßig unter Maashaltig.

Solidarität ist der Ausdruck unseres menschlichen Selbstverständnisses als Sozialwesen. Ein Leben im Vertrauen auf reziproken Altruismus. Die Fähigkeit von Geben und Nehmen in sozialen Gefügen ist der entscheidende Faktor unseres evolutionären Vorsprungs. Die Notwendigkeit, nicht nur sich selbst Nutzen zu verschaffen, sondern darüber auch immer das Wohlergehen des Gemeinwesens im Auge zu behalten, macht uns als Mitglied von Familien und Kommunen aus und prägt auch jede staatliche und weitergehende Ordnungsethik.

Schon für den Begründer der Nationalökonomie und Moralphilosophen Adam Smith war das Mitempfinden mit den Nächsten nicht nur religiöse, sondern menschliche Selbstverständlichkeit. Die Denker der Sozialen Marktwirtschaft haben genau das dann ganz konkret in die Wirtschaftsordnung eingebaut, freilich unter der Prämisse, dass zunächst einmal jedem selbst ein Höchstmaß an tatkräftiger eigener Initiative und Selbstversorgung abverlangt wird, damit nicht „jeder die Hand in der Tasche des anderen hat“ (Ludwig Erhard: Wohlstand für alle, 1957). Schließlich ist die Nation von „Kraft, Leistung, Initiative und anderen besten menschlichen Werten“ der Bürger abhängig.

Kein Staat kann irgendetwas allein mit bloßem Wollen erscheinen lassen. Zudem ist der Staat abstrakt, real sind nur wir alle selbst, die wir den Staat ausmachen. Der Staat sind wir, also muss alles, was ist, von uns geschaffen werden.

Solidarität ist Bürgerpflicht

Wer sich angesichts schicksalhafter Wechselfälle des Lebens mit dem Vertrauen auf eine solidarische Absicherung zusammenschließt, geht unmittelbar eine doppelte Verantwortung ein: das beste Bestreben, zum einen für sich selbst zu sorgen und darüber hinaus Fonds zu schaffen, um Bedürftige teilhaben zu lassen. Wer der Gemeinschaft nicht auf der Tasche liegt, handelt minimal-solidarisch. Wer mehr schafft, real-solidarisch. (Am Rande zur Einordnung der gegebenen Solidarverteilung in Deutschland: Nur gut die Hälfte der Bevölkerung erwirtschaftet tatsächlich einen positiven Saldo aus geleisteten Steuern/Abgaben einerseits und empfangenen monetären staatlichen Transferleistungen andererseits. Link)

Mit dem Bekenntnis zur Solidargemeinschaft eines demokratischen Staates gewinnt man die gemeinsame Für- und Vorsorge und verpflichtet sich zugleich dazu. Die eigene Solidarfähigkeit ist damit ein moralischer Imperativ. Freilich jeder im Rahmen seiner Möglichkeiten und in einem klugen Gemeinwesen sicherlich auch mit öffentlicher Unterstützung zur individuellen Befähigung, diese Verpflichtung möglichst gut tragen zu können. Davon unbenommen bleibt aber die Grundvoraussetzung: Das Gemeinwesen hat einen Anspruch an jeden Einzelnen, und diesem Anspruch gerecht zu werden ist eine Selbstverpflichtung eines jeden Einzelnen. Die Solidargemeinschaft ist eine Schicksalsgemeinschaft.

Erst wenn die eigene Verantwortung versagt, greift entsprechend die Rückversicherung des Staates, das heißt aller Mitbürger. Wenn man es aus dieser Perspektive betrachtet – wer sich bei dem Zusammenschluss zu einer Gemeinschaft eigentlich wem wie verpflichtet hat –, erscheinen so manche sozialpolitischen Ideen dann doch eher absonderlich.

„Solidarität erweitern heißt, nicht Rechte zu erweitern, sondern Pflichten.“

So will die SPD mit ihrem aktuellen „Zukunftsprogramm“ Hartz IV durch ein Bürgergeld ersetzen, bei dem es schon noch irgendwie „Mitwirkungspflichten“, aber vor allem weniger Sanktionen bei mangelhafter Mitwirkung geben soll. Vermögen und Wohnungsgröße des Antragstellers sollen zudem zwei Jahre unberücksichtigt bleiben. Die Leistungen des Sozialstaates werden als Anspruch – „soziale Rechte“ – verstanden.

Wie das bei Wahlprogrammen allseits üblich ist, bleiben die Formulierungen für viele Interpretationen offen. Man will hinterher immer sagen können, dass man es konkret so oder so gar nicht gemeint hat. Der ganze Duktus spiegelt aber den falschen Geist wider. Wenn „Eingliederungsvereinbarungen […] durch eine gemeinsame und auf Augenhöhe erarbeitete Teilhabevereinbarung ersetzt“ werden sollen, drängt sich der Widerspruch aus den obigen Gedanken auf: Nein! Keine „Teilhabevereinbarung“, sondern eine Teilnehmevereinbarung ist erforderlich. Wenn nicht eine Teilnehmeverpflichtung. Die größtmögliche Anstrengung des Einzelnen, eine Inanspruchnahme von Solidarität zu minimieren, ist Conditio sine qua non einer Solidargemeinschaft. Das „soziale Recht“ ist ein Recht des Gemeinwesens.

Jede Verweigerung von Mitwirkung – und zwar mit maximaler Leistungsbereitschaft und allen verfügbaren eigenen Mitteln – muss von der Gesellschaft unbedingt und unmittelbar sanktioniert werden, weil wir uns sonst der eigenen Grundlagen berauben. Aus der Selbstverpflichtung in einer Solidargemeinschaft ergibt sich die Berechtigung auf solidarische Hilfe, richtig, aber ausschließlich unter der Bedingung des größtmöglichen eigenen Zutuns.

Tatsächlich geht die moralische Verpflichtung weiter. Wen das Leben dazu zwingt, zeitweise auf die Solidarität des Staates, also der Mitmenschen, angewiesen zu sein, der sollte zutiefst bemüht sein, früher oder später die erhaltenen Leistungen wieder zu erstatten. Weil dadurch die Solidarfähigkeit des Gemeinwesens gestärkt wird und anderen bei Schicksalsschlägen, wie man sie selbst erfahren musste, geholfen werden kann. Soziale Leistungen sind also kein Anspruchsrecht, sondern eine Verpflichtung für Geber und Nehmer.

Wenn jedoch über das sozialpolitisch geschürte Anspruchsdenken an einen abstrakten Staat und seine Bürokratie dann auch noch die Wahrnehmung schwindet, dass nichtsdestoweniger dahinter immer noch alle Staatsbürger als Selbstverpflichter und Leistungserbringer stehen, droht eine fatale Abwärtsspirale. Jede staatliche Versicherung nimmt dem Einzelnen die Notwendigkeit, dafür selbst Sorge zu tragen, unabhängig davon, ob er es könnte oder nicht. Warum sollte man sich für etwas besonders anstrengen, was ohnehin obligatorisch ist und damit auch gar nicht mehr als Anstrengungsnotwendigkeit bemerkt wird? Nachdem alle öffentliche Absicherung aber erst durch allgemeine Anstrengungen möglich wurde und ihrer ständig weiter bedarf, beißt sich bald die Schlange in den Schwanz und beginnt sich selbst zu verschlingen.

Alles in allem: Solidarität erweitern heißt, nicht Rechte zu erweitern, sondern Pflichten. „Respekt für alle“, wie es die SPD plakativ fordert, ist nicht solidarisch. In der Solidargemeinschaft endet der Respekt bei Respektlosigkeit.

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