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Warum die steuerpolitische Debatte im Wahlkampf auf einem Auge blind ist

Wer Steuerfragen auf Gerechtigkeitsfragen reduziert, sägt an dem Ast, auf dem wir alle sitzen - nämlich nachhaltigen Steuereinnahmen. Die Vorstellung, Deutschland könne mit breiten Steuererhöhungen mehr Gleichheit durchsetzen, ohne dafür auch nur den geringsten Preis zu bezahlen, ist falsch. - Eine Aufklärung über Zielkonflikte in der Steuerpolitik.

Die Steuerpolitik ist zu einem der zentralen Themen im Bundestagswahlkampf avanciert. Das ist zu begrüßen, denn ein Steuersystem muss für seine Akzeptanz in einer breiten gesellschaftlichen Debatte fortentwickelt werden.

Zu einer guten Debatte gehören jedoch ein umfassender Informationsstand und das Wissen um Zielkonflikte. Die Wählerschaft sollte eine Vorstellung davon haben, wie Steuern auf Investitionen, Beschäftigung und damit Wirtschaftswachstum und Wohlstand wirken.

Genau dieses Bewusstsein droht derzeit verloren zu gehen.

In den Wahlprogrammen der Parteien, die sich momentan für breite Steuererhöhungen starkmachen, finden sich in den Passagen zur Steuerpolitik reichlich Gerechtigkeitsargumente, aber fast nichts zur Frage möglicher Schäden durch höhere Steuern. Dies ist zu einseitig.

In den Wahlprogrammen steht fast nichts zur Frage möglicher Schäden durch höhere Steuern.

Das Ausblenden der Risiken suggeriert, Deutschland könne mit breiten Steuererhöhungen mehr Gleichheit durchsetzen, ohne dafür auch nur den geringsten Preis zu bezahlen. Diesen „Free Lunch“ gibt es nicht. Es lässt sich empirisch darüber streiten, in welchem Ausmaß die verschiedenen Steuererhöhungsprogramme von Einkommen- über Erbschaft- bis zur Vermögensteuer Investitionen, Beschäftigung und Wachstum behindern. So zu tun, als ob all diese Pläne vollkommen gefahrlos seien, ist jedoch irreführend. Folgende Überlegungen machen deutlich, wie riskant die aktuell diskutierten konkreten Steuererhöhungen in ihrem Ausmaß bereits sind.

Einnahmebasis stabil

Wichtig im Ausgangspunkt ist dabei die Erkenntnis, dass der deutsche Fiskus trotz der Corona-Rezession auch ohne Steuererhöhungen über eine mittelfristige stabile Einnahmebasis verfügt. Die letzte Steuerschätzung vom Mai prognostiziert, dass sich die Steuereinnahmen von ihrem Corona-Einbruch kräftig erholen werden.

Im Jahr 2025 werden die Steuereinnahmen nach jetzigem Prognosestand um 118 Milliarden Euro (15 Prozent) über dem Stand von 2019 liegen. Auch relativ zur Wirtschaftsleistung erholen sich die Steuereinnahmen in den nächsten vier Jahren kräftig, die volkswirtschaftliche Steuerquote dürfte 2025 wieder bei 23 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) angelangt sein, das entspricht dem Niveau von 2019.

Die Sichtweise, der Staat sei mit den heutigen Steuern und Steuersätzen unterfinanziert, kann sich also nicht auf einen strukturellen Einnahmerückgang berufen.

Hochsteuerland Deutschland

Eine empirische Tatsache ist weiterhin, dass Deutschland seine Unternehmen so stark wie kaum ein anderes Industrieland besteuert. Im Mannheim Tax Index des ZEW Mannheim, der die Effektivsteuerbelastung eines Modellunternehmens im Verarbeitenden Gewerbe abbildet, bietet sich ein eindeutiges Bild: Ein solches Unternehmen wird in Deutschland um zehn Prozentpunkte höher besteuert als im EU-Durchschnitt.

In der EU belasten einzig Spanien und Frankreich ihre Unternehmen noch stärker. Von den wichtigen OECD-Ländern außerhalb Europas liegt einzig Japan vor Deutschland.

Es gibt starke Evidenz, dass EU-Staaten, die in ihrer Wachstumspolitik auf niedrigen Steuern für Unternehmen und geringe Progression in der Einkommensteuer setzen, ökonomisch und sozialpolitisch davon profitieren.

An dieser ungünstigen Position Deutschlands würden auch die jetzt angedachten OECD-Mindeststeuern oder die geplanten Steuererhöhungen in den USA und im Vereinigten Königreich wenig ändern. Die OECD-Mindeststeuern werden unter dem deutschen Niveau liegen und auch die Steuerpläne der USA und des Vereinigten Königreichs würden weiterhin unter Berücksichtigung aller Details zu einer deutlich niedrigeren Belastung als der aktuellen deutschen Steuerlast führen.

Standort Deutschland nicht exzellent

Ein Land kann im Standortwettbewerb auch mit überdurchschnittlich hohen Steuern prosperieren, wenn es im Gegenzug überdurchschnittlich exzellente Standortfaktoren für Unternehmen bietet. Angesichts der unbestrittenen Defizite Deutschlands unter anderem auf den Gebieten der digitalen Infrastruktur und Verwaltung lässt sich dadurch Deutschlands hohe Steuerlast kaum beschönigen. Es ist eher umgekehrt: Deutschland müsste seinen Unternehmen eigentlich niedrigere Steuern als andere bieten, um einen Ausgleich für die im Vergleich zu vielen anderen OECD-Staaten schlechteren Bedingungen bei der unternehmensnahen Infrastruktur zu bieten.

Es gibt starke Evidenz, dass EU-Staaten, die in ihrer Wachstumspolitik auf niedrige Steuern für Unternehmen und geringe Progression in der Einkommensteuer setzen, ökonomisch und sozialpolitisch davon profitieren.

Länder mit niedrigem Steuerzugriff wie Irland oder die mittel- und osteuropäischen Staaten haben in den letzten zehn Jahren herausragende Wachstumszahlen vorzuweisen und haben die Hochsteuer-Staaten in Südeuropa in ihrer ökonomischen Performance deklassiert. Besonders in Osteuropa trägt diese unternehmensfreundliche Politik zu hohen Investitionen, sinkender Arbeitslosigkeit und letztlich auch schnell steigenden Löhnen bei.

Es ist hochgradig einseitig, niedrige Steuern für Unternehmen völlig undifferenziert als asoziales „Steuerdumping“ zu diskreditieren. Moderate Steuerbelastungen für Unternehmen ermöglichen hohe unternehmerische Investitionen, tragen zu einer steigenden Kapitalintensität in der Produktion bei und liefern damit die ökonomische Grundlage für steigende Reallöhne und bessere Lebensbedingungen der Menschen.

Schärfere Steuerprogression

Die aktuell für Deutschland diskutierte Verschärfung der Steuerprogression durch eine deutliche Anhebung der Spitzensteuersätze in der Einkommensteuer würde insbesondere die Grenzbelastungen für Personengesellschaften weiter steigen lassen und Belastungsniveaus erreichen, die im internationalen Vergleich hoch sind.

Das grüne Wahlprogramm beispielsweise mit seinen Vorschlägen für den inklusive „Reichensteuer“ auf bis zu 48 Prozent erhöhten Spitzensteuersatz würde für Personengesellschaften zu einer Grenzbelastung von insgesamt 52,6 Prozent in der Spitze führen. Dabei ist die Gewerbesteuer berücksichtigt und ebenso einberechnet, dass der Solidaritätszuschlag endlos weiterlaufen soll. Damit würde Deutschland auch für diesen investitionsrelevanten Steuersatz in die internationale Spitzengruppe geraten.

Effekte einer Vermögensteuer

Zu wenig Beachtung findet zudem, wie stark sich die von Sozialdemokraten und Grünen favorisierten (und von der Linkspartei noch viel höher angesetzten) neuen Vermögensteuern auf Sparprozesse auswirken würden. Werden Fremdkapitalzinsen nach dem ebenfalls geplanten Ende der Abgeltungssteuer mit dem erhöhten Spitzensteuersatz von fast 50 Prozent besteuert und kommt zusätzlich eine einprozentige Vermögensteuer zum Tragen, dann müsste der Zinssatz schon zwei Prozent erreichen, damit die Nachsteuer-Rendite überhaupt über null steigen kann. Dabei ist nicht einmal berücksichtigt, dass zusätzlich zur Steuer die Inflationsrate das Realkapital schmälert.

Das Zusammenwirken von Vermögensteuer, uneingeschränkt wirkendem Spitzensteuersatz und Inflation würde auch im Fall einer rentablen privaten Investition die Rendite für den Fremdkapitalgeber sehr deutlich unter null absinken lassen. Je nach Werturteil mag man diesen Zugriff auf die Vermögen von Haushalten mit hohen Vermögen und Einkommen als „gerecht“ betrachten. Man kann aber nicht ernsthaft bestreiten, dass ein solches Steuerregime Spar- und Investitionsprozesse in Deutschland behindern wird.

Private grüne Investitionen nötig

All diese Steuererhöhungen wären nicht lediglich eine Belastung für das zukünftige Wirtschaftswachstum, sondern auch für die angestrebte ökologische Transformation. Es ist unstrittig, dass die Dekarbonisierung der Wirtschaft ganz erhebliche Investitionen des Privatsektors in allen Sektoren und Unternehmens-Größenklassen benötigt. Dazu ist eine hohe Eigenfinanzierungskraft der Unternehmen von der Personen- bis zur Kapitalgesellschaft ebenso unabdingbar wie nennenswerte Netto-Renditen für grüne Investitionen und Geldanlagen aus Sicht der Fremdkapitalgeber und Anteilseigner. Auch hier liegt somit ein bedeutsamer gesellschaftlicher Zielkonflikt: Wenn Deutschland aus Gerechtigkeitserwägungen künftig viel stärker auf private Gewinne und Einkommen zugreift, dann schwächt das auch die Fähigkeit des privaten Sektors für grüne Investitionen.

Fazit

Deutschland lebt steuerpolitisch nicht im Schlaraffenland. Wir können nicht ohne Weiteres beides haben, eine boomende Wirtschaft mit umfangreichen privaten Investitionen in neue Jobs, Digitalisierung, qualitatives Wachstum und die Energietransformation und gleichzeitig einen Fiskus, der Einkommen und Vermögen immer stärker nivelliert und zunehmend aggressiv auf Unternehmensgewinne und Kapitaleinkünfte zugreift.

Es ist völlig legitim, wenn Parteien aus ihren Gerechtigkeitsvorstellungen heraus höhere Steuern für Vermögende und Menschen mit hohen Einkommen fordern. Kritisch wird es, wenn sie dabei leugnen, dass diese Ansätze die Größe des zu verteilenden Kuchens und die ökonomische und ökologische Performance beeinträchtigen können.

Deutschland sollte im Bundestagswahlkampf wieder viel mehr über diese Zielkonflikte in der Steuerpolitik diskutieren. So zu tun, als gäbe es diese nicht, ist unsachlich. Eine solche Steuerdebatte ist auf einem Auge blind und wird zu Fehlentscheidungen und Enttäuschungen führen und nicht zu einer höheren Akzeptanz des Steuersystems.

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