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Demokratie: Es hängt von uns ab!

Mit der Zunahme populistischer Tendenzen in den vergangenen Jahren ist die Demokratie in die Krise geraten. Jan-Werner Müller analysiert Ursache und Wirkung und setzt auf Hoffnung: Inwieweit die Demokratie auch in Zukunft das begehrteste und erfolgreichste politische System bleiben kann, hängt allein von unserem Engagement ab. Von jedem Einzelnen.  

„Demokratie?“, fragte einst Claude Lefort, der bedeutendste politische Philosoph des 20. Jahrhunderts. Und seine Antwort war: „Sie ist jenes Spiel der Möglichkeiten, das in noch naher Vergangenheit entstand und das wir in seiner Gänze erst noch ganz zu entdecken haben.“

Dieses Zitat Leforts hat Jan-Werner Müller seinem kürzlich erschienenen Buch „Freiheit, Gleichheit, Ungewissheit – wie schafft man Demokratie?“ vorangestellt. Und auch nach der Lektüre seiner rund 250 Seiten langen Abhandlung ist offensichtlich, dass wir noch einige Generationen brauchen werden, um die Nuancen, Färbungen, Effekte und Folgen des wohl immer noch begehrtesten politischen Freiheitssystems zu durchdringen und zu begreifen.

Nach den Erfolgen der Populisten und autoritären Machthaber in den vergangenen zehn Jahren ist die Diskussion über die Demokratie als wehrhafte Verteidigerin und Garantin von Recht und Freiheit heftiger und kontroverser geworden. An diese Ausgangssituation knüpft Müller, deutscher Politikwissenschaftler und Professor an der Princeton University, an und analysiert zunächst, was Demokratie eigentlich ausmacht.

Raum wilder Kakophonie

Grundsätzlich braucht eine Demokratie einen Platz für Gesetzgebung, „wo eine Mehrheit ihren Willen bekommt, nachdem die Opposition die Chance bekommen hat mitzureden“, schreibt der Autor. Andererseits benötige sie aber auch einen Ort für Meinungsvielfalt. Auf eine einzige Form oder Definition lasse sich die Demokratie nicht reduzieren. „Es gibt mehr als eine Möglichkeit, sie zu leben – wie es auch mehrere Möglichkeiten gibt, sie vorzutäuschen.“ Demokratie bedeute gleiche Rechte, ebenso wie gleichen Respekt. Sie ermöglicht ein „Gemeinschaftsleben, in dem die Menschen das Gefühl haben, einander auf Augenhöhe zu begegnen, ohne die Unterwürfigkeit oder gar die pure Angst, die für Feudal- oder rassistische Kastengesellschaften typisch sind“.

Respekt füreinander zu haben heißt aber keineswegs, auch stets einer Ansicht zu sein. Zur Demokratie gehört ein Raum „wilder Kakophonie“ – wie Jürgen Habermas schon formulierte. Deswegen braucht die Demokratie Regeln, die das politische Spiel ermöglichen, aber auch beschränken. Das mag abschreckend klingen, meint Müller. Doch diese Art von Risiko (oder auch „Ungewissheit“) sei eine Bedingung des dynamischen und kreativen Charakters von Demokratie. Sie müsse für neue Repräsentationsansprüche, für neue Ideen, Interessen und Identitäten offenbleiben.

Zur kritischen Infrastruktur der Demokratie zählen Parteien, Bewegungen und Medien. „Sie alle sind unverzichtbar für das Funktionieren der Repräsentation und für einen produktiven Umgang mit Konflikten.“ Allerdings befinde sich diese kritische Infrastruktur der Demokratie in einigen Ländern in einem erbärmlichen Zustand. „Sie bedarf dringend der Reparatur.“

Das Ziel der heutigen autoritär-populistischen Staaten ist die Spaltung der Gesellschaft.

Müller nimmt die rechts- und linkspopulistischen Tendenzen einiger (Ex-)Regierungen (Erdogan, Orban, Bolsonaro, Trump und Chávez) unter die Lupe und kommt zu dem Schluss, dass die heutigen autoritär-populistischen Staaten nicht faschistisch im bekannten historischen Sinne sind, aber die Muster eines „Maßnahmenstaates“, der auf vollkommen unvorhersehbare und willkürliche Weise agiert, besitzen. Ihr Ziel ist die Spaltung der Gesellschaft. Wie auch in den 1930er-Jahren sind es meist die konservativen Eliten, die den Rechtspopulisten letztlich die Türen zur politischen Macht öffnen.

Zusammenspiel von Medien und Politik

Wie wichtig und zugleich kritisch das notwendige Zusammenspiel von Parteien und Medien sein kann, zeigt Müller an Trumps Politik der Fehlinformationen und dessen Einschüchterung einzelner Journalisten. Trumps (Twitter-)Technik habe darin bestanden, „den ganzen Raum mit Scheiße zu fluten“ – wie es sein später unter Betrugsverdacht gefallener und dann begnadigter Chefstratege Stephen Bannon plastisch ausdrückte.

Müller gibt allerdings zu bedenken, dass die sozialen Medien per se keine Gefahr für die Demokratie darstellten. Ihr guter Zweck sei ja zunächst, die Bürger miteinander zu verbinden. Gefährlich sei aber die Tatsache, dass eine Technologie, die es dem Einzelnen ermöglicht, andere zu erreichen, zugleich Bestandteil eines ständig verfeinerten Überwachungsapparates sei, der Verhalten vorhersagbar machen kann.

Dass immer noch viele Menschen in aller Welt die Demokratie für erstrebenswert halten, ist für den Autor kein Grund zum Jubel, aber ein Zeichen der Zuversicht: „Sie sehen in ihr weiterhin ein politisches System, das zwar gewaltige Schwierigkeiten hat, aber immer noch am ehesten geeignet ist, Unterdrückung zu vermeiden und den Menschen die Chance auf ein anständiges Leben in Gemeinschaft zu geben.“

Fazit

Mit seiner gedankenreichen Analyse ist Müller ein lesenswertes Plädoyer für die Demokratie gelungen. Trotz aller Schwierigkeiten und Zumutungen, die in einer „wehrhaften Demokratie“ auszuhalten sind, verbreitet der Autor Hoffnung. Sie ist vor allem dann berechtigt, wenn Müllers Appell, dass es letztlich in unser aller Hand liegt, uns für die Demokratie und ihre freiheitliche Ausrichtung einzusetzen, auch gehört wird. „Die Wege sind aber da. Alles Übrige liegt an uns.“

Jan-Werner Müller: Freiheit, Gleichheit, Ungewissheit. Wie schafft man Demokratie? Suhrkamp, Berlin 2021.

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