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Alle wollen die Mitte entlasten

Im Vorfeld der Bundestagswahl haben sich alle Parteien zu einer Reform der Einkommensteuer positioniert. Die Parteien sind sich weitgehend einig darin, Gering- und Durchschnittsverdiener zu entlasten. Inwieweit Spitzenverdiener künftig mehr zahlen sollen, ist dagegen strittig. Wer profitiert von den Steuerplänen? Wer verliert? Eine Übersicht.

Auch wenn es in den vergangenen drei Legislaturperioden nicht zu grundlegenden Veränderungen des Einkommensteuertarifs gekommen ist, streben die im Bundestag vertretenen Parteien von CDU/CSU, SPD, Bündnis90/Die Grünen, FDP und Die Linke nach der Bundestagswahl eine Reform an. Nur die AfD sieht jenseits von inflationsbedingten Anpassungen keine Änderungen vor. Beim Ziel, kleine und mittlere Einkommen zu entlasten, stimmen die Parteien überein. SPD, Grüne und Linke wollen gleichzeitig die Steuern für Spitzenverdiener erhöhen.

Bündnis90/Die Grünen fordern eine Erhöhung des Grundfreibetrags, während der Tarif für kleine und mittlere Einkommen unangetastet bleiben soll. Höhere Einkommen sollen stärker belastet werden, indem für zu versteuernde Einkommen ab 100.000 Euro (bei Zusammenveranlagung 200.000 Euro) der Spitzensteuersatz sprunghaft von 42 auf 45 Prozent steigt. Analog soll auch der Reichensteuersatz um 3 Prozentpunkte auf 48 Prozent steigen. Der Reichensteuersatz soll bei Alleinveranlagung ab 250.000 Euro Jahreseinkommen greifen. Insgesamt soll die Reform zumindest aufkommensneutral sein.

Die SPD will die oberen 5 Prozent der Einkommensteuerzahler stärker belasten und die restlichen 95 Prozent entlasten. Um die oberen 5 Prozent stärker zu belasten, bedarf es eines höheren Spitzensteuersatzes. Zur Abflachung des Mittelstandsbauchs soll der heutige Spitzensteuersatz von 42 Prozent erst bei 70.000 Euro greifen. Nach derzeitiger Gesetzeslage liegt die Grenze im Jahr 2022 bei 58.596 Euro. Gleichzeitig soll von da an der Steuersatz linear bis auf 45 Prozent ansteigen, der bei einem zu versteuernden Einkommen von 90.000 Euro erreicht wird.

* Werte folgen aus Annahmen der Autoren zur Ausgestaltung des Wahlprogramms. 

Sehr umfangreich und konkret sind die Vorstellungen der Partei Die Linke (2021). In Übereinstimmung mit den Grünen will Die Linke den Grundfreibetrag erhöhen. Als Zielwert sind 14.400 Euro pro Jahr angegeben – eine Erhöhung um 44 Prozent bezogen auf das Jahr 2022. Der Spitzensteuersatz des linear-progressiven Tarifverlaufs soll von 42 auf 53 Prozent steigen und ab 70.000 Euro Jahreseinkommen gelten. Der bisherige Reichensteuersatz soll auf 60 Prozent festgelegt werden und zudem ein zweiter Reichensteuersatz in Höhe von 75 Prozent für Einkommen ab 1 Million Euro eingeführt werden.

Die FDP tritt für eine umfangreiche Steuerentlastung über den gesamten Tarifverlauf ein, indem der Spitzensteuersatz erst bei 90.000 Euro greifen und zudem der Mittelstandsbauch komplett abgeschafft werden soll (FDP, 2021).

Um das von CDU/CSU allgemein formulierte Ziel einer Entlastung kleiner und mittlerer Einkommen zu realisieren, bietet es sich an, den Beginn des Tarifverlaufs abzuflachen, damit die Zielgruppe auch erreicht wird. Wenn beispielsweise die erste Progressionszone um rund 2.500 Euro ausgeweitet werden sollte, würde dies zu Mindereinnahmen von rund 10 Milliarden Euro führen. Der Effekt ist beträchtlich, weil von der Änderung so gut wie alle Einkommensteuerzahler profitieren würden.

Mit Blick auf den einzelnen Steuerzahler sowie den Fiskus hätten die Reformvorschläge der Parteien sehr unterschiedliche Auswirkungen (Tabelle oben; mit dem „Tarif 2022“ ist jener Verlauf gemeint, der sich aus der heutigen Gesetzeslage ergibt). Die Veränderung der Steuerlast wird für Singles mit unterschiedlichen Einkommen verglichen.

Im Grundsatz gelten die Ergebnisse auch für andere Haushaltstypen. Der Vorschlag der Grünen führt sogar für Alleinerziehende und Ehepaare mit geringem, mittlerem und hohem Einkommen zum selben Ergebnis, wobei sich der Effekt bei Ehepaaren aufgrund des zweifachen Grundfreibetrags entsprechend verdoppelt. Bei den anderen Parteien verschieben sich die Effekte etwas, da der Tarifverlauf verändert wird. Beispielsweise wird ein Ehepaar mit insgesamt 60.000 Euro Bruttogehalt um 76 Euro bei der SPD, um 2.254 Euro bei den Linken, um 2.006 Euro bei der FDP und um 404 Euro bei der Union entlastet – bei 100.000 Euro Bruttogehalt beläuft sich die Entlastung auf 686 Euro (SPD), 1.984 Euro (Die Linke), 5.582 Euro (FDP) und 640 Euro (CDU/CSU). Für ein Ehepaar mit Kindern gelten im Grunde die gleichen Werte, weil das Kindergeld in der Simulationsrechnung unverändert bleibt. Bei hohen Einkommen kann es allerdings zu Unterschieden aufgrund der Inanspruchnahme des Kinderfreibetrags kommen, der mit steigendem Einkommen eine größere Rolle spielt. In allen Fällen wird bei Verheirateten das bestehende Ehegattensplitting angewendet. Denn zumindest SPD, Grüne, FDP und CDU/CSU planen für bereits bestehende Ehen keine verbindlichen Steuerrechtsänderungen.

Die Effekte für Alleinerziehende sind vergleichbar mit denen für Singles, wobei bei Alleinerziehenden in allen Tarifvarianten der zusätzliche Freibetrag von 4.008 Euro zur Geltung kommt. Die Entlastung ist außer bei den Grünen daher etwas geringer als beim Single.

Quellen:
AfD, 2021, Deutschland. Aber normal. Programm der Alternative für Deutschland für die Wahl zum 20. Deutschen Bundestag https://cdn.afd.tools/wp-content/uploads/sites/111/2021/05/2021-05-20-_-AfD-Bundestagswahlprogramm-2021.pdf [22.6.2021]

CDU/CSU, 2021, Das Programm für Stabilität und Erneuerung. Gemeinsam für ein modernes Deutschland. https://www.csu.de/common/download/Regierungsprogramm.pdf [22.6.2021]

Die Linke, 2021, Zeit zu handeln. Für soziale Sicherheit, Frieden und Klimagerechtigkeit! Wahlprogrammentwurf, https://www.die-linke.de/fileadmin/download/wahlen2021/BTWP21_Entwurf_Vorsitzende.pdf
[22.6.2021]

FDP, 2021, Nie gab es mehr zu tun, Wahlprogramm der Freien Demokraten https://www.fdp.de/sites/default/files/2021-06/FDP_Programm_Bundestagswahl2021_1.pdf [22.6.2021]

Grüne, 2021, Deutschland. Alles ist drin. Programmentwurf zur Bundestagswahl 2021, https://www.gruene.de/artikel/wahlprogramm-zur-bundestagswahl-2021 [22.6.2021]

SPD, 2021, Das Zukunftsprogramm, https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Beschluesse/Programm/
SPD-Zukunftsprogramm.pdf
[22.6.2021]

Spiegel, 2021, Scholz spannt Finanzministerium für SPD-Steuerpläne ein, Olaf Scholz spannt Finanzministerium für SPD-Steuerreformpläne ein – DER SPIEGEL [24.8.2021]

Aus: Beznoska, Martin / Hentze, Tobias, 2021, Wahlprogramme zur Einkommensteuer. Alle wollen die Mitte entlasten, IW-Kurzbericht, Nr. 42, Köln, abrufbar unter: https://www.iwkoeln.de/studien/martin-beznoska-tobias-hentze-alle-wollen-die-mitte-entlasten-513656.html

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