OrdnungspolitikTagged , , , , , ,

Was wir von der Pandemie lernen können

Wenn die Konfrontation mit Corona für Deutschland so etwas wie die Generalprobe für zukünftige Pandemien und Krisen war, ist sie misslungen, meint der Ökonom Moritz Schularick. Er wünscht sich ein „Upgrade“ für den Staat. Dieses beinhaltet nicht nur ein besseres Risikomanagement, Entbürokratisierung und mehr Flexibilität, sondern auch einen Mentalitätswandel in Deutschland.

Eine der größten Ernüchterungen der bisherigen Corona-Phase könnte die Erkenntnis sein, dass wir in einer Bürokratie leben, die nicht nur stark regulierend und hochgradig risikoscheu ist, sondern die uns auch in ein noch größeres Dickicht an Vorschriften führt, als wir es je hatten. Keine akzeptable Vorstellung – davon ist Moritz Schularick überzeugt. Der Professor für Volkswirtschaftslehre an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn hat deswegen mit seinem nun erschienenen Buch „Der entzauberte Staat – was Deutschland aus der Pandemie lernen muss“ (131 Seiten) ein aufrüttelndes Plädoyer geschrieben. Seine Grundforderung: Wir brauchen einen risikobereiteren und handlungsstärkeren Staat. Denn die Corona-Pandemie stellt für ihn die Generalprobe für kommende Krisen im Zuge des Klimawandels und seiner komplexen Konsequenzen für Umweltsysteme, Gesellschaften und politische Ordnungen dar.

„In Krisen zeigt sich, wie ein Staat unter Druck auf unvorhergesehene Ereignisse reagiert“, meint Schularick. Erst dann werde offensichtlich, ob der Staat „über dynamische Entscheidungsprozesse verfügt, mit denen die Herausforderungen gemeistert werden können“. Das Zeugnis, das der Autor dem deutschen Staat im Umgang mit Corona ausstellt, ist weniger als ausreichend: Nach der ersten Corona-Phase bis zum Sommer 2020 hatte sich die Bundesrepublik zwar relativ erfolgreich geschlagen, doch danach wurden die Mängel offenbar: Der Staat sei operativ nicht genug aufgestellt gewesen, schreibt Schularick, den Verwaltungen und Ämtern habe es an Ausstattung und Organisationskraft gefehlt, zudem habe es anfänglich an Testzentren, Computern und Software gemangelt.

Handlungsfähige Politiker gesucht

„Es fehlte die Wissensinfrastruktur in Form von Daten, Prozessen und Institutionen, in denen ein produktiver Austausch zwischen Politik und Wissenshaft auf der Basis aktueller Informationen stattfinden konnte.“ Das Land verfing sich in einem nicht zu durchschauenden Dickicht an Einzelregelungen. Politiker mit Flexibilität im Denken und Handeln seien so gut wie nicht in Sicht gewesen, meint der Autor. Anders ausgedrückt: Es fehlten in der Politik Menschen, die verstanden hätten, wie man zügig mit einer Ausnahmesituation, für die es zweifellos keine Betriebsanleitung gab, umzugehen habe. Und diejenigen, die am Ruder waren, glänzten mit Führungsschwäche und Verzagtheit – vor allem bei der Beschaffung von Impfstoff und der Koordination bei der Herstellung. Schularicks Schlussfolgerung: Politiker müssen sich zukünftig stärker als Risikomanager und Risikoträger zeigen, gerade weil es in den nächsten Jahren um große Projekte wie die ökologische Neuausrichtung der Wirtschaft geht.

Unkonventionelle Lösungen

Dass die Globalisierung und der damit einhergehende Fortschritt als Nebenprodukte immer neue Risiken mit sich führen, hatte bereits der Soziologe Ulrich Beck mit seinem Begriff der „Risikogesellschaft“ im Jahr 1986 treffsicher erkannt. Damals spielte er auf die Konsequenzen aus dem Reaktorunglück von Tschernobyl für Gesellschaft und Umwelt an. Auch heute machen die zunehmende Erderwärmung, die Meeresverschmutzung, störungsanfällige Wirtschafts- und Finanzsysteme oder Pandemien die Staaten zu hochempfindlichen Risikogesellschaften. Was der deutsche Staat zukünftig deswegen brauche, sei „mehr Dynamik, den Willen zum Handeln und das Selbstvertrauen zu erkennen, dass manchmal auch unkonventionelle Lösungen zum Erfolg führen“, meint Schularick. Dies betreffe zum Beispiel die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Politik. Es gehe um eine bessere institutionelle Verzahnung politischer Entscheidungsfindung mit der Wissenschaft.

Die oft geteilte Ansicht, dass es für viele Branchen ohne staatliche Maßnahmen (Schließung von Geschäften) wirtschaftlich nicht so schlimm gekommen wäre, teilt Schularick allerdings nicht. Der Lockdown, der nötig war, um die Inzidenz zu senken, habe nur einen Teil des wirtschaftlichen Abschwungs ausgemacht. Vor allem die Verhaltensveränderung der Menschen aus Angst vor dem Coronavirus habe fatale Wirkung gehabt: „Die ganze Republik dachte beim Wort Lockdown automatisch an die wirtschaftlichen Kosten. Es war ein Denkfehler, der auf einen Holzweg führte und die wirksame Pandemie-Bekämpfung massiv erschwerte. Studien belegen, dass der überwiegende Teil der negativen Auswirkungen, welche die Pandemie auf die Wirtschaft hatte, auf Verhaltensanpassungen und nicht nur auf Verbote zurückzuführen war. Auch wenn sie gedurft hätten, wären viele Menschen nicht ins Restaurant gegangen, sondern hätten zu Hause gegessen.“

Investieren in Mut und Resilienz

Dennoch hat der Staat beim Bürger an Vertrauen verloren. Um diesen für eine stabile Demokratie wichtigen politisch-sozialen Brückenkopf wiederzugewinnen, müsse sich die Gesellschaft auch insgesamt ändern, meint Schularick: „Wir brauchen einen Mentalitätswandel, eine andere Geisteshaltung im Umgang mit Risiken. Wir müssen lernen, neue Risiken einzugehen, um größere zu vermeiden.“ So hätte der Staat bei der Impfstoffproduktion finanzielle Risiken eingehen müssen, um die Herstellung zu beschleunigen. Auch eine „gründliche Entbürokratisierung“ der Verwaltung und ein kompetenteres Datenmanagement seien für die erfolgreiche Bewältigung zukünftiger Krisen nötig. Die Politik müsse sich zudem fragen, inwieweit sie sich in den nächsten Jahren von anderen Ländern abhängig machen wolle. Schularick gibt die Richtung vor: Wenn die Bundesrepublik nicht in völlige Bedeutungslosigkeit im Machtkampf zwischen den USA und China versinken wolle, müsse das Land mehr und nicht weniger europäisch denken und investieren: „Deutschland muss seine Wette auf Europa erhöhen.“

Fazit

Ein kurzweiliges Buch, klar und erfrischend in seiner Aussage. Es hält die motivierende Botschaft bereit, dass die Pandemie ein wichtiger Weckruf war und dass das Lernpotenzial für die Zukunft zweifellos vorhanden ist, aber auch dringend genutzt werden muss.

Moritz Schularick: Der entzauberte Staat – was Deutschland aus der Pandemie lernen muss, C.H. Beck Verlag, München 2021

Keinen Ökonomen-Blog-Post mehr verpassen? Folgen Sie uns auf Facebook, Instagram und Twitter, und abonnieren Sie unseren RSS-Feed sowie unseren Newsletter.