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Die Theorie der neuen feinen Leute

Wer glaubt, mit der Elite von heute sei der Milliardärs-Adel gemeint, der irrt. Ganz im Gegenteil. Wer heute dazugehören will, muss nicht reich sein. Aber schlau. Denn die Mitglieder der heutigen Elite sind darauf versessen, Wissen zu erwerben und daraus umwelt- und gesellschaftsbewusste Werte zu entwickeln. Das hat Vor- und Nachteile. Schlecht ist, dass dieser Elitarismus die Gesellschaft mehr denn je auseinanderdriften lässt, meint Elisabeth Currid-Halkett in ihrem neuen Buch.

Immer schon hat sich die Menschheit nach Status verzehrt. „Alles, was wir tun, hat eine soziale Bedeutung“, schreibt die amerikanische Forscherin Elisabeth Currid-Halkett in ihrem nun auf Deutsch erschienenen Buch Fair gehandelt? Wie unser Konsumverhalten die Gesellschaft spaltet.

„Unsere Kindheit, unser Familienleben, unsere Einkommensklasse und, damit zusammenhängend, unser gesellschaftliches Umfeld beeinflussen unsere Lebensweise und die Art, wie wir mit der Welt im Großen und Kleinen interagieren“, erklärt die Autorin.

Und ob wir wollen oder nicht – durch unsere Verhaltensweise offenbaren wir unsere sozioökonomische Stellung.

Currid-Halkett, Professorin für Soziologie und Stadtplanung an der University of Southern California, knüpft mit ihrer in den USA gefeierten Wirtschafts- und Gesellschaftsanalyse (Originaltitel: The Sum of Small Things) an Thorstein Veblens (1857 bis 1929) berühmte, richtungsweisende und polemische Abhandlung Theorie der feinen Leute an, die der amerikanische Ökonom bereits Ende des 19. Jahrhunderts verfasst hatte. Sein Werk zählt noch heute zu den wichtigsten Büchern über wirtschaftliches Denken in den vergangenen zwei Jahrhunderten.

Wie bewahren die wohlhabenden Eliten ihren Status, wenn materielle Güter heute für alle mehr oder weniger leicht erhältlich sind?

„Wie sieht Konsum heute aus?“, fragt Currid-Halkett in Fair gehandelt. Inwiefern beeinflussen Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht, Beruf und auch der Ort, an dem wir leben, was wir kaufen? Und wie bewahren die wohlhabenden Eliten ihren Status, wenn materielle Güter heute für alle mehr oder weniger leicht erhältlich sind?

Schon bei Veblen ging es um den Zusammenhang zwischen materiellen Gütern und Status. Unsere Konsumgewohnheiten, sagte er, seien durch ein Nach- und Wetteifern motiviert und zu einem großen Teil irrational und verschwenderischer Natur. Er nannte dieses Verhalten den „demonstrativen Müßiggang“, der konkret so viel bedeuten konnte wie Oxford-Klassiker lesen, Auslandsreisen unternehmen oder nichts Brauchbares mit seiner Zeit anfangen.

Kulturelle Werte größer als Geld und Herkunft

Currid-Halkett zufolge machen Veblens „feine Leute“ von einst heute eine neue Elite aus, für deren Mitglieder Leistung und die Aneignung von Wissen und Kultur zentral sind und die sich nicht so deutlich anhand ihrer wirtschaftlichen Stellung definieren lassen. „Diese neue Gruppe arbeitet mehr, und größtenteils sind ihre Leistung und ihre kulturellen Werte von größerer Bedeutung als die Herkunft“, schreibt die Autorin.

Keineswegs besteht diese Elite aus den raffgierigen Wölfen der Wall Street oder den Oligarchen, die große Fußballclubs, halb London und halb Manhattan aufkaufen. Es sind auch nicht die Plutokraten mit Privatjets, Segelyachten und Rennställen. Die Milliardäre machten nur einen kleinen (wenn auch sehr lauten) Teil der Gesellschaft aus, meint Currid-Halkett.

Die Elite, die die Autorin meint, verdient nicht unbedingt viel Geld. Ihre Mitglieder sind aber gebildet, schätzen Wissen und konsumieren auf eine Art und Weise, die ihr kulturelles Kapital widerspiegelt. So investieren sie in Erziehung, Schule, Bildung und Ausbildung, in Gesundheit und Ernährung und in viele gute Geister, die in Haus und Garten mithelfen.

Bei der neuen aufstrebenden Klasse (und die Autorin zählt sich nicht ohne Ironie selbst dazu) handelt es sich um eine „große und mächtige kulturelle Gruppierung“. Diese ist von ihren Entscheidungen absolut überzeugt. Die Mitglieder dieser Elite glauben, ihre gesellschaftliche Position verdient zu haben, haben kaum ein Empfinden für die um sie herum wachsende soziale Ungleichheit oder geben sich zumindest dafür keine Schuld – ein Phänomen, das nicht nur in den USA, sondern in der gesamten westlichen Welt zu beobachten ist.

Soziale Schichten entfremden sich

Um ihre Thesen zu untermauern, bedient sich Currid-Halkett der jährlich erscheinenden Daten über das Kaufverhalten amerikanischer Verbraucher, der Consumer Expenditure Survey (CE).

Es ist sicher eine Stärke des Buches ist, dass die Autorin diese Zahlen erzählerisch leicht in ihre Argumentation einbindet und zu (nicht immer ganz neuen, aber) eindeutigen Ergebnissen kommt:

  • Erstens geht es beim Thema Konsum heute um mehr als nur darum, Dinge zu kaufen. Unsere Konsumgewohnheiten offenbaren, wer wir sind und wer wir sein wollen.
  • Zweitens: Der Konsum von materiellen Status-Gütern wie einst bei Veblen hat sich heute verlagert zu einem Konsum von Dingen, die indirekt oder weniger auffällig auf die gesellschaftliche und wirtschaftliche Position der Konsumenten hinweisen. Mit diesem Konsum (oder besser gesagt mit diesen Investitionen) reproduzieren und kultivieren sie ihren Wohlstand innerhalb der nachfolgenden Generation.
  • Und schließlich drittens: Die Mitglieder der neuen Gruppierung vereint ihr Streben nach und ihre Wertschätzung von Wissen und nicht ihr Einkommensniveau, meint die Autorin. Die wirtschaftliche Position spielt eine untergeordnete Rolle. Sie benutzen ihr Wissen, um ein größeres Bewusstsein für soziale und kulturelle Belange sowie für Umwelt- und Nachhaltigkeitsthemen zu entwickeln.

Die Folge ist eine gesellschaftliche Spaltung, meint Currid-Halkett. Denn die „feinen Leute“ von heute reproduzieren „mit ihren Entscheidungen und Investitionen, welche zunehmend unauffälliger Natur sind, […] Wohlstand und Aufstiegsmöglichkeiten auf eine solche Art und Weise, dass die Mittelschicht das Nachsehen hat“.

Die Mittelschicht könne sich diesen Prestigekonsum schlicht nicht leisten. Sie habe auch schlichtweg weniger Zeit, „um sich materielle Güter kaufen zu können, die auf ihre gesellschaftliche Position hinweisen“. Zwangsläufig würden sich so die verschiedenen sozialen Schichten immer mehr voneinander entfremden – ökonomisch, sozial und kulturell. Die bittere Realität: Die sozioökonomische Ungleichheit im 21. Jahrhundert habe stärker zugenommen als jemals zuvor. Currid-Hulkett: „Die Eliten entfernen sich immer mehr vom Rest.“

Fazit

Auch wenn die Autorin zunächst die amerikanische Gesellschaft im Blick hat, zeigen aber vor allem die Detailbeschreibungen über Erziehung und Bildung und über ökonomische Verhaltensmuster, dass die von ihr definierte neue Elite in der gesamten westlichen Welt längst angekommen ist. Das Buch hält unserer Gesellschaft ebenso klar wie entlarvend den Spiegel vor. Es zeigt, dass Eliten in wie auch immer gearteten demokratischen Gesellschaften stets neue Wege finden, sich vom Rest der Welt abzuheben.

Elisabeth Currid-Halkett: Fair gehandelt? Wie unser Konsumverhalten die Gesellschaft spaltet, btb Verlag, München 2021

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