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Die Zukunftsquote: Was die neue Regierung jetzt braucht

Die Zielsetzung der Koalitionspartner ist ehrenwert. Das laufende Jahrzehnt soll ein Jahrzehnt der Zukunftsinvestitionen werden. Im politischen Alltag aber könnte bald wieder die Tendenz zu Gegenwartsausgaben dominieren. Was die Finanzpolitik der Ampelregierung daher jetzt dringend benötigt, ist ein neuer budgetpolitischer Kompass, der den Versprechen Verbindlichkeit verleiht.

Die neue Bundesregierung will die 2020er-Jahre zu einem „Jahrzehnt der Zukunftsinvestitionen“ machen. In ihrem Koalitionsvertrag versprechen die Ampel-Parteien eine deutliche Erhöhung der Investitionen in Klimaschutz, Digitalisierung, Bildung, Forschung und Infrastruktur. Diese ehrenwerte Zielsetzung verdient jede Unterstützung ebenso wie die Absicht, alle Ausgaben im Bundeshausalt auf den Prüfstand zu stellen und eine Neupriorisierung vorzunehmen.

Nun wissen erfahrene Beobachter der Finanzpolitik seit vielen Legislaturperioden, dass Papier gerade dann besonders geduldig ist, wenn darauf Koalitionsverträge gedruckt werden. Es ist ungewiss, ob die Regierung Scholz ihr Zukunftsversprechen für den Bundeshaushalt wird einhalten können. Der neuen Bundesregierung werden sich im haushaltspolitischen Alltag dieselben Probleme stellen wie ihren Vorgängern. Aus verschiedenen Gründen erfahren Ausgabepositionen mit einem unmittelbaren Gegenwartsnutzen regelmäßig eine deutlich stärkere politische Unterstützung als Felder, bei denen der Nutzen erst nach Jahren oder Jahrzehnten eintritt. Dieses Phänomen wird in der finanz- und verhaltensökonomischen Forschung unter dem Begriff der „Gegenwartsverzerrung“ diskutiert.

Ein früher Renteneintritt und die damit einhergehenden hohen Bundeszuschüsse an die Rentenversicherung genießen letztlich eine höhere öffentliche Unterstützung als Aufwendungen für Klimapolitik oder Grundlagenforschung.

Das Handicap von Zukunftsausgaben gegenüber den Gegenwartsausgaben wird in der alternden Gesellschaft zunehmend stärker. Weil sich der durchschnittliche verbleibende Zeithorizont der Wählerinnen und Wähler verkürzt, mindert dies die politische Unterstützung für sehr langfristige Projekte. Konkret gesprochen: Wenn die Mehrheit der Menschen von der Rente oder anderen Sozialleistungen leben, dann sind Einschränkungen in diesen Transfers mit erheblichem Widerstand konfrontiert.

Aus diesen Gründen besteht die Tendenz, dass Mittel zugunsten der Langfrist-Agenda in den politischen Entscheidungen letztlich durch die rasch wachsenden Budgets für die Gegenwartsaufgaben verdrängt werden. Ein früher Renteneintritt und die damit einhergehenden hohen Bundeszuschüsse an die Rentenversicherung genießen letztlich eine höhere öffentliche Unterstützung als Aufwendungen für Klimapolitik oder Grundlagenforschung.

Was die Finanzpolitik der Ampelregierung daher jetzt dringend benötigt, ist ein neuer budgetpolitischer Kompass, der ihr die Richtung weist und dem zunächst nur rhetorischen Versprechen Verbindlichkeit verleiht. Das ZEW hat das Konzept für einen solchen Indikator jetzt im Rahmen einer Studie für das Bundesministerium für Bildung und Forschung vorgelegt.

In dieser Studie hat das ZEW-Team eine „Zukunftsquote“ für den Bundeshaushalt entwickelt und berechnet, die sich ideal dafür eignen würde, ab jetzt Jahr um Jahr das Zukunftsversprechen der Ampel-Koalition zu überprüfen.

Ausgangspunkt dieses innovativen Konzepts ist die Einsicht, dass der klassische Investitionsbegriff einerseits zu weit und andererseits zu eng ist, um Zukunftsausgaben wirklich gut abzubilden. Er ist zu weit, weil es vielfach „Investitionen“ gibt, die kaum als Zukunftsausgaben zu bezeichnen sind, wenn zum Beispiel neue Verwaltungsgebäude für die Sozialversicherungen errichtet werden. Er ist aber auch zu eng, weil es umgekehrt Positionen wie Lehrergehälter oder Forschungsstipendien gibt, die nicht als Investition klassifiziert werden, aber sehr wohl einen wichtigen Zukunftsbeitrag leisten.

Besser als der klassische Investitionsbegriff ist daher ein mehrdimensionaler Kapitalbegriff geeignet, um in umfassender Weise Zukunftsausgaben abzudecken. Dieser weite Kapitalbegriff umfasst neben traditionellen Investitionen auch Aufwendungen zum Erhalt und zur Mehrung von Humankapital, Naturkapital und technischem Wissen. Die Leitfrage für den Einschluss einer bestimmten öffentlichen Ausgabe in die Zukunftsquote ist dann, inwieweit diese Position einen Beitrag zur Stärkung dieser Kapital-Größen leistet.

Auf Grundlage dieser Konzeption operationalisiert die ZEW-Studie die Zukunftsquote und berechnet sie für die Bundeshaushalte 2019 und 2021. Die Methodik macht sich unter anderem die Systematik des sogenannten „Funktionenplans“ zunutze. Im Funktionenplan werden alle Haushaltsposten gemäß ihres Aufgabenfeldes (zum Beispiel „Bildungswesen“ oder „Soziale Sicherung“) detailliert klassifiziert. Jede einzelne dieser Funktionen wird dann einer Bewertung unterzogen und bekommt auf diese Weise ein Zukunftsgewicht in Stufen zwischen null und 100 Prozent zugewiesen.

Der Zukunftsorientierung der Haushalte ist kaum damit gedient, Budgetkonflikte immer stärker durch offene oder versteckte Verschuldung zu überdecken.

Mit diesem Verfahren werden verschiedene Varianten einer Zukunftsquote berechnet. Das ZEW empfiehlt die Verwendung einer weiteren Variante, für die die Zukunftsquote im 2019er-Haushalt 18,3 Prozent und im 2021er-Haushalt 17,0 Prozent beträgt. Der Rückgang zwischen 2019 und 2021 ist plausibel, weil viele der zusätzlichen Corona-Hilfsmaßnahmen unmittelbar der Existenzsicherung oder dem Gesundheitsschutz in der Gegenwart dienen, sodass der Anteil der Zukunftsausgaben abgesackt ist.

Die neue Bundesregierung könnte sich nun beispielsweise verpflichten, den Anteil der Zukunftsausgaben im Bundeshaushalt nicht nur auf das Vor-Corona-Niveau zurückzubringen, sondern, um das Jahrzehnt der Zukunftsausgaben einzuleiten, auf ein Niveau von zunächst 20 Prozent auszudehnen. Dann werden die Koalitionäre in den Haushaltsbeschlüssen der kommenden vier Jahre Farbe bekennen müssen und sie würden sich damit einem transparenten Leistungsindikator unterwerfen.

Ein Konzept wie das der Zukunftsquote hat noch einen anderen Vorteil. Es verlagert die Haushaltsdebatte weg von der leidigen Diskussion um die Schuldenbremse in eine produktivere Richtung. Der Zukunftsorientierung des Bundeshaushalts (und der Länderhaushalte ebenso) ist kaum damit gedient, Budgetkonflikte immer stärker durch offene oder versteckte Verschuldung zu überdecken. Letztlich wird der budgetäre Streit um höhere Zukunftsleistungen nicht an der Frage der Verschuldung entschieden. Die Schlüsselfrage ist vielmehr, ob die Gegenwartsausgaben für Felder wie Pflege, Renten und Pensionen den Haushalt immer stärker dominieren und ihm die Luft zum Atmen nehmen. Und genau diese Frage kann die regelmäßige Berechnung der Zukunftsquote beantworten.

Mehr: Heinemann, F., Bohne, A., Breithaupt, P., Doherr, T., Licht, G., Niebel, T., und Thöne, M., et al. (2021): Studie zur Einführung einer Zukunftsquote, im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Mannheim: ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung.

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