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Deutschland muss mehr Menschen für den Lehrerberuf gewinnen

Zwar dürfte die Zahl der Lehrkräfte in den nächsten Jahren leicht zunehmen. Dennoch drohen in den nächsten Jahren massive Lehrkräfteengpässe an den Schulen, da sehr viel mehr Kinder und Jugendliche unterrichtet werden müssen. – Ein Ausblick.

Eine gute Bildung wird für die Erwerbsperspektiven junger Menschen wie auch den wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands insgesamt immer wichtiger. So führen Digitalisierung und technischer Fortschritt dazu, dass der Bedarf an Arbeitskräften mit spezifischen Fachkenntnissen und ausgeprägten analytischen Fähigkeiten steigt. Gleichzeitig wird sich das Land vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und der mit ihm einhergehenden Fachkräfteengpässe größere nicht gut in den Arbeitsmarkt integrierte Erwerbspersonengruppen auf absehbare Zeit kaum mehr leisten können. Um eine gute Bildung für alle Kinder und Jugendlichen in Deutschland zu erreichen, müssen sie in ihrer individuellen Kompetenzentwicklung möglichst optimal gefördert und begleitet werden. Dazu sind nicht nur passende pädagogische Konzepte, sondern für die Umsetzung der Konzepte auch genügend Lehrkräfte notwendig.

Erhöhter Bedarf durch steigende Geburtenraten

Genau an dieser Stelle zeichnet sich in den nächsten Jahren ein großes Problem ab. Möchte man nur die derzeitigen Schüler-Lehrkraft-Relationen in den einzelnen Schulformen beibehalten, werden im Schuljahr 2025/2026 voraussichtlich rund 799.000 und in den Schuljahren 2030/2031 und 2035/2036 jeweils 836.000 Lehrkräfte in Vollzeitäquivalenten benötigt – im Vergleich zu nur 761.000 im Schuljahr 2020/2021.

(Die Zahlen stammen aus einer Simulation der Studie „Lehrkräftebedarf und -angebot: bis 2035 steigende Engpässe zu erwarten. Szenariorechnungen zum INSM-Bildungsmonitor“).

Grund hierfür ist, dass die Geburtenzahlen in Deutschland nach einem langen Rückgang in den 2010er-Jahren wieder stark angestiegen sind und entsprechend wesentlich größere Jahrgänge ihren Bildungsweg durchlaufen. Bisher haben diese nur zu einem Anstieg der Schülerzahl an den Grundschulen geführt, werden ab der Mitte des Jahrzehnts jedoch auch die weiterführenden Schulen erreichen. In den beruflichen Schulen und den gymnasialen Oberstufen an allgemeinbildenden Schulen werden sie hingegen erst in den frühen 2030er-Jahren ankommen. Dann dürften die Schülerzahlen an den Grundschulen wieder zurückgehen, da die Geburtenraten bereits wieder rückläufig sind, sodass der Gesamtbedarf an Lehrkräften zumindest nicht mehr weiter zunehmen dürfte.  

„Vor dem Hintergrund der im Laufe der Corona-Pandemie entstandenen Bildungslücken wäre es sinnvoll, die Förderung von Kindern aus ungünstigen sozialen Verhältnissen weiter zu stärken.“

Dies gilt allerdings alles nur unter der Prämisse, dass die aktuellen Schüler-Lehrkraft-Relationen beibehalten werden sollen. Gerade vor dem Hintergrund der im Laufe der Corona-Pandemie entstandenen Bildungslücken wäre es jedoch sogar eher sinnvoll, die Förderung von Kindern aus ungünstigen sozialen Verhältnissen weiter zu stärken und den entsprechenden Brennpunktschulen zusätzliches Personal zuzuweisen. Zudem erfordert die zunehmende Inklusion von Kindern mit besonderen Förderbedarfen in die Regelschulen einen veränderten und zusätzlichen Einsatz der Lehrkräfte. Gleichzeitig könnte ein weiteres Voranschreiten der Bildungsexpansion dazu führen, dass anteilsmäßig deutlich mehr junge Menschen eine gymnasiale Oberstufe durchlaufen wollen. Auch kann es durch Zuwanderung zu nicht vorhersehbaren Anstiegen der Zahlen der Kinder und Jugendlichen in Deutschland kommen. Bereits aktuell ist dies vor dem Hintergrund des Ukrainekriegs der Fall, dessen Auswirkungen auf die Entwicklungen von Schülerzahlen und Lehrkräftebedarf in Deutschland sich noch nicht abschätzen lassen.  

Dabei haben die Kultusministerien bei der Entwicklung der Lehrkräftebasis bereits in den letzten Jahren große Fortschritte erzielt. So ist der Gesamtbestand der Lehrkräfte in Vollzeitäquivalenten zwischen den Schuljahren 2010/2011 und 2020/2021 trotz in dieser Zeit noch rückläufiger Gesamtschülerzahlen um 4 Prozent gestiegen. Auch war die Altersstruktur mit nur mehr einem Viertel über 54-Jähriger im Schuljahr 2020/2021 sehr viel ausgeglichener als noch im Schuljahr 2010/2011 mit rund einem Drittel. Dabei ist diese Entwicklung umso beachtlicher, da die gesamte Arbeitskräftebasis in Deutschland in diesem Zeitraum deutlich älter geworden ist. Anders als in vielen anderen Berufsbereichen droht vor diesem Hintergrund bei den Lehrkräften in den nächsten Jahren auch keine massive Verrentungswelle.

Langfristiger Lehrkräftemangel

Gleichzeitig sind bei den Nachwuchslehrkräften ohne gezieltes Handeln der Politik in den nächsten Jahren keine den steigenden Bedarfen entsprechenden Zuwächse zu erwarten. So könnte der Lehrkräftebestand von 761.000 Vollzeitäquivalenten im Schuljahr 2020/2021 nur leicht auf 770.000 im Schuljahr 2025/2026 und 776.000 im Schuljahr 2030/2031 steigen. Bis zum Schuljahr 2035/2036 dürfte er dann wieder auf 770.000 zurückgehen. Gegenüber den oben dargestellten Bedarfen ergeben sich so Lücken von 30.000 Vollzeitäquivalenten im Schuljahr 2025/2026, 59.000 Vollzeitäquivalenten im Schuljahr 2030/2031 und 66.000 Vollzeitäquivalenten im Schuljahr 2035/2036. Da die Umfänge des von den Lehrkräften abgehaltenen und des von den Schülern in Anspruch genommenen Unterrichts letzten Endes jedoch deckungsgleich sein müssen, bedeutet dies, dass eine deutliche Verschlechterung der Schüler-Lehrkraft-Relationen unausweichlich ist, was sich auf die Bildungsqualität sehr negativ auswirken könnte, wenn es nicht gelingt, den Lehrkräftebestand über das erwartete Niveau hinaus zu steigern.

Hierzu müssen die Kultusministerien zunächst darauf hinwirken, die Attraktivität des Lehrerberufs weiter zu verbessern. So sollten etwa die Ausstattung der Lehrkräfte mit digitalen Technologien gestärkt und Mobilitätshürden zwischen den Bundesländern abgebaut werden. Zudem sollten geeignete Kandidaten gezielt für ein Lehramtsstudium gewonnen und die hier teilweise noch bestehenden Kapazitätsbeschränkungen abgebaut werden. Ein spezielles Augenmerk müssen dabei die MINT-Fächer erhalten, bei denen insbesondere auch vor dem Hintergrund der sehr guten Karriere- und Einkommensperspektiven in anderen Bereichen des Arbeitsmarkts besonders große Engpässe zu erwarten sind. Allerdings ist dabei zu beachten, dass von Studienbeginn bis Eintritt in den regulären Schuldienst auch bei einem zügigen Ausbildungsverlauf in der Regel mindestens acht Jahre vergehen.

Entscheiden sich jetzt mehr Abiturienten für ein Lehramtsstudium, kommen sie also zu spät, um die in der zweiten Hälfte der 2020er-Jahre bereits zu erwartenden großen Lücken zu schließen. Daher ist eine verstärkte Einstellung von Quereinsteigern in den nächsten Jahren nahezu unumgänglich. Damit dies nicht zu einem Qualitätsverlust bei der schulischen Bildung führt, müssen diese Quereinsteiger bestmöglich qualifiziert und unterstützt werden. Dazu ist nicht nur eine passende Nachqualifizierung insbesondere im pädagogischen Bereich vorab, sondern auch eine gezielte Begleitung und Unterstützung nach dem Berufseinstieg notwendig.

Gleichzeitig sollten die Kultusministerien Maßnahmen entwickeln, um auch bei einer stärker steigenden Schüler- als Lehrkräftezahl die Bildungsqualität zu erhalten. In diesem Kontext kann es etwa hilfreich sein, wenn Aufgaben außerhalb des regulären Unterrichts etwa in den Bereichen Ganztagsbetreuung und Elternarbeit von den Lehrkräften an multiprofessionelle Teams übergehen. Auch kann ein verstärkter Einsatz digitaler Formate im Unterricht an dieser Stelle sehr hilfreich sein.


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