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Von der Rückkehr der Knappheit zur Stärkung des Wirtschaftsstandorts

Der Preismechanismus ist das zentrale Lenkungselement in der Marktwirtschaft. Das ist manchmal unbequem, etwa in Zeiten wie diesen, in denen Energiepreise steil steigen. Aber ohne solche Preissignale ist keine Wende zum Besseren möglich. Darüber hinaus braucht es jetzt kluge Politik für einen starken Wirtschaftsstandort Deutschland. – Eine To-do-Liste für die Ampel-Regierung in Berlin.

Was gerade geschieht

Erstens: Was erleben wir gerade: einen beschleunigten Strukturwandel, eine Transformation oder gar eine Zeitenwende? Letzteres, meint der Bundeskanzler. „Wir erleben eine ‚Zeitenwende‛. Und das bedeutet: Die Welt danach ist nicht mehr die gleiche wie die Welt davor. […] Die Zeitenwende betrifft nicht nur unser Land. Sie betrifft ganz Europa. Und auch darin liegt sowohl eine Herausforderung als auch eine Chance.“ (Bundeskanzler Scholz, 27. Februar 2022)

Das derzeit vorherrschende Gefühl eines großen Umbruchs ist durchaus nicht neu. Schon früher einmal gab es offenbar „tipping points“, die sich auch in großen und bahnbrechenden Werken in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften niedergeschlagen haben. Diese reichten von großen Strukturwandeltheorien von Karl Marx über Max Weber und Joseph Schumpeter bis zur großen Transformation von Karl Polanyi aus dem Jahr 1944. Im gleichen Jahr erschienen auch „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ (Karl Popper), „Der Weg zur Knechtschaft“ (Friedrich August von Hayek) und „Die Dialektik der Aufklärung“ (Theodor W. Adorno / Max Horkheimer).

Zweitens: Wegen der Gleichzeitigkeit von großen Megatrends erscheint es gerechtfertigt, zumindest von einer Transformation zu sprechen: Jeder einzelne der „4D“-Trends hätte uns schon für sich genommen herausgefordert und stellt einen bedeutenden Strukturbruch dar: die demografische Alterung der Gesellschaft, die De-Karbonisierung unserer Art, zu leben und zu wirtschaften, die Digitalisierung unseres Lebens und Arbeitens. Und nun auch noch bestimmte Formen einer De-Globalisierung der weltweiten Arbeitsteilung durch unterbrochene Lieferketten.

Aber zu diesen zum erheblichen Teil endogenen Veränderungen kommt nun auch noch der exogene Doppelschock durch die Pandemie und den Krieg. Dies macht aus der Transformation vielleicht doch eine Zeitenwende. Das derzeitige konjunkturelle Umfeld in Deutschland ist überaus volatil. Nach einer „goldenen Dekade“ sind inflationsbedingte reale Wohlstandsverluste absehbar. Der teilweise krisenhaft beschleunigte Strukturwandel erweist sich als multipler Stresstest für die Fähigkeit von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, Krisen und Unsicherheit zu meistern, ohne den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu gefährden.

Drittens: Für Deutschland heißt Zeitenwende zunächst einmal ganz konkret: Die Zeiten des zins-, sicherheits- und energiepolitischen „Schwarzfahrens“ sind vorbei. Geld wird teurer werden, Sicherheit kostet uns alle mehr, Energie verteuert sich explosionsartig.

Das erfordert von uns allen Verhaltensanpassungen, denn es kommt derzeit – nicht nur gefühlt, sondern bereits sehr real – gleich in mehrfacher Hinsicht zu einer Rückkehr der Knappheit: Erstens sind die sehr hohen Inflationsraten eine Folge der langjährigen Niedrigzinspolitik der EZB, der „Geldmantel“ wird damit deutlich enger geschnitten werden müssen. Zweitens kommt es zu einem drastischen kriegsbedingten Anstieg bei realwirtschaftlichen Knappheiten, der letztlich auch die Folge einer teilweisen De-Globalisierung ist, vor allem durch gestörte Wertschöpfungs- und Lieferketten infolge der Pandemie und noch viel stärker durch den Ukrainekrieg. Drittens bestimmen die Klagen über fehlende Arbeitskräfte allgemein und Fachkräfte im Besonderen derzeit die Schlagzeilen. Das Fehlen von Arbeitskräften avanciert immer mehr zum zentralen Engpassfaktor für die dringend anstehende Digitalisierung und die Dekarbonisierung von Wirtschaft und Gesellschaft.

Was zu tun ist

Erstens: Inflation bedeutet zunächst einmal, dass man für sein Geld weniger bekommt. Es gibt Wohlstandseinbußen durch Kaufkraftverluste. Und das trifft naturgemäß Menschen mit weniger Einkommen stärker als Gutverdiener. Deshalb muss die Politik sehr darauf bedacht sein, zielgenau einkommensstützende Maßnahmen für einkommensschwächere Personengruppen zu ergreifen.

Aber generell stecken hinter starken Preissteigerungen ja auch Knappheitsprobleme bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen. Es gibt daher ein Spannungsverhältnis zwischen der Unbegrenztheit der Bedürfnisse auf der einen Seite und der Knappheit von Ressourcen und Gütern andererseits. Durch die jetzt offensichtlich werdende Knappheit der Ressourcen können nicht alle Wünsche befriedigt werden. Der „kalte Stern der Knappheit“ (Erich Schneider) leuchtet über uns allen. Hier setzt die überragende Bedeutung des Preises als Lenkungsinstrument ein. Der Preis sendet Signale sowohl an die Anbieter als auch die Nachfrager von Gütern und Dienstleistungen aus. Unter den konstituierenden Prinzipien einer regelgebundenen Sozialen Marktwirtschaft nach Walter Eucken ist die Herstellung eines „funktionsfähigen Preissystems” das zentrale Grundprinzip. Eingriffe in die Preisbildung sollten daher stets Ultima Ratio sein, auch wenn sie verteilungspolitisch motiviert sein sollten.

Zweitens: Das „Geschäftsmodell Deutschland“ basiert auf einem überdurchschnittlichen Anteil der exportorientierten Industrie an Wertschöpfung und Beschäftigung. Die Wertschöpfungsketten sind tief gestaffelt und die Unternehmen durch enge Kooperationen, die alle wichtigen Branchen aus Industrie, industrienahen Dienstleistungen und produzierendem Handwerk umfassen, miteinander verbunden.

Zwar sind die Unternehmen in Deutschland Zeiten des Strukturwandels gewohnt, sie haben sich in der Vergangenheit als anpassungsfähig und innovativ erwiesen. Eine Anpassung an veränderte geopolitische und geoökonomische Rahmenbedingungen kann aber nur mit und nicht gegen die Wirtschaft gelingen. Die Politik muss diesen Prozess mit den richtigen wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen begleiten. Dazu gehören eine Vorfahrtsregel für wertschöpfende Prozesse und ein Moratorium bei Belastungen des Standorts. Die bisherigen Maßnahmen der Bundesregierung beim Krisenmanagement zeugen von viel Verständnis für wirtschaftliche Notwendigkeiten. Doch die beschriebenen Herausforderungen erfordern auch eine grundsätzliche Neubewertung und Re-Priorisierung politischer Rahmensetzungen, auch mit Blick auf den Koalitionsvertrag und laufende europäische Initiativen, etwa hinsichtlich des Bündels an neuen Berichterstattungspflichten, die sich aus dem Lieferkettengesetz, der EU-Nachhaltigkeitsberichterstattungsrichtlinie, der geplanten noch schärferen EU-Lieferkettenrichtlinie und den Überlegungen zu einer sozialen EU-Taxonomie ergeben.

Drittens: Um dem beschleunigten Strukturwandel begegnen zu können, brauchen wir mehr Arbeitskräfte. Für den Erfolg sowohl von Digitalisierung als auch von Dekarbonisierung sind Innovationen essenziell. Für mehr Innovationen gegen einen demografiebedingten Wachstumseinbruch braucht es die nötigen Fachkräfte, vor allem auch im MINT-Bereich.

Ein strategisches Fachkräftemonitoring kann dabei helfen, frühzeitig Bedarfe offenzulegen, und hilft bei der rechtzeitigen Entwicklung von Qualifikationen und Kompetenzen. Mittlerweile gibt es aber auch zunehmend einen generellen Bedarf an Arbeitskräften, auch im Bereich einfacher Qualifikation. Hier können aktivierende Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik ansetzen. Zur weiteren Mobilisierung inländischer Potenziale sind auch zusätzliche Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf nötig. Wir brauchen zudem dringend zusätzliches Arbeitsvolumen auch über längere Jahres- und Lebensarbeitszeiten. Schließlich sind Vereinfachungen bei der Anerkennung ausländischer Qualifikationen und Nachbesserungen bei der administrativen Umsetzung der Erwerbsmigration erforderlich. Die Zuwanderung an Arbeitskräften aus Drittstaaten bleibt in Deutschland noch unter ihren Möglichkeiten. Deshalb müssen die Verwaltungsverfahren vereinfacht, digitalisiert, beschleunigt und damit planbar für Arbeitgeber und ausländische Arbeitskräfte ausgestaltet werden. Ganz generell schließlich liegt bei der Digitalisierung Deutschlands noch ein weiter Weg vor uns: Wir müssen bei Planungs- und Genehmigungsverfahren schneller werden. Dies ist vor allem auch eine digitalisierungspolitische Herausforderung. Dieser Modernisierungsschub muss schnell erfolgen, um die Produktivitätspotenziale der staatlichen Verwaltung bei der notwendigen investiven Modernisierung des Landes zu erschließen und auf diese Weise den gravierenden Wettbewerbsnachteil Deutschlands bei der digitalen Reife des Staates zu verringern. Gerade auch hier geht es dabei um fehlende Fachkräfte.


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