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Gesucht: Ein Jungbrunnen für das Altersheim Europa

Die Demografie in Deutschland ist wie in Europa: Es gibt immer mehr Alte und weniger Junge. Will das Altersheim Europa nicht zunehmend baufällig werden, braucht es eine Jungbrunnenkur. Doch die erfordert Mut und den Sprung über den eigenen Schatten – für Konservative und für Linke.

Es gab eine Zeit, da war Europa ein prachtvolles Lustschloss voller innovativer Ideen und Lust auf die Zukunft. Die Lissabon-Strategie der europäischen Staats- und Regierungschefs aus dem Jahr 2000 war eine der schönsten Säulen, die die Europäische Union bis zum Jahr 2010 zum „wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensgestützten Wirtschaftsraum der Welt“ machen sollte.

Mehr als 20 Jahre später ist das Schloss der Ideen in die Jahre gekommen: Wettbewerbsfähige europäische Unternehmens-Champions sind Mangelware, das Wirtschaftswachstum hängt seit der Finanzkrise hinter dem der USA hinterher und statt innovativer Wissensökonomie gibt es besitzstandswahrende Subventionen für die Technologien von Vorgestern.

„Werden die Wähler älter, zahlt es sich für Politiker an der Wahlurne aus, sich der Interessen der Alten anzunehmen.“

Ein Grund für den Verfall ist die zunehmende Alterung der europäischen Gesellschaft. Statt das Jugendstilschloss Europa mit jugendlicher Innovations- und Wachstumsfreude zu erweitern und zu verschönern, zerbröckelt die EU zusehends in den alternden Händen der Boomer zu einem maroden Altersheim.

Europa: Vom Lustschloss zum Altersheim

Im Altersheim Europa interessiert man sich in zweierlei Hinsicht nicht für die Zukunft: ökonomisch und politisch. Ökonomisch gesehen sind alte Gesellschaften einfach weniger innovativ: Noch vor 40 Jahren war Bernd der Boomer einer von der Mehrheit junger Bürger, die hart arbeiteten, innovative Geschäftsmodelle entwickelten und Europa zu Wohlstand verhalfen. Nun ist Bernd einer von vielen Boomern, die ihre wohlverdiente Rente genießen wollen. Dem gegenüber steht heute nur noch eine im Verhältnis kleine Gruppe junger, schaffenskräftiger und innovativer Millennials und Gen-Zler.

Aber auch politisch gesehen haben die Boomer-Bernds an Einfluss gewonnen. Denn auch im Altersheim Europa orientiert sich die Politik an den Interessen der sogenannten Median-Wähler: Werden die Wähler älter, zahlt es sich für Politiker an der Wahlurne aus, sich der Interessen der Alten anzunehmen. Da immer mehr Wähler Bernd, Brigitte oder Beate heißen und immer weniger Milo, Maja oder Mats, setzen sich auch die Interessen der Ersteren durch. Das Ergebnis sind politische Debatten über Zwangsdienste für 18-Jährige und höhere Beiträge zur Rentenversicherung statt einer Fortschritts- und Wachstumsagenda, die die Jüngeren entlastet.

Will das Altersheim Europa nicht zunehmend baufällig werden, braucht es eine Jungbrunnenkur. Doch die erfordert Mut und den Sprung über den eigenen Schatten – für Konservative und für Linke. Die Kur bedeutet: mehr Migranten und mehr Kinder.

Jungbrunnenkur: Migranten und Kinder

Ökonomen sind sich in vielem uneins, doch stimmen sie in einem überein: Migration ist wichtig. Wenn sich Menschen frei bewegen können von Orten, an denen sie weniger produktiv sind, zu Orten, wo sie produktiver sind, macht das die Welt wohlhabender. Die Fähigkeiten eines indischen Software-Ingenieurs können in Hamburg viel produktiver eingesetzt werden als in Bangalore. Das erhöht die Einkommen der Migranten, führt zu höherem Wirtschaftswachstum in Europa und größerer Innovationskraft im Inland. Da meist junge Menschen migrieren, senkt Migration auch den Altersschnitt der Zielländer. Leider scheitert zusätzliche Zuwanderung häufig an den Sorgen der Konservativen. Sie sehen junge Migranten eher als zu stopfende Bäuche statt als kreative Köpfe und fleißige Hände.

„Will das Altersheim Europa in Zukunft nicht Gefahr laufen einzustürzen, braucht es die fleißigen Hände und kreativen Köpfe von Migranten aus der ganzen Welt.“

Doch das war schon immer falsch. Neue Studien der Bertelsmann-Stiftung zeigen aufs Neue, dass wichtige Pfeiler des gesellschaftlichen Fundaments wie Innovationskraft, Unternehmensbestand und Beschäftigungsdynamik in Deutschland schon vor Jahren unter Druck gekommen wären, wenn es nicht eine wachsende Zahl von Selbstständigen mit Migrationshintergrund gegeben hätte.[1] Will das Altersheim Europa in Zukunft nicht Gefahr laufen einzustürzen, braucht es die fleißigen Hände und kreativen Köpfe von Migranten aus der ganzen Welt.

Ökonomen sind berechtigterweise lautstark zu vernehmen, wenn es darum geht, die Vorteile von Zuwanderung für Europa zu preisen. Sehr viel seltener hört man von ihnen, wenn es um Bevölkerungswachstum geht. Dabei lässt sich das gleiche Argument auch anwenden auf eine wieder wachsende Zahl von Kindern, die in Deutschland geboren werden. Auch diese wirken sich positiv auf ökonomische Innovationen und politische Zukunftsgewandtheit aus. Ein Fertilitätsappell klingt jedoch konservativer als ein Migrationsappell. Bei linken Intellektuellen mag er gar nervöse Gänsehaut auslösen und Assoziationen wachrufen zu Margaret Atwoods dystopischem Roman Report der Magd, in dem Frauen mehr Kinder für das gesellschaftliche Wohl aufgezwungen werden.

Doch das ist nicht richtig. Nur ein Ansatz, der aktiv die Kosten des Kinderkriegens reduziert, wird dauerhaft höhere Geburtenraten realisieren. Denn für Frauen ist es einfach unattraktiver geworden, Kinder zu bekommen: Kinder sind teuer; es ist häufig schwierig, sie betreuen zu lassen, wenn man gerne wieder arbeiten möchte. Während Frauen also die meisten Kosten von Kindern selbst tragen, profitiert die Gesellschaft von den Vorteilen einer neuen jungen Generation. Für diesen Aufwand sollten Frauen kompensiert werden.

Kinder und Migranten: Köpfe statt nur Bäuche

Denkbare Reformen wären zum Beispiel zusätzliche Einmalzahlungen an Mütter, um die hohen Fixkosten nach einer Geburt zu kompensieren, und höhere Investitionen in Krippen, Kitas und Kindergärten, um Ganztagsbetreuungen breitflächig zu ermöglichen. Solche „Investitionen“ würden sich gesellschaftlich rechnen. Rein volkswirtschaftlich betrachtet besteht der gesellschaftliche Wert bei bis zu 10 Millionen Euro pro Person.

Aber nicht nur politisch muss sich etwas tun, auch gesellschaftlich. In den letzten Jahrzehnten hat sich – insbesondere im links-grünen Milieu – das Narrativ verbreitet, Kinder seien vor allem zusätzliche Ressourcenvernichter und CO2-Emittenten. Doch genauso wie Migranten keine zu stopfenden Bäuche sind, sondern kluge Köpfe, so ist auch jedes zusätzliche Kind eine weitere Quelle von Ideen, um unsere Welt besser zu machen.

Fazit

Je älter eine Gesellschaft wird, desto kürzer wird ihr Zeithorizont. Debatten um Dienstpflicht, ökonomische Stagnation und ein immer teureres Rentensystem zeigen die kurzsichtige Fragilität und Baufälligkeit des Altersheims Europa. Für eine echte Renovierung braucht Europa eine Jungbrunnenkur. Die kann aus zwei Richtungen kommen: mehr Migranten und mehr Kinder. Dafür müssen aber sowohl Konservative als auch Linke über ihren Schatten springen und Schaufel und Hammer in die Hand nehmen, um das nötige Fundament für den Wiederaufbau eines Lustschlosses der Ideen in Europa zu legen.             


Literatur

Bonin, Holger. 2014. Der Beitrag von Ausländern und künftiger Zuwanderung zum deutschen Staatshaushalt. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung. https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/der-beitrag-von-auslaendern-und-kuenftiger-zuwanderung-zum-deutschen-staatshaushalt/

David, Alexandra/Judith Terstriep/Kristina Stoewe/Alexander Ruthmeier/Maria Elo/Armando García Schmidt. 2022. Migrantisches Unternehmer:innentum in Deutschland. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung. https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/migrantisches-unternehmerinnentum-in-deutschland-all

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